Afghanistan-ÜberblickRund 6000 Menschen warten am Flughafen in Kabul auf Rettung
Agenturen/red
19.8.2021
Weitere Schweizer Staatsangehörigen haben aus Afghanistan ausreisen können. Es geht ihnen nach Angaben des Aussendepartements EDA den Umständen entsprechend gut. Weitere Angaben machte die Behörde am Donnerstag «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes» nicht.
Die Ausreise der Schweizerinnen und Schweizer sei in den letzten Tagen «in Zusammenarbeit mit Partnerstaaten» erfolgt, teilte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Um wie viele Personen es sich handelt und auf welchem Weg sie ausreisten, wurde nicht kommuniziert. Das EDA stehe aber mit ihnen in Kontakt, hiess es.
Weitere Schweizer Staatsangehörige hätten sich seit Mittwochabend keine mehr gemeldet bei der Schweizer Botschaft in Pakistan. Am Mittwoch war von 28 Personen die Rede, die noch im Land weilten.
Bern und Wien wollen sich auf auf Hilfe vor Ort fokussieren
Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat den österreichischen Bundesminister für Inneres Karl Nehammer in Bern empfangen. Wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mitteilte, standen Migrationsthemen – und hier vor allem die Lage in Afghanistan – im Zentrum der Gespräche.
Wie es hiess, seien die Schweiz und Österreich einig, dass in Afghanistan «derzeit die Hilfe vor Ort im Zentrum stehe.» Sie solle in enger Absprache mit den UN-Organisationen auf europäischer Ebene koordiniert werden.
«Dramatische Szenen» am Flughafen in Kabul
Die Lage am Kabuler Flughafen ist nach Angaben des Bundeswehrgenerals Jens Arlt, der den deutschen Evakuierungseinsatz vor Ort führt, «angespannt». Es spielten sich «dramatische Szenen ab», schilderte er am Donnerstag die Situation. Arlt, der in einer Online-Pressekonferenz des Bundesverteidigungsministeriums telefonisch aus Kabul zugeschaltet war, sagte laut dem «Spiegel» auch: «Ich befürchte, dass sich das Ganze noch zuspitzen wird.»
Es sei alles sehr turbulent, so der General zu den Journalisten. «Sie werden vielleicht den einen oder anderen Schuss im Hintergrund hören. Sie sehen die verzweifelten Augen der Afghanen und auch der Staatsbürger unterschiedlicher Nationen, die einfach versuchen, in den inneren Bereich des Kabul International Airports zu gelangen, das ist schon dramatisch, was wir sehen.»
Die Ereignisse des Tags im Überblick:
Das Wichtigste in Kürze:
Weitere Schweizer Staatsangehörigen haben laut EDA aus Afghanistan ausreisen können.
Die radikalislamischen Taliban haben nach mehreren Todesfällen am Kabuler Flughafen offenbar alle Afghanen ohne Reisegenehmigung zum Verlassen des Geländes aufgefordert.
Der ehemalige Sicherheitsberater von Donald Trump John Bolton hat davor gewarnt, dass die Taliban Nuklearwaffen in ihren Besitz bringen wollten.
Das Chaos beim Abzug der US-Truppen war nach Ansicht von Präsident Joe Biden unvermeidbar. Niemand hatte mit einer so schnellen Machtübernahme der Taliban gerechnet.
In Frankfurt sind in den frühen Morgenstunden zwei weitere Flugzeuge mit Evakuierten gelandet.
US-Aussenministerium: Rund 6000 Menschen warten am Flughafen in Kabul
Am Flughafen Kabul warten nach Angaben des US-Aussenministeriums inzwischen rund 6000 Menschen, die alle Voraussetzungen für die Ausreise erfüllen und bald ausgeflogen werden dürften. «Ich kann bestätigen, dass sich derzeit 6000 Personen am Flughafen befinden, die von unserem Konsularteam vollständig abgefertigt wurden und bald an Bord der Flugzeuge gehen werden», sagte der Sprecher des Ministeriums, Ned Price am Donnerstag. Es handele sich um US-Amerikaner, Afghanen und Menschen aus anderen Staaten.
