Politik Brasilien-Wahl: Linken-Ikone Lula oder rechter Scharfmacher Bolonaro?

SDA

30.10.2022 - 22:18

Eine Anhängerin des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der erneut für das Präsidentenamt kandidiert, hält eine brasilianische Flagge. Foto: Matias Delacroix/AP/dpa
Eine Anhängerin des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der erneut für das Präsidentenamt kandidiert, hält eine brasilianische Flagge. Foto: Matias Delacroix/AP/dpa
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Die Brasilianer haben einen neuen Präsidenten gewählt. Nach einem erbittert geführten Wahlkampf mit gegenseitigen Beschuldigungen und im Internet gestreuten Falschinformationen traten bei der Stichwahl am Sonntag der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro und der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gegeneinander an. Lula hatte die erste Runde vor vier Wochen gewonnen. Allerdings schnitt Staatschef Bolsonaro deutlich besser ab als nach den Umfragen erwartet. Danach galt das Rennen wieder als völlig offen.

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Die Wahllokale schlossen am Sonntag um 21.00 Uhr deutscher Zeit, mit Ergebnissen wurde erst einige Stunden später gerechnet.

«Die Erwartung ist ein Sieg, zum Wohle Brasiliens», sagte Bolsonaro, nachdem er in Rio de Janeiro seine Stimme abgegeben hatte. Der Ex-Militär trug ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift «Brasil» und zeigte das Victory-Zeichen. «So Gott will, werden wir heute siegreich sein. Oder besser gesagt: Brasilien wird heute siegreich sein.» Lula küsste bei der Stimmabgabe seinen Wahlzettel. Er sagte: «Bei dieser Wahl geht es um die Entscheidung zwischen Demokratie und Barbarei, Demokratie oder Faschismus.»

Neben dem Präsidenten wurden am Sonntag auch Gouverneure in einem Dutzend Bundesstaaten gewählt – etwa im bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Bundesstaat São Paulo. In der ersten Runde hatten Gefolgsleute Bolsonaros bereits eine Reihe wichtiger Gouverneursposten erobert. Seine Liberale Partei (PL) stellt künftig auch die stärkste Fraktion im Kongress, vor Lulas Arbeiterpartei (PT).

Die Präsidentenwahl in Brasilien hat auch für den Rest der Welt Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist das Land mit seinen enormen natürlichen Ressourcen ein wichtiger Handelspartner.

Befürchtet wird, dass es je nach Wahlausgang zu Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch.

Für Aufsehen sorgte am Samstag die PL-Abgeordnete Carla Zambelli, die in São Paulo nach einem Streit einen Mann mit vorgehaltener Waffe verfolgte. Um Gewalttaten zu verhindern, untersagte das Oberste Wahlgericht Zivilisten in den Tagen rund um die Stichwahl das Tragen von Waffen. Brasilianische Medien zitierten Zambelli am Sonntag nach dem Verlassen einer Polizeistation mit den Worten: «Ich werde bewaffnet wählen, auch mit einer kugelsicheren Weste. Ich werde bewaffnet und vorbereitet sein.»

Das Land ist politisch zerstritten, was sich bei der Befragung von Wählern auch am Sonntag zeigte. «Ich hoffe, dass Lula gewinnt, ich ertrage Bolsonaro nicht mehr», sagte Christiane Machado, nachdem sie im Viertel Copacabana in Rio de Janeiro ihre Stimme abgegeben hatte. «Das Erbe der PT ist zweischneidig. Es gab soziale Fortschritte, aber auch Korruptionsskandale. Man kann jedoch nicht fast 700 000 Corona-Tote ignorieren – darunter meine Eltern. Wenn Bolsonaro rechtzeitig Impfstoffe gekauft hätte, könnten sie noch am Leben sein.»

Dagegen stimmte Renata Proença für den amtierenden Präsidenten, um eine Rückkehr Lulas an die Macht zu verhindern. «Ich habe nie in meinem Leben der Linken, der Arbeiterpartei PT oder Lula meine Stimme gegeben», sagte sie. «An Bolsonaro gefällt mir, dass ich weiss, was von ihm zu erwarten ist – auch, wenn seine Äusserungen unerträglich sind.»