Meinungsfreiheit China verschärft Zensurregeln für Blogger noch weiter

Von Huizhong Wu und Fu Ting, AP

18.2.2021 - 04:56

Ab kommender Woche gilt eine neue Regel der chinesischen Cyberspace-Behörde. Diese sieht vor, dass Blogger eine von der Regierung ausgestellte Legitimation benötigen, wenn sie über ein weitreichendes Spektrum von Themen schreiben wollen. (Symbolbild)
Ab kommender Woche gilt eine neue Regel der chinesischen Cyberspace-Behörde. Diese sieht vor, dass Blogger eine von der Regierung ausgestellte Legitimation benötigen, wenn sie über ein weitreichendes Spektrum von Themen schreiben wollen. (Symbolbild)
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Freie Meinungsäusserung gibt es schon lange nicht mehr. Nun geht die Regierung in Peking noch einen Schritt weiter: Zu politischen Themen dürfen sich im Internet sogar unkritische Stimmen nur noch dann äussern, wenn sie eine offizielle Lizenz dazu haben.

Ma Xiaolin hatte regelmässig über aktuelle Ereignisse geschrieben. Auf einem der führenden chinesischen Mikroblogging-Dienste erreichte er damit etwa zwei Millionen Follower. Kürzlich habe er einen Anruf von den Betreibern des Portals bekommen, erklärte er in einem Post. Er sei aufgefordert worden, keine eigenen Inhalte zu Themen wie Politik, Wirtschaft oder Sicherheit mehr zu veröffentlichen.

«So wie es aussieht, bleibt mir als Kolumnist und Experte für internationale Beziehungen nichts anderes übrig, als auf Unterhaltung, Essen und Getränke umzuschwenken», schrieb der Professor für internationale Angelegenheiten am 31. Januar. Bisher hatte sich Ma über einen Account beim Dienst Weibo oft zu Entwicklungen im Nahen Osten geäussert. Er war einer der vielen in China beliebten «Influencer», die innerhalb des Rahmens der staatlichen Zensur eine Nische gefunden hatten. Eine neue Offensive der Zensoren könnte nun aber auch ihn zum Schweigen bringen.

Ab kommender Woche gilt eine neue Regel der chinesischen Cyberspace-Behörde. Diese sieht vor, dass Blogger eine von der Regierung ausgestellte Legitimation benötigen, wenn sie über ein weitreichendes Spektrum von Themen schreiben wollen. Beobachter befürchten, dass nur Staatsmedien und offizielle Propaganda-Kanäle eine solche Zulassung erhalten werden.

Bereits seit 2017 ist für Veröffentlichungen über politische und militärische Themen in China eine Genehmigung erforderlich. Bislang wurde dies in der Praxis aber nicht sehr streng kontrolliert. Das soll sich nun ändern. Und die Regel gilt künftig auch für die Themenfelder Gesundheit, Wirtschaft, Bildung und Justizangelegenheiten.

Präsident Xi Jinping hat die «digitale Souveränität» zu einem zentralen Pfeiler seiner Politik gemacht. Die kommunistische Führung setzt dabei auf eine noch drastischere Beschneidung der ohnehin stark eingeschränkten Möglichkeiten zu freier Meinungsäusserung im Internet.

«Die Regulierungsbehörden wollen den gesamten Prozess der Informationsproduktion kontrollieren», sagt Titus Chen, Experte für die Social-Media-Politik Pekings an der National Sun Yat-Sen University in Taiwan.

Die neue Vorgabe könnte dazu führen, dass auch Personen wie Ma, die den Kurs der Regierung gar nicht öffentlich kritisieren, in sozialen Netzwerken keine eigenen Beiträge mehr posten dürfen. Weibo-Chef Wang Gaofei antwortete dem Professor auf der chinesischen Plattform, Kommentare zu Berichten von Staatsmedien seien weiterhin erlaubt, unabhängige Nutzer dürften aber nicht mehr selbst Nachrichten veröffentlichen.

In einer Stellungnahme der Cyberspace-Behörde hiess es, die neue Regel solle dazu dienen, «öffentliche Accounts und Informationsplattformen zu standardisieren und zu lenken, damit sie bewusster auf eine korrekte Ausrichtung der öffentlichen Meinung achten» würden. Eine Woche nach Bekanntgabe der Verschärfung Ende Januar sagte der Leiter der Behörde, Zhuang Rongwen, die «Aufsicht und Steuerung» seines Hauses müsse «Zähne bekommen».

Am 4. Februar kündigte die Cyberspace-Behörde öffentlich an, Suchmaschinen, Social-Media-Plattformen und Browser ins Visier zu nehmen. «Das ist eine grosse Sache, es ist eine massive Kampagne», sagt Xiao Qiang, Experte für Internet-Zensur an der University of California in Berkeley. «Und hier geht es um Leute, die nicht irgendetwas Scharfes geschrieben haben. Sie bemühen sich bewusst, nicht anzuecken.»

In einer Mitteilung des chinesischen Unternehmens Sohu, das ebenfalls Mikroblogging-Dienste betreibt, hiess es im Januar, öffentliche Accounts ohne Regierungslizenz dürften keine Nachrichten über aktuelle Ereignisse veröffentlichen. Verboten seien unter anderem «Artikel und Kommentare zu Politik, Wirtschaft, Militärwesen, Diplomatie und öffentliche Angelegenheiten», ebenso wie «das Aus-dem-Kontext-Reissen oder Verzerren von Inhalten der Partei und der Geschichte des Landes». Der Internet-Konzern Baidu veröffentlichte einen ähnlichen Hinweis.

In welcher Weise künftig Blogger, die ohne entsprechende Lizenz publizieren, bestraft werden sollen, ist unklar. Auf der von Tencent betriebenen Messaging-App WeChat wurde vergangene Woche ein über aktuelle Themen informierender Account gesperrt. Als Begründung wurde der «Verdacht auf Bereitstellung eines Internet-Nachrichten-Angebots» genannt. Hinter dem Account namens «August Old Yu» steckte Yu Shenghong, ein früherer Journalist des Staatssenders CCTV.

Wie sensibel das Thema ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sehr sich fast alle Akteure mit öffentlichen Äusserungen zurückhalten. Ma lehnte eine Interview-Anfrage der Nachrichtenagentur AP ab; Yu reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme. Auch Vertreter der Unternehmen Baidu, Sohu, Weibo und Tencent liessen Anfragen unbeantwortet, ebenso wie die Cyberspace-Behörde.

Dass die chinesische Regierung ihre Internet-Zensur noch weiter verschärft, könnte auch mit Entwicklungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie zu tun haben. Gerade zu Beginn des Ausbruchs wurde vor allem in Online-Medien und über digitale Accounts über das Thema berichtet – wenngleich dabei sowohl Informationen als auch Gerüchte in Umlauf gebracht wurden.

Letztlich würden die neuen Regeln die Sorgen der Zensoren widerspiegeln, sagt Xiao, der Experte aus Berkeley. Allerdings sei nicht ganz klar, wovor die sich eigentlich fürchten würden. Denn «im ganzen vergangenen Jahr war die Überwachung so streng, dass sich kaum jemand über irgendetwas äussern konnte».

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