«Wir erwarten, dass heute Nacht etwa 20 Flüge starten werden», sagte er weiter. Price zufolge hat es bisher nur Berichte von einer Hand voll US-Amerikaner gegeben, die es nicht zum Flughafen geschafft hätten. Rund um den Flughafen herrscht Chaos. Viele Menschen berichteten, dass es kein Durchkommen gebe.
20.44 Uhr
G7 besorgt über Berichte gewaltsamer Racheakte in Afghanistan
Die G7-Staaten zeigen sich besorgt über Berichte gewaltsamer Vergeltungsmassnahmen in Teilen Afghanistans nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban. Das geht aus einer Mitteilung des Aussenministeriums in London nach einer Telefonkonferenz der G7-Aussen- und Entwicklungshilfeminister am Donnerstag hervor.
«Die G7-Minister unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die Taliban ihre Zusagen zur Sicherheit von Zivilisten einhalten, und sind zutiefst besorgt über Berichte gewaltsamer Vergeltungsakte», hiess es darin. Auch müsse das freie Geleit ausländischer Staatsangehöriger garantiert werden, die das Land verlassen wollten.
Die G7-Minister bekräftigten demnach ihr Bekenntnis zu einem «Ende von Gewalt, Respekt der Menschenrechte, einschliesslich für Frauen, Kinder und Minderheiten, sowie zu inklusiven Verhandlungen über die Zukunft von Afghanistan». Sie riefen alle Seiten zudem zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf, das dem Schutz von Menschen dient, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind. Insbesondere nannten sie dabei «humanitäre Helfer und medizinisches Personal, Übersetzer und internationale Träger anderer Dienste»
20.22 Uhr
Afghanische Fernsehmoderatorin darf unter Taliban nicht mehr arbeiten
In Afghanistan kann eine bekannte Fernsehmoderatorin nach eigenen Angaben nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban nicht mehr arbeiten. «Mir wurde gesagt, ich könne meine Arbeit nicht fortsetzen, weil sich das System geändert habe», sagte Schabnam Dauran am Donnerstag in einer Videobotschaft. «Wer das hier sieht und wenn die Welt mich hört: Bitte helfen Sie uns, unsere Leben sind in Gefahr.»
«Nach dem Machtwechsel habe ich nicht aufgegeben und wollte ins Büro», sagte Dauran, die nach eigenen Angaben seit sechs Jahren als Journalistin arbeitet, zuletzt beim Fernsehsender RTA. Anders als ihre männlichen Kollegen sei ihr aber selbst bei Vorzeigen ihres Dienstausweises kein Zutritt zum Büro des Senders gewährt worden.
19.38 Uhr
Trump: USA sollten frühere Stützpunkte in Afghanistan bombardieren
Das US-Militär sollte nach Ansicht des ehemaligen Präsidenten Donald Trump seine früheren Stützpunkte in Afghanistan in Grund und Boden bombardieren. Zunächst sollten alle US-Bürger und alle Ausrüstung ausser Landes gebracht werden, erklärte Trump am Donnerstag. «Dann bombardiert man die Stützpunkte in Bruchstücke.» Damit gäbe es «kein Chaos, keine Toten», und die Afghanen «wüssten nicht mal, dass wir weg sind», behauptete Trump.
Der Republikaner kritisiert seinen Nachfolger, den Demokraten Joe Biden, wegen der chaotischen Szenen beim Abzug aus Afghanistan. Den Anstoss für einen kompletten Abzug der US-Truppen hatte allerdings der damalige Präsident Trump durch ein Abkommen mit den Taliban gegeben.
Das US-Militär hat seine Stützpunkte, darunter auch das Drehkreuz Bagram nördlich der Hauptstadt Kabul, beim Abzug an die Afghanen übergeben. Das US-Militär flog jedoch vorher einen grossen Teil seiner Ausrüstung und Waffen ausser Landes. Viele Einheiten des afghanischen Militärs ergaben sich im August weitgehend kampflos den Taliban.
