«Zweckehe» der prowestlichen Lager in Bulgarien: An der Spitze der neuen Regierung sollen sich zwei Ministerpräsidenten ablösen. Die Allianz hat innenpolitische Baustellen.
DPA, Von Elena Lalowa, dpa
06.06.2023, 21:04
06.06.2023, 21:12
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Bulgarien hat nach monatelanger politischer Krise nun eine prowestliche Regierung bekommen.
Die neue Regierung schreibt in dem Balkanland Geschichte mit einem Novum, das den Kompromiss zwischen den rivalisierenden Lagern ermöglichte. Nach neun Monaten wechselt der Ministerpräsident.
Das EU- und Nato-Mitglied Bulgarien hat nach monatelanger politischer Krise nun eine prowestliche Regierung bekommen. Nach der fünften Parlamentswahl binnen zwei Jahren bestätigte die Volksversammlung eine reguläre Regierung. Diese löst das Übergangskabinett ab, das Präsident Rumen Radew vor der Neuwahl vom 2. April eingesetzt hatte. Mit der neuen Regierung erwarten Beobachter, dass sich das südöstliche EU-Land den westlichen Verbündeten bei ihrer Unterstützung für die Ukraine konsequenter anschliesst.
Der 60-jährige Physikochemiker Nikolaj Denkow (PP) wurde mit einer Mehrheit von 132 Abgeordneten aus den Reihen des Wahlsiegers GERB-SDS und des zweitplatzierten Blocks PP-DB zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Regierung selbst wurde mit 131 Stimmen bestätigt. Die russlandfreundlichen Sozialisten, die prorussische und nationalistische Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) und die systemkritische ITN sind in der Opposition.
Die neue Regierung schreibt in dem Balkanland Geschichte mit einem Novum, das den Kompromiss zwischen den rivalisierenden Lagern ermöglichte: Das Amt des Ministerpräsidenten soll nach neun Monaten wechseln. Nach Denkow soll Ex-EU-Kommissarin Maria Gabriel (GERB) als Regierungschefin an der Reihe sein. Bis dahin ist die 44-jährige Vize-Ministerpräsidentin und Aussenministerin. Sie ist die einzige Vertreterin von GERB-SDS in dieser Regierung. Es gibt kein Koalitionsabkommen, sondern nur ein «Gentlemen's Agreement», wie beide Seiten oft betonen.
Die wichtigsten Baustellen der neuen Regierung
Der frisch gewählte Denkow umriss die wichtigsten Baustellen seiner Regierung: Korruptionskampf und Justizreform sowie Bulgariens Beitritt zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum und zur Euro-Zone. Finanzminister vor der für 2025 angestrebten Euro-Einführung ist der PP-Co-Vorsitzende Assen Wassilew, der dieses Ressort bereits in der 2022 gestürzten Regierung geleitet hatte.
Der neue Verteidigungsminister Todor Tagarew gilt als überzeugter Atlantiker und «politischer Falke». Gleich bei der Amtsübernahme sagte Tagarew, Bulgarien müsse der Ukraine helfen, damit sie ihre Gegenoffensive fortsetzen und die von Russland besetzten Gebiete befreien könne. Mit ihm erwarten Beobachter eine konsequentere Unterstützung für die Ukraine – in Bulgarien wird etwa von der Ukraine dringend gebrauchte Munition hergestellt. Damit scheint ein Konflikt zwischen der neuen Regierung und Staatschef Radew vorprogrammiert: Der frühere Kampfjetpilot und Chef der Luftwaffe gilt als russlandfreundlich und kritisiert die pro-ukrainischen Parteien im Land als «Kriegstreiber».
Bei den Bulgarinnen und Bulgaren polarisiert die neue Regierungsallianz in Sofia. Beide Lager hatten nach gegenseitigen Korruptionsvorwürfen geschworen, niemals eine Koalition einzugehen. «Alle Unterhändler der Regierungsgespräche müssen gelobt werden», sagte der Sozialforscher Haralan Aleksandrow zum Zustandekommen einer regulären Regierung. Doch Kritiker nennen die Allianz der beiden Erzfeinde «Zweckehe», «Schande» und «Regierung der US-Botschaft». Die Abstimmungen im Parlament wurden von Protesten begleitet.
Mit ihrer Allianz wollten GERB-SDS und PP-DB den Einfluss von Staatschef Radew auf Bulgariens Politik einschränken. Die Amtszeit der neuen Regierung begrenzten sie selbst auf zunächst 18 Monate. Doch selbst an dieser vergleichsweise kurzen Regierungszeit zweifeln manche bereits. «Diese Regierung wird nicht lange halten», prophezeite der prorussische Wasraschdane-Chef Kostadin Kostadinow. Soziologen sagen für den Fall einer sechsten Parlamentswahl in kurzer Folge der jetzt drittstärksten Partei ein noch besseres Wahlergebnis voraus. Diese Option scheint allerdings vorerst vom Tisch zu sein.