Liste der Toten an der Wand Anwohner berichten vom Sterben in ukrainischem Schul-Keller

Von Oleksandr Stashevskyi, AP

14.4.2022

Das Heck einer Rakete ragt in einem Wohngebiet des Dorfes Jahidne aus der Erde. Foto: E
Das Heck einer Rakete ragt in einem Wohngebiet des Dorfes Jahidne aus der Erde. Foto: E
Bild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Bewohner des Dorfes Jahidne berichten der Nachrichtenagentur AP, wie sie von russischen Soldaten in den Keller einer Schule gezwungen wurden. Die folgenden Wochen voller Stress und Entbehrungen überlebten einige nicht.

Von Oleksandr Stashevskyi, AP

Mit vorgehaltenen Waffen zwangen russische Soldaten mehr als 300 Bewohner des ukrainischen Dorfes Jahidne in den Keller eines Schulgebäudes. Das berichten Anwohner des Dorfes etwa 140 Kilometer von der Hauptstadt Kiew entfernt der Nachrichtenagentur AP. Die folgenden Wochen voller Stress und Entbehrungen sollen 18 Menschen nicht überlebt haben. Demnach zwangen die Russen sie in den Keller, nachdem sie Anfang März die Kontrolle über das Gebiet um die Stadt Tschernihiw übernahmen.

Ein Mann schiebt sein Fahrrad durch ein schwer beschädigtes Wohnviertel im ukrainischen Tschernihiw.
Ein Mann schiebt sein Fahrrad durch ein schwer beschädigtes Wohnviertel im ukrainischen Tschernihiw.
Bild: Celestino Arce Lavin/ZUMA Press Wire/dpa

In einem Raum schrieben die Überlebenden die Namen derer, die nicht überlebten, an eine Wand und eine Tür. «Ein alter Mann starb in meiner Nähe und dann starb seine Frau als nächste», erinnert sich Valentyna Sarojan, eine erschöpfte Überlebende, als sie zusammen mit Journalisten den dunklen Keller wieder aufsucht. «Dann starb ein Mann, der dort lag, dann eine Frau, die neben mir sass. Sie war eine sehr schwere Frau und es war sehr schwierig für sie.»

Kinderzeichnungen an den Wänden

Dorf für Dorf, Stadt für Stadt, entdecken Ukrainer in Gebieten, aus denen sich die Russen zurückgezogen haben, neue Schrecken. Weitere werden befürchtet. Die Anwohner von Jahidne, das am Rande Tschernihiws liegt, sagten, sie hätten Tag und Nacht in dem Keller bleiben müssen, mit Ausnahme der wenigen Gelegenheiten, bei denen ihnen erlaubt worden sei, auf offenen Feuern zu kochen oder die Toilette zu benutzen. Die Gesundheit der Gefangenen litt.

«Hier ist ein Stuhl, und das ist, wie wir für einen Monat gesessen haben», sagt Sarojan, die sich an ihre schmerzenden Beine erinnert. Als Menschen einer nach dem anderen in dem Gebäude starben, wurde Nachbarn gelegentlich erlaubt, die Leichen in ein Massengrab auf einem nahen Friedhof zu bringen. Jedes Mal gingen sie dabei durch eine Tür, die in roter Farbe mit den Worten «Achtung. Kinder» überschrieben war. Im Schein von Taschenlampen zeigen sich Kinderzeichnungen an den Wänden.

Die Russen konnten grausam sein, sagen überlebende Dorfbewohner.

«Entweder betrunken oder auf Drogen»

Switlana Baguta berichtet, ein russischer Soldat, der «entweder betrunken oder auf Drogen» war, habe sie mit vorgehaltener Waffe gezwungen, aus einer Flasche zu trinken. «Er richtete die Waffe auf die Kehle, stellte die Flasche ab und sagte: «Trink»», sagt Baguta.

Julia Surypak sagte, die Soldaten hätten einigen Menschen erlaubt, kurz ihre Häuser aufzusuchen, wenn sie die russische Nationalhymne gesungen hätten. «Aber sie erlaubten nicht vielen, zu gehen.»

Die russischen Streitkräfte verliessen das Dorf Anfang April, im Rahmen eines regionalen Abzugs aus dem Norden der Ukraine, den Russlands Militär in Erwartung einer grossen Offensive im Osten des Landes anordnete. Eine auf eine Wand der Schule in Jahidne gekritzelte Botschaft markiert den 1. April als letzten Tag ihrer Anwesenheit. Die Soldaten hinterliessen Blindgänger, zerstörte russische Fahrzeuge und Trümmer.