19.22 Uhr
Deutsche Welle: Taliban töten Angehörigen eines Mitarbeiters
Ein Familienangehöriger eines Journalisten des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) ist nach Senderangaben in Afghanistan von Taliban-Kämpfern erschossen worden. Die Taliban hätten im Westen des Landes von Haus zu Haus nach dem DW-Journalisten gesucht, der aber inzwischen in Deutschland arbeite, berichtete die Deutsche Welle am Donnerstag. Ein zweiter Familienangehöriger sei bei dem Angriff schwer verletzt worden. «Weitere Angehörige des Mannes konnten in letzter Sekunde entkommen und sind auf der Flucht», hiess es in dem Bericht.
Der Intendant des Senders, Peter Limbourg, sagte: «Die Tötung eines nahen Verwandten eines unserer Redakteure durch die Taliban ist unfassbar tragisch und belegt die akute Gefahr, in der sich alle unsere Mitarbeitenden und ihre Familien in Afghanistan befinden. Die Taliban führen in Kabul und auch in den Provinzen offenbar schon eine organisierte Suche nach Journalisten durch. Die Zeit läuft uns davon!»
18.58 Uhr
Italien und Russland für abgestimmtes Vorgehen gegenüber Afghanistan
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan plädieren Italien und Russland für ein international abgestimmtes Vorgehen. Das teilten beide Seiten am Donnerstag nach einem Telefonat des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem italienischen Kollegen Mario Draghi mit.
Putin und Draghi mahnten dem Kreml zufolge, in Afghanistan müsse eine humanitäre Katastrophe verhindert und die Sicherheit der Menschen gewährleistet werden. Die internationalen Bemühungen könnten auch im Rahmen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) abgestimmt werden.
In dem Gremium hat Italien derzeit den Vorsitz. Zuvor hatten italienische Medien berichtet, dass Rom einen G20-Sondergipfel wegen der Entwicklung in Afghanistan plane.
18.38 Uhr
US-Militär hat bisher 7000 Zivilisten aus Afghanistan ausgeflogen
Das US-Militär hat nach Angaben des Pentagons seit Samstag (14. August) 6000 Zivilisten aus Afghanistan ausgeflogen. Generalmajor Hank Taylor teilte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im US-Verteidigungsministerium mit, in den vergangenen 24 Stunden seien zwölf Transportflugzeuge mit 2000 Menschen in Kabul gestartet. Es stünden nun genügend Flugzeuge bereit, um pro Tag 5000 bis 9000 Menschen in Sicherheit zu bringen.
Am Kabuler Flughafen seien nun 5200 US-Soldaten im Einsatz, sagte Taylor. «Wir sind bereit, die ganze Zeit zu steigern», ergänzte er. Doch auch am Donnerstag erschwerten chaotische Zustände rund um den Flughafen noch die Evakuierungsaktion.
18.28 Uhr
Kleinere Proteste gegen Taliban in Kabul
Wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan hat es in Kabul kleinere Proteste gegen die Islamisten gegeben. Ein AFP-Mitarbeiter sah am Donnerstag, wie eine Gruppe von Männern und Frauen in einem Vorort der Hauptstadt zur Feier des Unabhängigkeitstages eine grosse afghanische Flagge entrollte. Die Taliban hatten seit ihrem Einmarsch die afghanischen Flaggen an offiziellen Gebäuden eingeholt und durch ihr weißes Banner mit arabischem Schriftzug ersetzt.
Nach Angaben des AFP-Mitarbeiters fuhr ein Pick-Up-Truck mit Taliban-Kämpfern an der Menschenansammlung vorbei und verringerte dabei seine Geschwindigkeit. Die Islamisten beliessen es demnach aber bei neugierigen Blicken und setzten ihren Weg fort.
17.36 Uhr
Mehrheit von US-Bürgern sieht Afghanistan-Einsatz kritisch
Eine deutliche Mehrheit der Amerikaner bezweifelt den Sinn des US-Einsatzes in Afghanistan. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage sagten rund zwei Drittel der Befragten, sie glaubten nicht, dass der längste von den USA je geführte Krieg den Kampf wert war. Beim Umgang der Regierung von Präsident Joe Biden mit den Themen Aussenpolitik und nationale Sicherheit zeigt sich in der Umfrage von Associated Press-NORC ein weniger klares Bild.
