Fragen und Antworten Darum spricht Kurz vom «Platz machen» statt vom Rücktritt

Von Gil Bieler

10.10.2021

Der Druck wurde zu gross: Mit seinem Rücktritt zieht der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz die Notbremse in der Korruptionsaffäre. So geht es nun weiter mit der Regierung und mit Kurz.

Von Gil Bieler

Ist die Regierungskrise vorbei?

Das Auseinanderbrechen der Koalition aus Sebastian Kurz’ konservativer ÖVP und den Grünen dürfte in der Tat vorerst abgewendet sein. Die Grünen hatten dem angezählten Kanzler gedroht, ein am kommenden Dienstag im Parlament erwarteten Misstrauensvotum zu unterstützen. Damit wäre das Ende der Regierung besiegelt worden.

Am Samstagabend kündigte Kurz nun an, das Kanzleramt dem bisherigen Aussenminister Alexander Schallenberg zu übergeben – damit können die Grünen offenbar leben. Sie erklärten bereits, das Bündnis fortsetzen zu wollen. Das Misstrauensvotum damit ins Leere laufen.

Was sind die nächsten Schritte?

Am heutigen Sonntag wollen sich Grünen-Chef Werner Kogler und Schallenberg zu einem Gespräch unter vier Augen treffen. Ausserdem steht ein Treffen zwischen Schallenberg und Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf der Agenda. Eine Stellungnahme sei jedoch nicht geplant.

Formal muss zunächst Kurz seinen Rücktritt bei Van der Bellen einreichen, danach kann der Bundespräsident den neuen Kanzler «angeloben», so der offizielle Begriff. Erwartet wird dieser Schritt Anfang der nächsten Woche. 

Was ist jetzt mit Sebastian Kurz?

Der gewiefte Taktierer tritt zwar ab, aber nicht so richtig. Kurz wechselt vom Kanzleramt ins Parlament, wo er Fraktionschef der ÖVP wird. Ausserdem bleibt der 35-Jährige deren Parteichef. «Er ist damit mächtiger als alle Minister, wird weiter an allen Regierungssitzungen teilnehmen und kann sogar in etwaige Untersuchungsausschüsse eingreifen», analysiert der Leiter der Österreich-Redaktion der Wochenzeitung «Zeit».

Den Oppositionsparteien reicht diese Rochade daher auch nicht. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte, Kurz sei zwar nicht mehr Bundeskanzler, bleibe aber «Schattenkanzler» der Republik. Das «System Kurz» bleibe bestehen. «Sebastian Kurz tritt die Flucht in die parlamentarische Immunität an», sagt der Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl. Und die Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, meint, dass Kurz weiterhin alle Fäden in der Hand behalte.

In seiner Ansprache vom Samstagabend vermied es Kurz auch tunlichst, von einem «Rücktritt» zu sprechen. Er wolle vielmehr «Platz machen». Ein mögliches Comeback als Kanzler schliesst er demnach wohl noch nicht aus – sollte er die Korruptionsvorwürfe gegen ihn entkräften können.

Sebastian Kurz vor seiner Rücktrittsankündigung am Samstagabend.
Sebastian Kurz vor seiner Rücktrittsankündigung am Samstagabend.
Bild: Keystone

Was wird Kurz vorgeworfen?

Die Regierungskrise wurde durch Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgelöst. Der vorläufige Höhepunkt der Affäre wurde mit einer Razzia am Mittwoch erreicht: Fahnder beschlagnahmten im Kanzleramt, in der ÖVP-Parteizentrale, im Finanzministerium und in einem Medienhaus Datenträger, Server, Handys und Laptops.

Enge Mitstreiter des Kanzlers stehen im Verdacht, positive Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die ÖVP-Spitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Dafür soll auch mehr als eine Million Euro an Steuergeldern geflossen sein.

Auch Kurz wird als Beschuldigter geführt. Er bestreitet die Vorwürfe aber vehement, zuletzt in seiner Rücktrittsankündigung von Samstagabend.

Der Aufstieg von Kurz ist eng mit seinem kleinen Team aus absolut loyalen Vertrauensleuten verbunden. Die «Familie», wie sie sich in den aufgetauchten Chats nannte, besteht aus jenem Zirkel, gegen den nun ermittelt wird, sowie einigen weiteren Getreuen. 

Der Verdacht der Staatsanwaltschaft gegen den Kanzler ist klar formuliert: «Sebastian Kurz ist die zentrale Person: Sämtliche Tathandlungen werden primär in seinem Interesse begangen», heisst es in der Durchsuchungsanordnung. Alle beteiligten Personen «mussten sich dem übergeordneten Ziel – ihn zur Position des Parteiobmanns und in weiterer Folge des Bundeskanzlers zu führen und diese danach abzusichern – unterordnen», so die Ermittler.

Wer ist der neue Kanzler?

Alexander Schallenberg ist als Spitzendiplomat ist versiert und gewandt. Besonders wichtig: Sein Name taucht in keiner der Ermittlungsakten auf. Das ist daher von Bedeutung, weil die Grünen einen «untadeligen» Nachfolger forderten, als sie Kurz öffentlich das Vertrauen entzogen. In Fragen der Migration dürfte der 52-jährige Schallenberg den Forderungen der Grünen aber nicht entgegenkommen. Für humanitäre Gesten, wie die Aufnahme zumindest afghanischer Flüchtlinge, war er nicht zu haben.

Vom Aussenminister zum neuen Bundeskanzler: Alexander Schallenberg.
Vom Aussenminister zum neuen Bundeskanzler: Alexander Schallenberg.
Bild: Keystone/EPA/Georg Hochmuth

Und, nettes Detail: Schallenberg kam in Bern zur Welt, weiss das Portal «20 Minuten». Dass er seine ersten Worte auf Schweizerdeutsch sprach, darf aber bezweifelt werden: Als Sohn eines Botschafters habe er seine Kindheit in Paris, Indien und Spanien verbracht, heisst es weiter.

Angereichert mit Material der Nachrichtenagentur DPA.