Angst vor Missbrauch Chinas Gen-Datenbank macht Bürgerrechtlern Sorgen

phi

15.7.2020

China will einen Teil der DNA von zehn Prozent aller Männer sammeln – und kann so offenbar die gesamte männliche Bevölkerung erfassen. Eine Waffe gegen das Verbrechen – wobei fraglich ist, was dazu deklariert wird.

Es ist vordergründig ein hehres Ziel, das Peking verfolgt: China legt eine grosse Männer-Gen-Datenbank an, um Verbrechen zu bekämpfen. Dank derer konnte die Polizei auch schon aufsehenerregende Zugriffe feiern – so wie im vergangenen Jahr. Die Ermittler konnten einen Mord, der 2008 in Gangzhou begangen wurde, einem Landsmann zuordnen, der in Malaysia lebte.

Die Gene eines Verwandten, der wegen Einbruchs verhaftet worden war, führten zu den Erbinformationen des Mörders, der bei seiner nächsten Einreise verhaftet wurde. 2017 wurde das Vorhaben, eine solche Datenbank anzulegen, erstmals öffentlich – mit der Begründung, dass das Gros von Verbrechen von Männern begangen wird. Ziel sei, die Erbinformationen von zehn Prozent der Männer anzulegen, was rund 70 Millionen entsprechen soll, berichtet die Zeitschrift «Nature».

Dadurch soll ein Rückschluss auf die gesamte männliche Bevölkerung möglich sein, also rund 700 Millionen Menschen, warnt das Australian Strategic Policy Institute (ASPI). Es werden angeblich auch die Daten von Nicht-Kriminellen erfasst – darunter auch Jugendliche –, die keine Ahnung hätten, was mit ihren DNA-Daten passiere.

Potenziell alle Männer in einer Gen-Datenbank

«Das ist wirklich einzigartig», verdeutlichte Forensikerin Mechthild Prinz in «Nature». «Sie gehen einfach hin und holen sich Leute, die ganz normale Bürger sind. Das ist unbarmherzig.»

Gen-Labor in Nanjing: Chinas Hunger nach Erbinformationen hat potenzielle Schattenseiten.
Gen-Labor in Nanjing: Chinas Hunger nach Erbinformationen hat potenzielle Schattenseiten.
Archivbild: Keystone

Menschenrechtsgruppen kritisieren besonders, dass in Regionen wie Tibet oder Xinjiang vor allem nach ethnischen Aspekten Proben genommen worden sind – und nicht zuletzt, dass auch politische Widersacher anhand dieses Katalogs gejagt oder ihre Familien drangsaliert werden könnten. Auch in Hongkong oder Macau würden die Proben genommen, schreibt das ASPI.

Polizisten verhaften am 12. Juni in Hongkong eine Demonstrantin.
Polizisten verhaften am 12. Juni in Hongkong eine Demonstrantin.
Bild: Keystone

Genspezifische Daten würden bei Verbrechen auch in anderen Ländern erhoben und gesichert, aber nach Gebrauch oder Lösung eines Falles zerstört –, weil es einen Datenschutz gebe. Nicht so in China: Die Informationen werden verdachtsunabhängig und permanent gespeichert – und die Polizei könne damit machen, was sie will.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Und sie kann eben Rückschlüsse ziehen –, auch wenn der betroffene Mann selbst nie Proben abgegeben hat. So wird den Probanden Blut abgenommen, dann aber nur einige Mikrosatelliten mit sich häufig wiederholenden Basenpaare bestimmt, die nur beim Mann vorkommen (Y-STR).

Das englischsprachige Video erklärt Mikrosatelliten alias short tandem repeats (STR).

Diese ergeben DNA-Muster, die über die väterliche Linie weitergegeben werden und im Abgleich mit Stammbäumen individuelle Zuordnungen erlauben. Die Proben dürften ausserdem gesichert werden – und könnten womöglich später noch auf andere Gen-Daten abgeklopft werden.

Ein «Handelsblatt»-Film über Überwachung in China.

Mit den Daten würden potenziell auch Kinder Eltern zugeordnet werden können, die von denen gar nichts wussten oder wissen wollten – aber sie würden auch Verstösse gegen Chinas frühere Ein-Kind-Politik offenbaren. «Man kann an viele üble Missbrauchsmöglichkeiten denken, wenn man kreativ ist», lässt Computerexperte Itsik Peer von der Colombia University durchblicken.

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