47 Prozent der Befragten hiessen Bidens aussenpolitisches Vorgehen gut, 52 Prozent stimmten ihm in Sachen nationale Sicherheit zu. Die Umfrage wurde vom 12. bis 16. August durchgeführt, während sich der zwei Jahrzehnte dauernde Einsatz der US-Truppen in Afghanistan seinem Ende zuneigte und die Taliban eine Provinzhauptstadt nach der anderen und schliesslich auch Kabul einnahmen. Kritiker aus beiden Parteien werfen Biden vor, auf das rasche Vorrücken der Taliban nicht vorbereitet gewesen zu sein und damit eine humanitäre Krise unter vielen Afghanen ausgelöst zu haben. Biden selbst hat seine Abzugsentscheidung verteidigt.
17.08 Uhr
Pentagon: Inzwischen rund 5200 US-Soldaten am Flughafen Kabul
Das US-Militär ist am Flughafen Kabul nach eigenen Angaben inzwischen mit rund 5200 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Das erklärte ein Vertreter des Verteidigungsministeriums am Donnerstag. In einigen Tagen sollen es womöglich bis zu 6000 Soldaten sein. Sie sollen die Sicherheit des Flughafens gewähren und unter anderem die Evakuierung von Amerikanern und früheren afghanischen Mitarbeitern der US-Streitkräfte organisieren.
Bei der Evakuierungsmission aus Afghanistan hat das US-Militär in den vergangenen 24 Stunden nach eigenen Angaben mehr als 2000 Menschen aus Kabul ausgeflogen. Das sagte Generalmajor William Taylor am Donnerstag im US-Verteidigungsministerium. Seit Beginn der US-Evakuierungsoperation am 14. August liege diese Zahl bei rund 7000 Menschen, seit den ersten Evakuierungsflügen amerikanischer Streitkräfte Ende vergangenen Monats bei rund 12'000. Taylor sagte, er habe keine Zwischenfälle zu vermelden. «Wir setzen uns dafür ein, dass möglichst viele Menschen so schnell und so sicher wie möglich evakuiert werden.» Die Mission sei von «nationaler Bedeutung».
16.44 Uhr
Weitere Schweizer Staatsangehörige aus Afghanistan ausgereist
Weitere Schweizer Staatsangehörigen haben aus Afghanistan ausreisen können. Es geht ihnen nach Angaben des Aussendepartements EDA den Umständen entsprechend gut. Weitere Angaben machte die Behörde am Donnerstag «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes» nicht.
Die Ausreise der Schweizerinnen und Schweizer sei in den letzten Tagen «in Zusammenarbeit mit Partnerstaaten» erfolgt, teilte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Um wie viele Personen es sich handelt und auf welchem Weg sie ausreisten, wurde nicht kommuniziert. Das EDA stehe aber mit ihnen in Kontakt, hiess es.
Weitere Schweizer Staatsangehörige hätten sich seit Mittwochabend keine mehr gemeldet bei der Schweizer Botschaft in Pakistan. Am Mittwoch war von 28 Personen die Rede, die noch im Land weilten.
Das Sonderkommando der Schweizer Armee in Kabul arbeite weiterhin mit Hochdruck daran, sein Lokalpersonal, die Schweizer Staatsangehörigen und Personen mit engem Bezug zur Schweiz aus Afghanistan evakuieren zu können, hiess es weiter.
Im vom US-Militär gesicherten Teil des Flughafens unterstützten die Spezialisten die Vorbereitungsarbeiten für die Evakuierung. Vor Ort stellten sie unter anderem den Kontakt mit internationalen Partnern und Organisationen sicher. Weitere Angaben machte das Departement «aus Sicherheitsgründen» nicht.
16.05 Uhr
Bern und Wien wollen sich auf auf Hilfe vor Ort fokussieren
Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat den österreichischen Bundesminister für Inneres Karl Nehammer in Bern empfangen. Wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mitteilte, standen Migrationsthemen – und hier vor allem die Lage in Afghanistan – im Zentrum der Gespräche.
Wie es hiess, seien die Schweiz und Österreich einig, dass in Afghanistan «derzeit die Hilfe vor Ort im Zentrum stehe.» Sie solle in enger Absprache mit den UN-Organisationen auf europäischer Ebene koordiniert werden.
