Pilotprojekt mit NotfallknopfHäusliche Gewalt soll wirksamer bekämpft werden
jeko, sda
30.4.2021 - 13:40
Bund, Kantone und NGOs haben eine gemeinsame Strategie gegen häusliche Gewalt beschlossen. Mit einer 24-Stunden-Notrufnummer und neuen technischen Hilfsmitteln soll Opfern besser geholfen werden.
jeko, sda
30.04.2021, 13:40
30.04.2021, 16:43
SDA/gbi
Mit wirksamen und koordinierten Massnahmen gezielt häusliche Gewalt verhindern: Mit diesem Ziel haben am Freitag auf Einladung von Justizministerin Karin Keller-Sutter alle involvierten Stellen des Bundes, die Kantone und Organisationen der Zivilgesellschaft ein gemeinsames Vorgehen beschlossen.
«Die Bekämpfung der häuslichen Gewalt ist ein Anliegen, das mir persönlich sehr wichtig ist», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter heute Freitag vor den Medien in Bern. Als 2003 St. Gallen als erster Kanton in der Schweiz einen Wegweisungsartikel in das Polizeigesetz aufnahm, war Keller-Sutter als Regierungsrätin und Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements massgeblich an dieser Neuerung beteiligt. Mit diesem Schritt konnten erstmals Opfer geschützt werden, ohne dass sie ihren Wohnort verlassen mussten.
In den vergangenen zwanzig Jahren seien viele Fortschritte erzielt worden, sagte Keller-Sutter. «Die Sensibilisierung hat zugenommen, die gesetzlichen Regelungen wurden ausgebaut, aber die Gewalt ist geblieben», bilanzierte sie. So hat die Polizei im vergangenen Jahr rund 20'000 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt registriert, 28 Personen wurden getötet. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Pilotprojekt mit Notfallknopf
Für die Prävention und den Schutz vor häuslicher Gewalt sind in erster Linie die Kantone zuständig. Der Bund trägt die Verantwortung im Bereich Opferhilfe und für die Gesetzgebungsarbeiten im Strafrecht, im Zivilrecht und im Opferhilferecht.
Die nun verabschiedete Strategie ist ein politisches Bekenntnis zu einem gemeinsamen Vorgehen. Sie umfasst aber auch konkrete Massnahmen – so etwa die Einführung einer zentralen schweizweiten Beratungstelefonnummer, die rund um die Uhr Hilfe gewährleistet. Der Bedarf dafür habe sich gerade in der Corona-Krise gezeigt. Die Kantone haben zudem bekräftigt, dass sie die Zahl der Plätze in den Frauenhäusern erhöhen wollen.
Kernstück der Strategie seien jedoch neue technische Hilfsmittel, die eingesetzt werden sollen, sagte Keller-Sutter. Die Kantone werden ein Pilotprojekt mit einem sogenannten Notknopf durchführen. «Wir kennen die elektronische Überwachung bei Straftätern», sagte Fredy Fässler, Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). In Einzelfällen sollen nun auch Opfer mit einem Notfallknopf ausgestattet werden.
Keine Patentlösung
«Das Bild des Notfallknopfs mit einem sofortigen Polizeieinsatz bei einem Alarm ist nicht realistisch», gab Fässler jedoch zu bedenken. «Die personellen Ressourcen reichen auch nicht.» Mit einem GPS-System könne jedoch eine mit einem Rayonverbot belegte Person aktiv in jedem Moment überwacht werden. Neue Modelle könnten auch einen Kontakt zum Opfer herstellen, sodass direkt Hilfe geleistet werden könne.
«Die Kantone sind diesbezüglich kritisch eingestellt», gab Fässler zu. Aber nun sei beschlossen worden, dass ein Kanton ein Pilotprojekt durchführe. Der Notfallknopf sei jedoch nicht die Lösung für alle Probleme: «Gegen Überzeugungstäter können wir damit nicht vorgehen.»
Der Vorstand der KKJPD wird das Projekt an seiner nächsten Sitzung weiter beraten. Zwei Kantone hätten bereits Interesse signalisiert, ein am Pilotprojekt mitzuwirken. Der Bund prüft derzeit eine finanzielle Beteiligung.
Häusliche Gewalt gilt seit 17 Jahren als Offizialdelikt
Häusliche Gewalt liegt laut Strafgesetzbuch vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen. Opfer von häuslicher Gewalt können auch Kinder und Jugendliche sein.
Seit 2004 ist häusliche Gewalt in der Schweiz ein Offizialdelikt. Das bedeutet, dass begangene Straftaten von Amtes wegen verfolgt werden, also ohne dass das Opfer eine Strafanzeige einreichen muss.