Bosniens unfertiger FriedenDas Abkommen von Dayton wird 25
dpa/toko
21.11.2020 - 13:28
Ausgehandelt in einer US-Luftwaffenbasis beendete der Friedensvertrag von Dayton einen langen, blutigen Krieg. Zugleich legte er das Fundament für den neuen Staat der bosnischen Muslimen, Serben und Kroaten. Trotzdem mag niemand von einer Erfolgsgeschichte sprechen.
Als sich die Präsidenten von Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina im November 1995 in der US-Luftwaffenbasis Dayton (US-Bundesstaat Ohio) einfanden, unterwarfen sie sich ungewöhnlichen Regeln. Wie bei einer Papstwahl sollten Slobodan Milosevic, Franjo Tudjman und Alija Izetbegovic, nahezu abgeschottet von der Aussenwelt, unter amerikanischer Vermittlung so lange miteinander verhandeln, bis eine Friedenslösung für den seit mehr als drei Jahren tobenden blutigen Krieg in Bosnien gefunden war.
Fast 100'000 Menschen starben bei Kämpfen und bei Massakern an unbewaffneten Zivilisten. Hunderttausende wurden vertrieben, Städte grausam von Artillerie und Scharfschützen belagert, ganze Landstriche verwüstet, Dörfer mutwillig niedergebrannt. Die meisten Opfer waren bosnische Muslime. Milosevic und Tudjman hatten sich darauf verständigt, Bosnien untereinander aufzuteilen. Die Siedlungsgebiete der ethnischen Serben und Kroaten sollten an das jeweilige «Mutterland» angeschlossen werden. Serbien beanspruchte und eroberte aber auch Gebiete, in denen wenige oder keine Serben lebten, um ein gebietsmässig kohärentes «Gross-Serbien» herzustellen. Die Nicht-Serben wurden ermordet oder vertrieben.
Im Herbst 1995 hatte sich jedoch die strategische Lage gewendet. Militärische Erfolge der Kroaten und Bosnier setzten den serbischen Para-Staat in Bosnien unter Druck. Die Nato-Artillerie hatte den serbischen Belagerungsring um Sarajevo nach mehr als drei Jahren gesprengt. Dies trug dazu bei, dass die drei Präsidenten in Dayton ihre vorläufige Unterschrift unter das Friedensabkommen setzten. Formell unterzeichneten sie es dann am 14. Dezember in Paris.
Der Kern des Abkommens: Bosnien-Herzegowina blieb als Ganzes erhalten, allerdings als eher schwacher Gesamtstaat. Zwei Landeshälften – sogenannte «Entitäten» – wurden geschaffen: die Föderation BiH, hauptsächlich bewohnt von muslimischen Bosniern und Kroaten, und die Serbenrepublik (Republika Srpska), hauptsächlich bewohnt von Serben. Die internationale Gemeinschaft stellte eine Nato-geführte Schutztruppe, um die militärische Befriedung abzusichern, und einen sogenannten Hohen Repräsentanten. Dieser konnte in die Politik eingreifen, wenn die lokalen Politiker gegen Geist und Buchstaben des Dayton-Abkommens verstiessen.
Kein starker Staat
Trotzdem ist Bosnien nach 25 Jahren zu keinem funktionierenden Bürgerstaat zusammengewachsen. Das Sagen haben weiterhin die vor oder im Krieg entstandenen Nationalparteien, die keinen starken Staat wollen, um im Trüben fischen zu können. «Die Väter von Dayton hatten eben nur vor Augen, wie sie den Krieg stoppen können», sagt die ehemalige Diplomatin Sonja Biserko, die seit 16 Jahren das Helsinki-Komitee in Belgrad leitet. Der amerikanische Chef-Unterhändler Richard Holbrooke und sein Team legten Werkzeuge für einen demokratischen Übergang auf den Tisch, in der Hoffnung darauf, «dass sich die Dinge von selbst entwickeln».
Tatsächlich gab es in den ersten 10 bis 15 Jahren nach dem Dayton-Abkommen Fortschritte. Die damals noch energisch agierenden Hohen Repräsentanten bewirkten, dass in Bosnien eine gemeinsame Armee, gemeinsame Polizeistrukturen und eine gemeinsame Justiz entstanden. Doch mit der Zeit erlahmte das Engagement des Westens. Erst seit sich Russland um 2013/14 verstärkt das so entstandene Vakuum zunutze machte, um seinen eigenen Einfluss auszubauen, lässt die EU wieder mehr Interesse an der Region erkennen.
Der Schaden ist gerade in Bosnien immens. Das Dayton-Abkommen hat in Politik und Gesellschaft ethnische neben demokratischen Prinzipien verankert. Im Windschatten der Vernachlässigung durch den Westen sind die ethnischen Prinzipien dominant geworden. Die Nationalparteien aller drei Volksgruppen trieben diesen Prozess bewusst voran, weil ihnen das die weitgehende Kontrolle über die jeweilige Volksgruppe ermöglichte. «So kommen die Diebe mit ihrer Korruption durch», formuliert es Biserko.
Hoffnung auf Joe Biden
Mit dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden verknüpft sie jedoch gewisse Hoffnungen. Er kenne die Balkan-Region sehr gut, als Mitglied des US-Senats hatte er sich für das im Krieg blutende Bosnien eingesetzt, die serbischen Kriegsverbrechen angeprangert. «Er wird die US-Aussenpolitik neu definieren, der EU wird das helfen», meint Biserko. Noch-Präsident Donald Trump habe auch auf dem Balkan gegen die EU gearbeitet und ihr zu schaden getrachtet. «Das ethnische Prinzip muss jetzt in den Hintergrund gedrängt werden», sagt die Menschenrechtskämpferin.
Bei den Lokalwahlen am 15. November zeigte sich, dass immer mehr Bürger die Nase voll haben von den korrupten und ineffizienten Nationalparteien. Die muslimisch-bosnische Regierungspartei SDA verlor weite Teile der Hauptstadt Sarajevo an die linke und bürgerliche Opposition. In der serbischen Metropole Banja Luka verlor die SNSD-Partei des bosnisch-serbischen Machthabers Milorad Dodik den Bürgermeisterposten – an den 27-jährigen Drasko Stanivukovic. Er hatte sich als mutiger Aktivist bei Protesten gegen die Polizeigewalt in der Serbenrepublik einen Namen gemacht.