Arbeitstreffen in Bern: Bundesrätin Keller-Sutter und 🇦🇹Innenminister @karlnehammer sind sich einig: In Afghanistan stehe die Hilfe vor Ort im Zentrum. Die humanitäre Hilfe soll in Absprache mit UN-Organisationen auf europäischer Ebene koordiniert werden.https://t.co/jYYlqxCxcKpic.twitter.com/uNXUvZ1ad0
Unesco fordert Schutz des kulturellen afghanischen Erbes
Wenige Tage nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat die Welt-Kulturorganisation Unesco zum Schutz des kulturellen Erbes in dem asiatischen Land aufgerufen. Es müssten alle nötigen Vorkehrungen getroffen werden, um die Stätten vor Schäden und Plünderungen zu bewahren, sagte Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay nach einer Mitteilung vom Donnerstag.
In den vergangenen Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzungen waren bereits viele historische Stätten und Kulturgüter in Afghanistan geplündert und zerstört worden. Im Jahr 2001 schockierten die damals schon mal herrschenden militant-islamischen Taliban mit der Zerstörung zweier monumentaler Buddha-Statuen im Bamian-Tal, die fast 1500 Jahre überdauert hatten.
14.35 Uhr
«Dramatische Szenen» am Flughafen in Kabul
Die Lage am Kabuler Flughafen ist nach Angaben des Bundeswehrgenerals Jens Arlt, der den deutschen Evakuierungseinsatz vor Ort führt, «angespannt». Es spielten sich «dramatische Szenen ab», schilderte er am Donnerstag die Situation. Arlt, der in einer Online-Pressekonferenz des Bundesverteidigungsministeriums telefonisch aus Kabul zugeschaltet war, sagte laut dem «Spiegel» auch: «Ich befürchte, dass sich das Ganze noch zuspitzen wird.»
Es sei alles sehr turbulent, so der General zu den Journalisten. «Sie werden vielleicht den einen oder anderen Schuss im Hintergrund hören. Sie sehen die verzweifelten Augen der Afghanen und auch der Staatsbürger unterschiedlicher Nationen, die einfach versuchen, in den inneren Bereich des Kabul International Airports zu gelangen, das ist schon dramatisch, was wir sehen.»
Der General berichtete von äusseren Kontrollringen der Taliban rund um den Flughafen und Zugängen, die von den USA und anderen Nationen besetzt seien. Die Menschen müssten zunächst den Aussenbereich erreichen. Es gebe Ausgangssperren in der Stadt, Strassen seien zudem verstopft. Er sprach von Hitze und Staub. Menschen, die in Innenbereich des Flughafens wollten, hätten das Gefühl, dass ihnen die Zeit davonlaufe.
14.23 Uhr
Zahlreiche Autodiebstähle und Einbrüche in Kabul
n der afghanischen Hauptstadt Kabul kommt es seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban zu immer mehr Autodiebstählen und Einbrüchen. Augenzeugen berichteten der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag, Männer, die sich als Taliban ausgäben, verschafften sich Zugang zu Häusern und nähmen auch Autos oder Motorräder mit. Unter den Betroffenen waren auch Angehörige des Militärs und ein ehemaliger hochrangiger Regierungsvertreter.
Auch nach Waffen werde von vermeintlichen oder tatsächlichen Islamisten gezielt gesucht, hiess es. Lokale Medien berichteten aber auch von einfachen Bürgern, die angehalten wurden und denen dann das Auto direkt auf der Strasse weggenommen wurde. In den vergangenen Tagen haben die Taliban wiederholt Telefonnummern veröffentlicht, die Bürger bei solchen Vorfällen anrufen sollen.
Öffentlich haben die Islamisten bereits mehrmals erklären müssen, dass kein Taliban-Kämpfer Privathäuser betreten und Autos mitnehmen dürfe. Zuletzt rechtfertigten sie sich damit, dass sie nur Autos und Waffen einsammelten, die der Regierung gehörten. Den Betroffenen zufolge wurden aber auch Privatautos mitgenommen.
