Brexit-Chaos Brexit-Chaos ohne echten Plan B – Theresa May vertröstet Parlament

dpa

21.1.2019

Live aus dem britischen Unterhaus.

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Anstatt eines echten Plan B zum Brexit blieb die britische Premierministerin Theresa May am Montag im Unklaren. Im Unterhaus ging es vor allem um die Irland-Frage. 

Die britische Premierministerin Theresa May wollte am Nachmittag ihre Erklärung zum Plan B für den EU-Austritt präsentieren. Doch ein konkretes Konzept legte sie erwartungsgemäss nicht vor.

May kündigte an, die schwierige Irland-Frage aus den Brexit-Gesprächen wieder aufmachen zu wollen. Die bisherige Regelung, wie sie im Abkommen über den EU-Austritt festgelegt ist, der sogenannte Backstop, treffe weiterhin auf Besorgnis im Parlament, sagte May in einer Erklärung im Unterhaus in London am Montag. 

Sie wolle in dieser Woche Gespräche mit Abgeordneten führen, vor allem aus dem Regierungslager und der nordirischen DUP, um auszuloten, wie eine «grösstmögliche Unterstützung» erreicht werden könne, so May. Mit dem Ergebnis wolle sie anschliessend die EU konfrontieren.

May widersprach Medienberichten, wonach sie das Karfreitagsabkommen ändern will, um das Problem mit einer Grenze in Irland nach dem Brexit zu lösen. Das Abkommen hatte vor gut 20 Jahren den blutigen Konflikt in Nordirland beendet.

Premierministerin Theresa May sprach im britischen Unterhaus zu den Brexit-Plänen.
Premierministerin Theresa May sprach im britischen Unterhaus zu den Brexit-Plänen.
Foto: House Of Commons/PA Wire

Grossbritannien will bereits am 29. März aus der Staatengemeinschaft austreten. Das mit der Europäischen Union ausgehandelte Abkommen wurde in der vergangenen Woche im Parlament abgelehnt. Einem folgenden Misstrauensvotum hielt die Premierministerin jedoch stand.

May führte daraufhin Gespräche mit den Oppositionsparteien und Rebellen im eigenen Lager.

Es gibt allerdings Zweifel, ob es die Regierungschefin mit der Suche nach einem Konsens wirklich ernst meint. Einige Beobachter halten für möglich, dass May auf Zeit spielt und hofft, doch noch genügend Abgeordnete für ihren Deal zu gewinnen, wenn der 29. März näher rückt.

Ansonsten droht ein ungeregelter Austritt mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche. Eine Mehrheit der Abgeordneten will ein solches Szenario, einen «No Deal»-Brexit, verhindern.

Am 29. Januar soll im Unterhaus über Mays Vorschlag debattiert und abgestimmt werden. Die Abgeordneten haben dabei die Möglichkeit, die Beschlussvorlage abzuändern.

Ein grosser Teil der Opposition wünscht sich eine engere Anbindung an die EU als bisher vorgesehen. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion und möglicherweise auch im Binnenmarkt dürfte daher auf den Tisch kommen.

EU streitet ebenfalls

Derweil streitet die Europäische Union erstmals auf offener Bühne über Zugeständnisse an Grossbritannien. Schon vor der Präsentation neuer Brexit-Vorschläge in London plädierte Polen am Montag dafür, dem britischen Drängen nachzugeben und die Garantie für eine offene EU-Grenze zu Nordirland zu befristen. Doch traf dies auf heftigen Widerspruch der irischen Regierung, die um den zunehmend brüchigen Frieden auf der Insel bangt.

Ein Kritikpunkt bei der Ablehnung des EU-Austrittsabkommens durch das britische Unterhaus war die von der EU geforderte Garantie, dass es an der Grenze zwischen Irland und Nordirland auf Dauer keine Kontrollen gibt – der sogenannte Backstop.

Theresa May, Premierministerin von Grossbritannien, kommt in der Downing Street in London an. 
Theresa May, Premierministerin von Grossbritannien, kommt in der Downing Street in London an. 
Source: Foto: Stefan Rousseau/PA Wire

Beobachter befürchten, dass eine feste Grenze zwischen Irland und Nordirland den 1998 festgeschriebenen Friedensprozess stoppen und neue Gewalt in der früheren Bürgerkriegsregion anfachen könnte. Nahrung erhielten die Sorgen nach der Explosion einer Autobombe im nordirischen Londonderry am Samstag. Als Verdächtige wurden fünf Männer festgenommen, die der militanten Gruppierung Neue IRA angehören sollen. Derartige Vorfälle könnten sich nach dem Brexit häufen, warnte der Nordirland-Mediator Michael Doherty.

Doch ist die Irland-Frage auch ein Knackpunkt im Ringen um einen geordneten Austritt Grossbritanniens am 29. März. Die im Austrittsabkommen vorgesehene Lösung für eine dauerhaft offene Grenze trifft im britischen Parlament auf Widerstand: Falls keine bessere Regelung gefunden wird, soll ganz Grossbritannien in einer Zollunion mit der EU bleiben und Nordirland zudem einige Regeln des Binnenmarkts einhalten. Brexit-Befürworter beklagen, das kette ihr Land womöglich auf Dauer an die EU.

Bizarres Britannien

Um die Blockade aufzubrechen, plädierte der polnische Aussenminister Jacek Czaputowicz am Montag für eine Befristung der Backstop-Garantie auf fünf Jahre – ein grosses Zugeständnis an Grossbritannien und eine Abweichung von der bisherigen EU-Linie. «Ich weiss nicht, ob das umsetzbar ist, ob Irland bereit ist, einen solchen Vorschlag zu machen», sagte Czaputowicz der BBC. «Aber ich habe den Eindruck, das könnte die Blockade bei den Verhandlungen lösen.»

Der irische Aussenminister Simon Coveney stellte in Brüssel sofort klar, dass seine Regierung weiter auf einem unbefristeten Backstop beharrt. Czaputowicz' Äusserungen gäben nicht die Position der EU wieder. Die irische Europaministerin Helen McEntee widersprach im Sender RTE auch britischen Berichten, Irland könnte sich in einem bilateralen Vertrag mit Grossbritannien in der Grenzfrage einigen.

Eine Mehrheit im britischen Parlament für den Brexit-Deal von Premierministerin May ist seiterhin nicht in Sicht. 
Eine Mehrheit im britischen Parlament für den Brexit-Deal von Premierministerin May ist seiterhin nicht in Sicht. 
Source:  PA Wire

Auswege aus der Sackgasse

Im britischen Parlament suchen inzwischen Gruppen von Abgeordneten auf eigene Faust nach einem Ausweg aus der Sackgasse. Bewerkstelligt werden soll dies über Änderungsanträge zu Mays Beschlussvorlage. So gibt es Pläne von Oppositionsabgeordneten und EU-freundlichen Rebellen im Regierungslager, einen Aufschub des Brexit-Datums zu erzwingen, sollte sich ein Austritt ohne Abkommen abzeichnen. Abgestimmt werden soll darüber am 29. Januar.

Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn schlug vor, sich auf die Option einer dauerhaften Zollunion zu konzentrieren. «Damit könnte man die irische Frage lösen, und man könnte auch ein Chaos verhindern am 30. März», sagte er in Brüssel. Ein Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen führe unweigerlich dazu, dass es wieder Grenzkontrollen und Zölle gebe. «Das will ja keiner», sagte Asselborn.

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