Nachfolge-Regelung Bereitet sich Nordkorea auf das Ende der Kim-Dynastie vor?

Von Sven Hauberg

28.6.2021

Kim Jong-un Mitte Juni: Der nordkoreanische Diktator hat möglicherweise seine Nachfolge geregelt.
Kim Jong-un Mitte Juni: Der nordkoreanische Diktator hat möglicherweise seine Nachfolge geregelt.
AP

Auf Kim folgt Kim folgt Kim folgt – jemand anders? Ein neues Dokument aus Nordkorea zeigt, dass die Erbfolge-Diktatur in dem Land eines nicht mehr allzu fernen Tages zu Ende gehen könnte.

Von Sven Hauberg

28.6.2021

Mitte der 90er-Jahre stand Nordkorea vor einem Dilemma: Mit Staatsgründer Kim Il-sung war jener Mann verstorben, den die Propaganda des Landes über Jahrzehnte als einzigartig und unersetzbar gefeiert hatte. Aber Kim war eben nicht unsterblich, und so musste der Unersetzbare schliesslich doch ersetzt werden. Und dann passierte etwas, was es zuvor noch nicht gegeben hatte in der kommunistischen Welt: Nach einer dreijährigen Übergangszeit übernahm Kims Sohn, Kim Jong-il, offiziell das Amt des nordkoreanischen Diktators.

Seitdem ist Nordkorea so etwas wie eine Erb-Diktatur. Als Kim Jong-il seinerseits starb, im Jahr 2011, überraschte es folglich kaum noch, als ein weiterer Kim ins höchste Amt des stalinistischen Staates befördert wurde. Für etwas Verwunderung sorgte seinerzeit höchstens, dass es der jüngste von Kim Jong-ils Söhnen war, der ihm nachfolgte: Kim Jong-un, jener heute 37-Jährige, den Donald Trump vor wenigen Jahren auf die Bühne der internationalen Politik befördert hatte.



Aber kommt nach den drei Kims eines Tages ein Vierter? Nach allem, was man weiss, haben Kim Jong-un und seine Frau Ri Sol-ju mindestens ein Kind, womöglich sogar drei. Ob sich ein Sohn darunter befindet, ist zwar unklar, ein weiterer Kim aber könnte durchaus zum Nachfolger aufgebaut werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Alternativ stünde mit Kim Yo-jong noch Kims Schwester zur Verfügung, eine Frau, die mit markigen Worten in Richtung USA immer wieder für Schlagzeilen sorgt – also gute Voraussetzungen mitbringt für den Diktatorenposten.

«Ernste Veränderung» im politischen System des Landes

Vielleicht aber kommt es auch ganz anders. Denn die Partei der Arbeit Nordkoreas, so berichtet zumindest das meist gut informierte Portal «NK News», scheint einen bislang für unmöglich geglaubten Schritt gemacht zu haben: Kim Jong-un hat so etwa wie einen Stellvertreter bekommen, einen Mann, der seine Aufgaben übernehmen könnte, sollte er selbst dazu nicht mehr in der Lage sein. Wer dieser «Erste Sekretär» genau ist, dazu ist noch nichts bekannt. Aber allein die Tatsache, dass es ihn gibt, ist für den Nordkorea-Experten Andrei Lankov, der an der Kookmin-Universität in Seoul unterrichtet, eine «ernste Veränderung» im politischen System des Landes.

Denn auch wenn bislang zweimal der Sohn auf den Vater folgte – offiziell festgehalten ist diese Erbfolge in der nordkoreanischen Verfassung nicht. Jetzt aber scheint es zum ersten Mal so etwas wie ein Regelwerk zur friedlichen Übergabe der Macht zu geben, von Kim an einen anderen. Gut möglich allerdings, dass auch dieser «Erste Sekretär» ein Kim sein wird.



Dass sich ein Land, das von einem Mittdreissiger regiert wird, überhaupt Gedanken über dessen Nachfolge macht, ist einerseits erstaunlich. Andererseits gab es zuletzt immer wieder Nachrichten über den Gesundheitszustand von Kim Jong-un, die aufhorchen liessen. So galt der übergewichtige Kettenraucher vielen als Kandidat für ein frühes Grab, zumal schon sein Vater und sein Grossvater angeblich an einem Herzinfarkt verstorben waren.

Sorgen um «ausgemergelten» Kim

Zuletzt allerdings hat Kim Jong-un aufgrund seines Gewichtsverlusts Schlagzeilen gemacht. Im Juni zeigten nordkoreanische TV-Bilder den angeblich einst 140 Kilo schwereren Diktator mit ein paar Kilos weniger auf den Hüften. In einem Fernsehbericht wurde dann gar unlängst ein besorgter Bürger mit den Worten zitiert, Kim sehe «ausgemergelt» aus, die Bevölkerung von Pjöngjang breche bei seinem Anblick in Tränen aus.



Offiziell freilich hat Kim abgenommen, um sich loyal mit seinen Untertanen zu zeigen, die derzeit unter einer schweren Krise leiden – ausgelöst durch die Abschottung des Landes im Zuge der Corona-Pandemie, durch Umweltkatastrophen, Missernten und internationale Sanktionen.

Dass in Nordkorea derart offen über den Gesundheitszustand des Staatsoberhauptes gesprochen wird, ist neu. Kein Wunder, dass die Spekulationen ins Kraut schiessen, zumal jetzt, da erst kürzlich das angebliche Nachfolge-Prozedere bekannt geworden ist. Viel mehr als Spekulationen sind es allerdings nicht. Wer etwas über Nordkorea wissen will, ist auf Kaffeesatzlesen angewiesen, denn bei aller vermeintlichen Offenheit bleibt das Land vor allem eines: eine Blackbox, aus der nur selten etwas nach aussen dringt.