13.47 Uhr
Erneut Demonstrationen mit Nationalflagge
In Afghanistan finden offenbar trotz des Siegeszugs der militant-islamischen Taliban weiter Demonstrationen mit der Nationalflagge statt. In sozialen Medien kursieren Videos, wie etwa in der Hauptstadt Kabul eine Menge mit geschätzt 100 Menschen durch eine Strasse zieht und die rot-schwarz-grüne Flagge hochhält. Die Demonstranten rufen «Lang lebe Afghanistan» und «Unsere Flagge, unser Stolz». Zuverlässig überprüfen liessen sich die Aufnahmen und der Zeitpunkt der Aufnahmen zunächst nicht.
Die Nationalflagge entwickelt sich seit der Machtübernahme der Taliban zunehmend zu einem Protestzeichen gegen die Islamisten, die eine eigene Fahne haben – weiss, mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Berichte über weitere Proteste gab es zudem aus anderen kleineren Städten.
Erste Demonstrationen mit der Fahne fanden nach einem Bericht der BBC am Mittwoch in drei Städten im Osten des Landes statt. Dies endete Videos zufolge teils mit Schüssen durch Taliban. In der Stadt Chost wurde örtlichen Journalisten zufolge zudem eine Ausgangssperre verhängt. Über Opfer bei den Demonstrationen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.
13.20 Uhr
Taliban feuern am Flughafen Warnschüsse ab
Am Flughafen von Kabul spielen sich weiter chaotische Szenen ab. Am Donnerstag feuerten Taliban-Kämpfer Warnschüsse ab, um die Menschenmenge zurückzudrängen, die auf das Flughafengelände gelangen wollte. Viele der Menschen dort liefen darauf in Panik davon, wie Augenzeugen beobachteten.
Zahlreiche Afghanen versuchen verzweifelt, über einen der Evakuierungsflüge westlicher Staaten, vor allem der USA, ins Ausland zu gelangen. Rund um den Flughafen haben die Taliban Kontrollposten errichtet. Für viele, auch Bürger westlicher Staaten, gibt es dort kaum ein Durchkommen. Auch die US-Soldaten auf dem Flughafen wollen verhindern, dass Menschenmassen unkontrolliert aufs Flugfeld strömen, wie das am Montag passiert ist. Mindestens sieben Menschen kamen dabei ums Leben.
12.43 Uhr
Massud-Sohn bittet USA um Waffen für Kampf gegen Taliban
Der Sohn einer Symbolfigur des afghanischen Kampfes gegen die Taliban hat die USA um Unterstützung für seine Widerstandsgruppe im Kampf gegen die Islamisten gebeten. Ahmed Massud, Sohn des früheren Kriegsherrn Ahmed Schah Massud, schrieb in einem am Donnerstag veröffentlichten Gastbeitrag in der «Washington Post», er sei bereit, «in die Fussstapfen meines Vaters zu treten». Er verfüge über die nötigen Kräfte für einen wirksamen Widerstand, brauche aber «mehr Waffen, mehr Munition und mehr Nachschub».
Er befinde sich im Pandschirtal nordöstlich von Kabul, das in den 90er-Jahren als Hochburg des Widerstandes gegen die Taliban galt und nie unter die Kontrolle der Islamisten fiel. Seine «Mudschahedin-Kämpfer» seien «bereit, es erneut mit den Taliban aufzunehmen», erklärte Massud.
Zu ihnen seien ehemalige Angehörige der afghanischen Streitkräfte gestossen, die «von der Kapitulation ihrer Kommandeure angewidert» seien. In Onlinenetzwerken waren Bilder von Massud mit dem ehemaligen Vizepräsidenten des Landes, Amrullah Saleh zu sehen, die offenbar eine Guerilla-Bewegung gegen die Taliban planen.
Ahmed Massuds Vater hatte in den 1980er-Jahren gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans gekämpft, von 1996 bis 2001 bekämpfte er dann die Taliban. Am 9. September 2001 wurde er von zwei Selbstmordattentätern des Terrornetzwerks Al-Kaida getötet – zwei Tage vor den Anschlägen in den USA, die zu dem internationalen Militäreinsatz in Afghanistan führten.
12.07 Uhr
Jemenitischer Al-Kaida-Ableger gratuliert Taliban
Der jemenitische Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida (Aqap) hat den Taliban zur Machtübernahme in Afghanistan gratuliert. Der «Sieg» der Islamisten zeige, «dass der Dschihad und der Kampf (...) der richtige Weg zur Wiederherstellung von Rechten und zur Vertreibung von Invasoren und Besatzern» seien, hiess es in einer Aqap-Erklärung vom Donnerstag, die von dem US-Analyseunternehmen Site Intelligence Group verbreitet wurde. Site ist auf die Überwachung islamistischer Websites spezialisiert.
