Überraschungsangriff Das ganze Ausmass des Mega-Drohnenschlags auf Russland

Philipp Dahm

31.8.2023

Die Ukraine hat Russland in gleich drei Regionen und auch auf der Krim mit Drohnen attackiert. In mehreren Phasen wurden bei der Aktion eine Fabrik, Öl-Depots, strategische Transporter und diverse Militärbasen getroffen.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Ukraine hat in der Nacht vom 29. auf den 30. August mehrere Drohnenangriffe in mehreren Wellen auf mehrere Ziele in Russland geflogen.
  • Im Oblast Pskow wurde eine Militärbasis getroffen.
  • Im Oblast Pskow wurde ausserdem ein Flughafen angegriffen. Mehrere strategisch wichtige Transportflugzeuge wurden beschädigt oder zerstört.
  • Im Oblast Brjansk wurden angeblich ein Öl-Depot und eine Fabrik für Mikroelektronik getroffen.
  • Im Oblast Tula sollen Militärbasen beschädigt worden sein.
  • Auf die Halbinsel Tarchankut auf der Krim wurde ebenfalls eine Basis angegriffen.
  • Die Attacken sind angeblich das Ergebnis von zwei Monaten Planung, bei der Ziele und Routen ausgekundschaftet worden sind.
  • Die Aktion dürfte sich negativ auf die Moral russischer Soldaten auswirken.

Dass Wladimir Putin und seiner Militärführung ein ukrainischer Angriff wehgetan hat, lässt sich auch aus Moskaus Reaktion erschliessen. Im Falle der grossen Drohnen-Attacke auf Ziele in Russland in der Nacht vom 29. auf den 30. August kann man sie wütend nennen.

Noch wütender dürfte Präsident Putin aber machen, dass die Vergeltung nicht annähernd so effektiv war wie Kiews Überraschungsangriff: Nach eigenen Angaben haben die ukrainischen Streitkräfte sämtliche 28 Marschflugkörper und 15 von 16 Shahed-Drohnen abgefangen.

Apropos Vergleich: Wenn es nach Moskau geht, dann war der ukrainische Drohnen-Angriff nur zum Teil erfolgreich. Die Nachrichtenagentur Tass räumt immerhin ein, in Pskow, das rund 700 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt liegt, seien vier Iljuschin Il-76 beschädigt worden.

Aus militärischer Sicht ist die Il-76 ein kluges Ziel: Der Schulterdecker ist das Arbeitspferd der Armee, das bis zu 60 Tonen Last tragen kann und enorm wichtig ist. Die strategischen Transporter waren etwa bei der Offensive in Cherson vor einem Jahr dafür verantwortlich, dass Russland Panzer und Schützenpanzer an die Kreminna-Swatowe-Linie verlegen und die Ukrainer dort stoppen konnte.

Zehn Detonationen nach dritter Welle

Bilder und Videos in sozialen Netzwerken machen – zum Leidwesen des russischen Militärs – jedoch schnell klar: Was da gebrannt hat, ist nicht bloss «beschädigt» worden. Und offenbar ist auch weit mehr als die vier Flugzeuge getroffen worden – und Pskow war auch nicht das einzige Ziel.

Reporting from Ukraine weiss, dass die Aktion in Gänze seit zwei Monaten geplant war und mehrere Phasen hatte. Bei der ersten Welle werden demnach nur zwei Drohnen nach Pskow geschickt, die beide erst über der Basis abgeschossen werden. Damit ist klar, dass die 700 Kilometer lange Route sicher für die zweite Welle ist.

In dieser fliegen zehn Drohnen hintereinander, von denen zwar einige, aber nicht alle abgefangen werden. Die ersten Explosionen und Feuer werden gefilmt, doch dann folgt die dritte Welle: Sie löst zehn Detonationen aus, wie Anwohner angeblich berichten.

Panik in Pskow, Treffer in Brjansk und Tulka 

Die Behörden in Pskow reagieren panisch und lassen Uniformierte antreten, die zum einen das Gelände schützen, aber im Umfeld auch Zivilisten vom Filmen abhalten sollen, doch der Flughafen hat das Gröbste nun hinter sich. Dafür wird eine weitere Basis in der Region Pskow von Drohnen attackiert, die 104th Guards Air Assault Regiment beherbergt.

Ein dritter Drohnenangriff gilt der Umgebung von Brjansk, das rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt ist. Hier schiesst die russische Luftabwehr zwei Drohnen ab, die jedoch erneut bloss die Vorboten einer zweiten Welle sind, die zwei Treffer bei einem Öl-Depot landet. Auch eine der grössten Fabriken für Mikroelektronik wird angeblich beschädigt.

Auch im Oblast Tula werden zwei Drohnen abgeschossen, doch erneut filmt die Bevölkerung, wie Drohnen danach in vorgelagerten Militärbasen einschlagen, berichtet Reporting from Ukraine. Flankiert werden diese Angriffe von einer Attacke auf die Halbinsel Tarchankut auf der Krim, wo ebenfalls erst zwei Drohnen abgefangen werden, bevor eine zweite Welle eine militärische Einrichtung trifft.

Lange geplanter Angriff mit Folgen für die Moral

Um diese Angriffe in koordinierter Form so erfolgreich durchführen zu können, müssen Wolodymyr Selenskyjs Streitkräfte die gegnerische Luftabwehr studiert und mögliche Ziele ausgekundschaftet haben, was den Vorlauf von zwei Monaten erklärt. 

Die verschiedenen Angriffe in der Übersicht.
Die verschiedenen Angriffe in der Übersicht.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Die Attacke ist der mit Abstand grösste ukrainische Drohnenanschlag seit Kriegsbeginn, der nun auch im Zusammenhang mit vorherigen Angriffen gesehen werden kann. Nahe der Militärbasis auf der Halbinsel Tarchankut auf der Krim ist zum Beispiel am 23. August eine S-400 Triumf zerstört worden, die das modernste russische Luftabwehrsystem überhaupt ist.

Kiew ist es damit nicht nur gelungen, strategische Einrichtungen sowie Militärbasen und wichtiges Gerät zu schädigen, sondern auch die Moral des Gegners leidet. «Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es irgendeine Art von Sieg geben wird», schreibt ein Kämpfer und Telegram-Host nach dem Angriff. «Es wird nur schlechter werden. Sie haben all’ meinen Glauben an das Gute zerstört.»