Saudi-arabische Schwestern Auf der Flucht vor der Familie

tali

21.2.2019

Zwei junge Saudi-Arabierinnen sitzen in Hongkong fest. Sie sind vor ihrer Familie geflohen.
Zwei junge Saudi-Arabierinnen sitzen in Hongkong fest. Sie sind vor ihrer Familie geflohen.
CNN

Rahaf al-Kununs Flucht aus Saudi-Arabien bewegte im Januar die Welt. Doch während ihre Geschichte ein gutes Ende nahm, müssen zwei ihrer Landsfrauen nach ihrer eigenen gefährlichen Flucht noch um ihr Happy End bangen.

Seit fünf Monaten schauen Reem und Rawan über ihre Schulter, wenn sie nach draussen gehen. Die Schwestern verhalten sich unauffällig, wechseln regelmässig ihre Unterkunft – und leben in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Es sind ihre eigenen Angehörigen, denen sie um keinen Preis begegnen wollen.

Reem und Rawan heissen eigentlich anders und waren bis vor zwei Jahren noch «brave Mädchen», wie sie es im Gespräch mit CNN selbst formulieren. Doch irgendwann empfanden sie die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, in der sie in Riad aufgewachsen sind, als zu gross. «Es ist Sklaverei», sagt die 18-jährige Rawan über die Situation der Frauen in Saudi-Arabien. «Denn was immer eine Frau tun darf, ist eine Entscheidung der Männer.»

So war es die Entscheidung ihrer Brüder, Reem zu schlagen; die Entscheidung ihres Vaters, dass Rawan später ihren jüngeren Cousin heiraten sollte. Und auch für die Reise nach Sri Lanka, die die jungen Frauen zu ihrer Flucht nutzen, fand nur mit der Erlaubnis ihres Vaters statt.


Ihre einzige Chance war gekommen

Reem und Rawan trauen sich nicht, ihre wahren Namen preiszugeben oder ihre Gesichter im Fernsehen zu zeigen. Zu gross ist die Angst, von ihren Verwandten gefasst zu werden.
Reem und Rawan trauen sich nicht, ihre wahren Namen preiszugeben oder ihre Gesichter im Fernsehen zu zeigen. Zu gross ist die Angst, von ihren Verwandten gefasst zu werden.
CNN

Die Schwestern planten ihre Flucht mit äusserster Sorgfalt: «Wir wussten, dass es keinen zweiten Versuch geben wird, wenn der erste scheitern sollte», sagt die 20-jährige Reem. Zu viele Regeln mussten sie brechen, um ihrer Familie zu entkommen: Ohne Erlaubnis Visa für Australien beantragen, Flugtickets zur Weiterreise nach Melbourne buchen, ihre Pässe nachts heimlich aus dem Schlafzimmer der Eltern entwenden. Und sie entsagten dem Islam – in Saudi-Arabien ein Vergehen, das mit dem Tod bestraft werden kann.

Zwei Wochen verbrachten Reem und Rawan mit dem Rest ihrer Familie in Colombo. Sie verschleiert drinnen oder am Strand, ihre Brüder lachend und tobend im Wasser. «Wir reisen nur von einem Käfig zum nächsten», erklärt Rawan. Nur die Männer dürften raus und ihr Leben geniessen, «wir sitzen nur daneben und beobachten sie dabei wie sie tun, was sie wollen.»

Zunächst sah alles gut aus

Am 6. September 2018, dem letzten Tag der Ferien, stahlen sich die beiden morgens um 5 Uhr aus dem Hotel – zum ersten Mal in ihrem Leben nicht in ihren Abayas, sondern in Jeans, die die jungen Frauen heimlich gekauft hatten. Sie nahmen ein Taxi zum Flughafen, gingen unbehelligt an Bord des Fliegers nach Hongkong: «Das ist eine wirklich tolle Erinnerung», sagt Rawan, die Jüngere, rückblickend. Doch kaum in Hongkong gelandet, endete die Glückssträhne der Flüchtigen.

