Fake News und Propaganda Darum wird der aktuelle Konflikt um Taiwan nicht eskalieren

Von Philipp Dahm

4.8.2022

China hält grosses Militärmanöver nahe Taiwan ab

China hält grosses Militärmanöver nahe Taiwan ab

Nach dem umstrittenen Besuch der US-Spitzenpolitikerini Nancy Pelosi in Taiwan hält China ein Militärmanöver nahe der Insel ab. Die kommunistische Führung in Peking reagierte erbost auf Pelosis Besuch im demokratisch regierten Taiwan. Sie sieht Ta

04.08.2022

Wer die Bilder von Chinas wütender Reaktion auf Pelosis Taiwan-Besuch sieht, wird sich fragen, ob der Konflikt eskaliert. Krieg herrscht aber nur an der Informationsfront: Eine militärische Ausweitung ist unwahrscheinlich.

Von Philipp Dahm

4.8.2022

Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit, sagt man. Nun kämpfen China und Taiwan zwar nicht miteinander, doch zumindest Peking tut gerade so als ob, indem die Volksbefreiungsarmee an der Formosastrasse alias Taiwan-Strasse massive Manöver abhält.

Begleitet wird die Übung zu Wasser, zu Lande und in der Luft von heftigen Attacken an der Informationsfront. So ist auch auf Schweizer News-Websites nachzulesen, dass «chinesische Kampfflugzeuge in Taiwans Luftraum» eingedrungen seien. 27 Jets seien nach der Abreise von Nancy Pelosi in Taiwans Hoheitsgebiet geflogen.

Doch diese Darstellung, die immerhin von der französischen Nachrichtenagentur AFP verbreitet wurde, ist irreführend: Pekings Piloten haben den Median nie überflogen, der die beiden Lufträume voneinander trennt. Am frühen Abend korrigiert die AFP den Wortlaut der Meldung, und mitunter bessern Schweizer Newswebsites nun nach und schreiben, die Flieger seien bloss «in Taiwans Luftverteidigungszone eingedrungen».

Und nicht nur Europa, sondern auch Asien ist anfällig für Fake News: Ein taiwanesischer TV-Sender hat während Pelosis Besuch die Insel mit der Meldung aufgeschreckt, dass chinesische Lenk-Flugkörper den Flughafen von Taipeh getroffen hätten und Schiffe im Hafen explodiert wären. Der Ausbruch eines Krieges stehe unmittelbar bevor, so die Botschaft.

Fake News nach Aussen, Propaganda nach Innen

Wahr ist davon aber nichts: Der Kanal CTS gibt später Entwarnung und entschuldigt sich für den Alarm. Diese Vorfälle zeigen, wie angespannt die Lage um Taiwan ist – und dass ein Informationskrieg zwischen den beiden Chinas im Gange ist. Da beweisen alleine schon die Bilder, die vor der Landung der 82-Jährigen in Taipeh verbreitet worden sind.

Man nehme nur das Video, das die Volksbefreiungsarmee Anfang der Woche veröffentlicht, um vorzuführen, dass man «vollkommen vorbereitet und kampfbereit» sei. Die Botschaft des Clips, der Werbung für den Shooter Battlefield sein könnte, richtet sich nach Aussen – eine Nancy Pelosi soll durch die martialischen Bilder abgeschreckt werden – und nach Innen.

Warum nach Innen? Präsident Xi Jinping strebt eine dritte Amtszeit an, obwohl normalerweise nach zwei Schluss ist. Die Pandemie hat die Wirtschaft ins Stocken gebracht: «Darum braucht er diesen Moment, wo er immerhin aussenpolitisch stark erscheinen kann», erklärt China-Experte Thomas Jäger im Interview mit blue News: Xi Jinping steht demnach «innenpolitisch stark unter Druck».

Warum ein Krieg «unwahrscheinlich» ist

Was dafür spricht, dass das scharfe Auftreten der Armee vor allem die Heimatfront beeindrucken soll, ist die militärische Bilderflut: Da sind amphibische Panzer an den Stränden der Provinz Fujian zu sehen, die Taiwan gegenüberliegt. Badegäste stehen halbnackt und staunend vor den Panzern, während das staatliche TV mitfilmt.

Die staatliche «South China Morning Post» verkauft die Videos von Panzern am Strand als «Zeichen der Stärke».

Würde Peking wirklich eine Offensive planen, würden die Generäle sicher nicht preisgeben, wo sich ihre amphibischen Truppen sammeln. Öffentliche Aufmärsche sind ideale Ziele für Artillerie- oder Raketenangriffe. Doch die Bilder sind gut dafür, Entschlossenheit zu suggerieren. Der Pelosi-Besuch sei zwar gefährlich, sagt dann auch Experte Jäger. Aber: «Grundsätzlich sind beide Seiten nicht an einer Eskalation interessiert.»

Ins selbe Horn bläst auch die britische Denkfabrik Royal United Services Institute (Rusi): Eine militärische Konfrontation zwischen China und Taiwan sei trotz der Manöver, die Peking bis Sonntag abhalten wird, «unwahrscheinlich». Die Armee habe keine Erfahrungen mit amphibischen Angriffen, Xi Jinping müsse sich um die darbende Wirtschaft kümmern – und auch ein Konflikt mit den USA sei derzeit nicht erstrebenswert. 

«Entschlossenheit ohne Eskalation»

Und so wird diese von einer US-Politikerin heraufbeschworene Krise wohl den Gang nehmen, den der Politologe Taylor Fravel vom renommierten Massachusetts Institute of Technology prognostiziert. China will mit seiner Reaktion «seine rote Linie in Sachen Taiwan bekräftigen», ohne die Beziehung zu den USA weiter zu verschlechtern.

Auch Taiwan setzt gerade auf militärische Propaganda und zeigt Bilder aus einer unterirdischen Basis für Jets vom Typ F-16V Viper, die mit Luft-Luft- und Anti-Schiffsraketen bestückt sind. Es sind auch jene Bunker und Befestigungen, die eine Invasion Taiwans sehr blutig werden lassen würden.

Die Armee sei ohnehin in ihrer Trainingsphase, weshalb der massive Aufmarsch vor Taiwan relativiert werden müsse. Die Schiessübungen und Raketentests, die Peking gerade durchführt, sowie das Kratzen am Luftraum der Insel hat Fravel bereits am Montag vorhergesagt.

Das gilt auch für die ökonomischen Sanktionsmassnahmen gegen Taiwan und den politischen Druck auf Taipeh. «Das Ziel ist, Entschlossenheit zu demonstrieren, ohne eine Eskalation auszulösen» schreibt der Professor. Sicherheit gibt es in der Sache aber nicht: «Die Prominenz der militärischen Komponente beinhaltet wahrscheinlich ein Potenzial für Fehlkalkulationen.»