Der Al-Kaida-Ableger kündigte zudem an, eigene militärische Kampagnen fortzusetzen. Die Gruppe bezeichnete das Streben nach Demokratie als «trügerische Fata Morgana» und als «Teufelskreis, der mit einer Null beginnt und mit ihr endet».
11.45 Uhr
EU-Chefdiplomat sieht «Katastrophe» für den Westen
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hat die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan als «Katastrophe für die Werte und die Glaubwürdigkeit des Westens» bezeichnet. Vor dem Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments sprach der Chefdiplomat der Europäischen Union am Donnerstag von einem «Alptraum». Man habe dabei versagt, das Land auf seinem Weg zu einem modernen Staat zu begleiten.
Nach Borrells Angaben sind inzwischen die ersten 106 von etwa 400 afghanischen Ortskräften, die für die EU gearbeitet hatten, in Madrid gelandet. Etwa 300 seien immer noch in Afghanistan.
Joined extraordinary @EP_ForeignAff meeting to discuss situation in Afghanistan.
Evacuation of remaining staff including Afghan local staff, securing humanitarian assistance, and positioning towards new political realities are immediate priorities.https://t.co/PlKP9nJIj6
Die Taliban fordern Menschen ohne Reisegenehmigung am Flughafen von Kabul auf, diesen zu verlassen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Vertreter von Nato und Taliban hätten zudem erklärt, dass seit Sonntag zwölf Menschen bei Massenpaniken oder durch Schüsse am Flughafen ums Leben kamen. Der namentlich nicht genannte Taliban-Vertreter sagte demnach: «Wir wollen niemanden am Flughafen verletzen».
10.02 Uhr
Früherer US-Sicherheitsberater warnt vor nuklearen Risiken
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat der frühere Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, vor einem Griff der Taliban nach Atomwaffen gewarnt. «In Afghanistan drohen neue nukleare Risiken, nicht morgen oder in 30 Tagen, aber mittelfristig», sagte Bolton den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Donnerstagsausgaben). Er verwies dabei auf Afghanistans Nachbarstaaten Pakistan und Iran, die beide Nuklearprogramme haben.
«In Afghanistan ging es nie nur um Afghanistan», sagte Bolton den Zeitungen. Die Präsenz der USA in dem Land habe immer auch dazu gedient, Informationen aus den zwei «problematischen Nachbarländern» mit Nuklearprogrammen zu sammeln. «Unsere Fähigkeit, die Region zu durchleuchten, wird jetzt durch den Abzug reduziert.»
Dass auch die Taliban an Atomwaffen interessiert seien, wisse die US-Regierung bereits seit 2001. «Wir dürfen jetzt bitte nicht naiv sein», forderte Bolton. «Die haben sich doch nicht 20 Jahre lang mühsam versteckt, um jetzt zu sagen: Okay, nun ist ein guter Moment gekommen, um unsere Grundsätze aufzugeben.»
9.45 Uhr
Ortskräfte berichten von Schwierigkeiten am Flughafen
In Afghanistans Hauptstadt Kabul haben einheimische Helfer deutscher Organisationen davon berichtete, dass sie grosse Schwierigkeiten haben, zu ihren Evakuierungsflügen auf den Flughafen zu gelangen. Einerseits seien die Strassen zu den Flughafen-Eingängen völlig verstopft und teils unpassierbar. Andererseits liessen US-Soldaten sie dann direkt bei den Eingängen nicht vor, berichteten zwei Ortskräfte der Deutschen Presse-Agentu
«Die amerikanischen Soldaten lassen nur ihre Leute durch», sagte eine der Personen. Es habe zu der Zeit, als die sie zum Flughafen gerufen wurde, von deutscher Seite niemanden am Eingang gegeben. Eine andere Ortskraft berichtete, sie habe von 20.00 Uhr abends bis 2.00 Uhr morgens versucht, in den Flughafen zu gelangen. Ein US-Soldat habe gesagt, jemand müsse herkommen und überprüfen, ob er wirklich eine Ortskraft der Deutschen sei. Immer wieder seien Schüsse in die Luft gefeuert worden. Auch Tränengas sei eingesetzt worden. Zudem blockierten Afghanen, die keine Dokumente hätten, den Zugang.
