Hardliner Gideon Saar «Bibi» droht in Israel Gefahr von rechts

AP/toko

13.1.2021 - 00:00

Das Archivfoto aus dem Jahr 2012 zeigt Benjamin Netanjahu und seinen damaligen Bildungsminister Gideon Saar.
Das Archivfoto aus dem Jahr 2012 zeigt Benjamin Netanjahu und seinen damaligen Bildungsminister Gideon Saar.
Keystone/AP Photo/Uriel Sinai/Getty Images, Pool, File

Dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu ist es nach drei Wahlen nicht gelungen, eine stabile Koalition aufzubauen. Wegen eines ehemaligen Vertrauten könnte diese Aufgabe nach der nächsten Wahl im März noch schwieriger werden.

Ausgerechnet ein ehemaliger Verbündeter könnte für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zum grössten Herausforderer werden. Gideon Saar, ehemaliger Innenminister, verliess im Dezember Netanjahus Likud und gründete die Partei Neue Hoffnung, mit der er bei der Parlamentswahl im März den langjährigen Regierungschef besiegen will. Die Machtverhältnisse in der Knesset könnten dann ganz anders ausfallen, als von Netanjahu erwartet.

In den Umfragen liegt die Neue Hoffnung derzeit auf dem zweiten Rang hinter Likud. Dennoch könnt die Partei die Machtverhältnisse durcheinanderwirbeln und Netanjahus Wunschkoalition scheitern lassen. Vielleicht müsste der Ministerpräsident nach mehr als zehn Jahren an der Macht sogar ganz aufgeben. «Wenn einer Netanjahu schlagen kann, dann ist es Gideon Saar», erklärt Scharren Haskel, eine ehemalige Likud-Abgeordnete, die sich der Neuen Hoffnung angeschlossen hat. «Wegen seiner Ideologie, seiner Erfahrung und seiner Fähigkeiten ist er der einzige, der es mit Netanjahu aufnehmen kann.»



Dabei galt Saar lange als Netanjahus potenzieller Nachfolger als Likud-Vorsitzender. Nachdem er allerdings Netanjahu erfolglos herausgefordert und daraufhin kein Regierungsamt mehr bekommen hatte, kam es im vergangenen Monat zum Bruch. Sein erklärtes Ziel: Er wolle den Ministerpräsidenten stürzen, der Likud nur noch als Werkzeug für sein politisches Überleben missbrauche. Netanjahu muss sich derzeit wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten.

«Er greift von rechts an»

Saar spricht damit so manchem Likud-Anhänger aus dem Herzen. Politisch würde ein Wahlsieg des 54-Jährigen allerdings kaum Veränderungen mit sich bringen. Saar ist wie Netanjahu ein Nationalist, der einen unabhängigen palästinensischen Staat ablehnt. Doch das könnte ihm im Ringen um Wählerstimmen sogar Vorteile bringen. Im Gegensatz zu anderen Herausforderern des Ministerpräsidenten, die um die politische Mitte warben, spricht Saar sowohl desillusionierte Netanyahu-Anhänger an als auch Likud-Abgeordnete. Mindestens vier frühere Likud-Getreue haben sich ihm angeschlossen, darunter der ehemalige Netanjahu-Vertraute und Bildungsminister Zeev Elkin. «Er greift von rechts an», sagt der Politikwissenschaftler Reuven Hazan. «Das ist etwas ganz anderes.»

Benjamin Netanjahu ist es auch nach drei Wahlen nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.
Benjamin Netanjahu ist es auch nach drei Wahlen nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.
Ohad Zwigenberg/Pool Haaretz/AP/dpa

Nachdem ein Haushaltsstreit die Auflösung des Parlaments zur Folge hatte, wählen die Israelis im März zum vierten Mal innerhalb von nur zwei Jahren. Die drei Urnengänge seit 2019 endeten mit einem Patt zwischen Netanjahu und seinem damaligen Herausforderer, dem ehemaligen Armeechef Benny Gantz. Nach der letzten Wahl im März schlossen die beiden eine Koalition, die nach monatelangen Querelen im Dezember platzte.

Chance auf die Macht in Israel

Für Saar bietet sich damit eine Gelegenheit, zum Regierungschef aufzusteigen. Er ging 1999 in die Politik und war Mitglied in Netanjahus erstem Kabinett. 2002 wurde er Abgeordneter des Likud und stand treu zur Partei und deren Vorsitzendem, auch nachdem die Partei bei der Wahl 2006 eine empfindliche Niederlage erlitten hatte. Seit Netanjahus Rückkehr ins Amt des Regierungschefs 2009 hatte Saar mehrere einflussreiche Posten inne, war Innen- und Bildungsminister. In den parteiinternen Vorwahlen schnitt er regelmässig gut ab und wurde zweiter hinter Netanjahu.

Nach der Hochzeit mit der israelischen Nachrichtenmoderatorin Geula Even-Saar – für beide ist es die zweite Ehe – nahm sich Saar eine fünfjährige Auszeit von der Öffentlichkeit. 2019 meldete er sich zurück, wurde aber prompt in hinterste Reihe verbannt, nachdem er Netanjahu in einer Vorwahl herausgefordert hatte. Für ihn der Auslöser zur Trennung von Likud.

«Er steht deutlich weiter rechts als Bibi»

«Das Land braucht einen Führungswechsel», erklärte er. «Heute braucht Israel Einigkeit und Stabilität. Netanjahu kann beides nicht liefern und wird es auch nicht können.» Seit seinem Rückzug versucht Likud, Saar als heimlichen Linken darzustellen, was angesichts seiner politischen Arbeit aber kaum verfängt. So lehnt Saar eine Zwei-Staaten-Lösung ab, die international zur Lösung des Nahost-Konflikts befürwortet wird. «Die Schaffung eines palästinensischen Staates nur wenige Kilometer vom Ben-Gurion-Flughafen und den grossen israelischen Bevölkerungszentren entfernt, würde eine Gefahr für die Sicherheit und die Demographie Israels darstellen», sagte er 2018 der «Times of Israel».

«Er steht deutlich weiter rechts als Bibi», sagt der politische Beobachter Avraham Diskin, der Netanjahu beim Spitznamen nennt. «Aber er ist ein pragmatischer Mensch, kein Fanatiker. Er ist vorsichtig und besonnen.»

Damit wird er sogar für die Israelis wählbar, die eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, aber sich auch einen anderen Regierungschef wünschen. Kritiker erklären dagegen, mit Saar werde nur ein weiterer Nationalist an die Macht kommen. «Der nächste Ministerpräsident wird durch und durch ein Rechter sein, kompromisslos und gnadenlos», schreibt der Kolumnist Gideon Levy in der liberalen Tageszeitung «Haaretz». «Wir haben die Wahl zwischen zwei Ultranationalisten. Netanjahu oder Saar: Bibi oder Gidi. Einen anderen aussichtsreichen Kandidaten wird es wahrscheinlich nicht geben. Das ist traurige Realität, aber eine sehr ernüchternde.»

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