DeutschlandCDU wählt neuen Parteichef – wird er auch Bundeskanzler?
SDA
10.1.2021 - 09:53
Es ist ein Parteitag, wie ihn sich vor einem Jahr wohl niemand in Deutschland vorstellen konnte: Keine Redeschlachten im Saal, keine hochkochende Stimmung, kein tosender Applaus und keine Buh-Rufe. Stattdessen hocken an die tausend Delegierte daheim am Bildschirm, um den neuen CDU-Chef zu wählen.
Mit einem digitalen Parteitag wollen die Christdemokraten ihre seit fast einem Jahr offene Führungsfrage klären. Aus einer Art Studio in Berlin präsentieren sich die drei Kandidaten am Samstag in jeweils 15-minütigen Reden: der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der CDU-Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz und der Aussenpolitiker Norbert Röttgen. Anschliessend wird online abgestimmt.
Der Sieger hat gute Aussichten, Kanzlerkandidat und neuer deutscher Regierungschef zu werden. Denn in Europas grösster Volkswirtschaft geht eine Ära zu Ende: Kanzlerin Angela Merkel (66), seit November 2005 im Amt, will bei der Bundestagswahl im September nicht mehr antreten. Ihre Unionsparteien, also die CDU und die nur in Bayern antretende CSU, sind nach Umfragen die mit Abstand stärkste Kraft im Lande.
Ihren schrittweisen Abschied von der Politik hatte Merkel schon im Oktober 2018 angekündigt. Wenige Wochen später wurde die frühere saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Chefin gewählt. Im vorigen Februar warf «AKK» aber das Handtuch, weil sie im Streit um die Regierungsbildung im Bundesland Thüringen ihre Autorität nicht durchsetzen konnte. Ein für Ende April geplanter Sonderparteitag platzte wegen der Corona-Pandemie ebenso wie der reguläre Bundesparteitag im Dezember. Nun soll der Digital-Parteitag die Hängepartie beenden.
Das Stimmergebnis per Mausklick muss aus rechtlichen Gründen noch in einer Briefwahl bestätigt werden, die als reine Formsache gilt. Die Briefwahlzettel sollen am 22. Januar ausgezählt werden, dann wird das Ergebnis verkündet.
Einen klaren Favoriten gibt es nicht. Der 59-jährige Laschet wirbt mit seiner Regierungserfahrung in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen. «Es ist gut, Parteivorsitzende zu haben, die auch in Regierungsverantwortung stehen. Das hat sich bewährt», sagte er dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». 2017 hatte Laschet als Oppositionsführer die Sozialdemokraten in deren einstiger Hochburg besiegt. Seither regiert er in einer Koalition mit den Liberalen.
Weniger glücklich war für seinen Mitbewerber Röttgen (55) eine Spitzenkandidatur in Nordrhein-Westfalen verlaufen. Er hatte dort als CDU-Kandidat die Landtagswahl 2012 haushoch verloren und war daraufhin von Merkel als Bundesumweltminister gefeuert worden. Doch das ist lange her, als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages hat sich Röttgen einen Namen gemacht und Prestige erworben. Nicht wenige geben ihm am Samstag durchaus eine Chance.
Der Älteste im Trio ist Friedrich Merz. Der 65-jährige Rechtsanwalt hatte 2018 die Stichwahl gegen Kramp-Karrenbauer nur knapp verloren. Seine Kandidatur markierte damals sein bundespolitisches Comeback. Bekannt war Merz zu Beginn des Millenniums als redegewandter Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geworden. 2002 musste er den Posten für die spätere Kanzlerin Merkel räumen, einige Jahre danach schied er aus der aktiven Politik aus. Der Wirtschaftsliberale ist vor allem beim konservativen Parteiflügel und der Parteijugend populär.
Der neue CDU-Chef muss die Partei zunächst in die Wahlkämpfe für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 14. März führen. Über den gemeinsamen Kanzlerkandidaten von CDU und CSU soll erst danach entschieden werden, womöglich auch erst nach Ostern (4. April). «Das reicht völlig aus, damit die Union einen gemeinsamen und überzeugenden Wahlkampf führen kann», sagte die graue Eminenz der CDU, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (78).
Den Kanzlerkandidaten kann die CDU nur im Konsens mit der CSU bestimmen. Angesichts starker Umfragewerte werden auch CSU-Chef Markus Söder Chancen zugeschrieben, wenngleich der Ministerpräsident stets betont hat, dass sein Platz in Bayern sei.
Deutlich populärer als Laschet, Merz und Röttgen ist laut Umfragen auch Gesundheitsminister Jens Spahn, der seit Ausbruch der Corona-Pandemie in den Medien allgegenwärtig ist. Doch der tritt im Gespann mit Laschet als dessen möglicher Vize an. «Ja, das Tandem steht», sagte Laschet der Deutschen Presse-Agentur.
Geht es nach den aktuellen Umfragen, dann könnte Deutschland nach der Bundestagswahl erstmals von einem schwarz-grünen Bündnis regiert werden. «Eine Konstellation, die neben Sicherheit auch Inspiration bieten könnte», sagte Söder der dpa. Die Frage ist noch, was von den hohen Werten für die CDU/CSU bleibt, wenn Merkel im September nicht mehr antritt. Die Grünen als derzeit zweitstärkste politische Kraft liebäugeln jedenfalls schon mit einer eigenen Kanzlerkandidatur.
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