7.22 Uhr
US-Militär holt bislang 6000 Menschen aus Afghanistan
Das US-Militär hat nach Angaben aus Regierungskreisen von vergangenem Wochenende bis Donnerstagfrüh afghanischer Zeit fast 6000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. Ziel ist eigentlich, täglich 5000 bis 9000 Menschen in Sicherheit zu bringen. Doch die chaotischen Zustände rund um den Flughafen von Kabul erschwerten nach wie vor die Evakuierungsaktion.
«Wenn wir das nicht hinbekommen, werden wir Menschen buchstäblich zum Tode verurteilen», sagte Marina Kielpinski LeGree, US-Chefin der Non-Profit-Organisation Ascend. Die jungen weiblichen afghanischen Ortskräfte der Organisation seien Teil der Menschenmasse, die am Flughafen auf eine Transportmöglichkeit warte.
«Leute werden sterben», sagte auch der US-Luftwaffen-Veteran Sam Lerman der Nachrichtenagentur AP. Er versuche, einen früheren Mitarbeiter aus Afghanistan zu bringen, der vom US-Aussenministerium ein E-Mail bekommen habe, er solle zum Flughafen kommen. Aber US-Soldaten am Zugang zum Flughafen hätten den Mann abgewiesen. Sein Dokument reiche nicht aus.
5.20 Uhr
Biden: «Chaos» bei US-Truppenabzug unvermeidbar
Das Chaos beim Abzug der US-Truppen war nach Ansicht von Präsident Joe Biden unvermeidbar – aufgrund des Zusammenbruchs der afghanischen Regierung, des Militärs und der schnellen Machtübernahme der Taliban. Er wisse nicht, wie man es hätte schaffen können, den Abzug angesichts dieser Lage «ohne Chaos» zu meistern, sagte Biden am Mittwoch (Ortszeit) in einem Interview des Fernsehsenders ABC. Gleichzeitig versicherte er, die US-Soldaten am Flughafen Kabul könnten notfalls auch über den geplanten Abzugstermin am 31. August hinaus bleiben, falls bis dahin noch nicht alle ausreisewilligen Amerikaner evakuiert worden seien.
Das US-Militär erklärte unterdessen, es habe keine Warnungen der Geheimdienste gegeben, die einen so schnellen Kollaps von Regierung und Streitkräften in Afghanistan vorhergesehen hätten. «Es gab nichts, das ich gesehen habe, oder irgendjemand anders, das auf einen Zusammenbruch dieser Armee und dieser Regierung innerhalb von elf Tagen hingewiesen hätte», sagte Generalstabschef Mark Milley. Es habe mehrere Szenarien gegeben, darunter eine rasche Machtübernahme der Taliban nach einem Kollaps. «Aber der zeitliche Rahmen eines schnellen Zusammenbruchs wurde weithin auf Wochen, Monate oder sogar Jahre nach unserem Abzug eingeschätzt», sagte Milley.
4.40 Uhr
In Frankfurt landen weitere Flugzeuge mit Evakuierten
Am Frankfurter Flughafen sind in der Nacht zum Donnerstag zwei weitere Maschinen mit insgesamt rund 500 Menschen gelandet, die aus Afghanistan in Sicherheit gebracht worden sind. Die Flugzeuge – eines von Lufthansa und eines von Uzbekistan Airways – waren wenige Stunden zuvor in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gestartet. An Bord der Lufthansa-Maschine waren nach Airline-Angaben rund 250 Menschen, die zuvor mit einer Bundeswehr-Maschine von Kabul nach Taschkent geflogen worden waren. Im Flieger der staatlichen Fluggesellschaft Uzbekistan Airways sassen laut Auskunft des Flughafenbetreibers etwa 240 Menschen.
Die Bundeswehr hatte in dieser Woche ihre Rettungsaktion für Deutsche und Afghanen begonnen, um sie nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Sicherheit zu bringen.