Noch im Transitbereich wurden Rawan und Reem von zwei Mitarbeitern von SriLankan Airlines aufgehalten, die ihre Pässe und ihre Visa einziehen wollten. Nach Angaben des Anwalts Michael Vidler, der die beiden Schwestern vertritt, stornierten die Männer anschliessend heimlich den Flug nach Melbourne und buchten sie stattdessen auf einen Flug nach Riad über Dubai um. SriLankan Airlines zufolge geschah das auf «ausdrücklichen Wunsch» des saudischen Konsulats – der Onkel der Schwestern hat gute Beziehungen ins Innenministerium.

Seit sie elf Jahre alt waren, mussten die Schwestern ihr Gesicht verschleiern. Sie fühlten sich dadurch ihrer Identität beraubt.
Seit sie elf Jahre alt waren, mussten die Schwestern ihr Gesicht verschleiern. Sie fühlten sich dadurch ihrer Identität beraubt.
CNN

Versuchte Entführung?

SriLankan Airlines gab bei CNN an, das Saudische Konsulat habe um die Umbuchung gebeten, damit die beiden Frauen so schnell wie möglich zu ihrer angeblich todkranken Mutter zurückkehren können. Da Rawan und Reem wussten, dass ihre Mutter wohlauf war, protestierten sie lautstark. «Wir vermuten, dass unsere Mandantinnen aus einem gesicherten Flughafenbereich entführt werden sollten», erklärt Anwalt Vidler. «Das Saudische Konsulat hat aktiv versucht, sie zu täuschen.»

Erneut buchten sie einen Flug nach Melbourne, doch auch ihr zweiter Versuch, nach Australien zu gelangen, sei von den Saudischen Behörden vereitelt worden, beklagen die Schwestern und ihr Anwalt: Ihrer Ansicht nach wurden ihre Visa widerrufen, weil der Vizekonsul gegenüber der zuständigen Airline Quantas angegeben habe, dass sie keine Touristinnen, sondern flüchtige Diebinnen seien.

Drei Stunden blieben Rawan und Reem noch auf dem Hongkonger Flughafen, dann holten sie sich die Erlaubnis ein, mit dem Zug in die Stadt fahren zu dürfen. Kurz nachdem sie in ein Hotel eingecheckt hatten, stand die örtliche Polizei vor ihrer Tür. Die informierte die Schwestern, dass ihr Vater und ihr Onkel in der Stadt seien und eine Vermisstenanzeige aufgegeben haben. Über ihre Passnummern konnten die Behörden die Frauen nach dem Einchecken ausfindig machen. Erst nach sechsstündiger Befragung auf einem Polizeirevier liess man die beiden gehen.

Unsichere Zukunft

Die Schwestern hoffen, Asyl in einem sicheren Land zu erhalten.
Die Schwestern hoffen, Asyl in einem sicheren Land zu erhalten.
Keystone

Seither harren sie in Hongkong der Dinge, die da kommen mögen – ohne Pässe oder offizielle Aufenthaltsgenehmigung. Über ihren Anwalt versuchen Rawan und Reem nun, Asyl in einem sicheren Land zu erhalten. In Hongkong selbst werden sie keins bekommen, die Sonderverwaltungszone hat die Genfer Flüchtlingskonvention nie unterzeichnet.

Eine Rückkehr nach Saudi-Arabien können sie sich nicht mehr vorstellen. Selbst, wenn ihre Familie ihnen nichts antun sollte, hätten sie dort kein Leben: «Als ich aufgewachsen bin, habe ich gesehen, das meine Brüder alles tun und alles haben durften. Aber ich sollte das brave Mädchen sein, eine brave Frau, meinen Cousin heiraten und nicht einmal davon träumen, mir selbst einen Partner zu suchen», meint Rawan. «Doch ich will mich selbst aussuchen, was ich studiere und was ich arbeite. An welchem Tag ich heirate und welchen Mann. Und ich will auch das Recht haben, mich dazu zu entschliessen, gar nicht zu heiraten.»

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