Trennung mit Hindernis Londoner Scheidungsdrama – Hamsterkäufe wegen Brexit-Chaos

phi/DPA

16.1.2019

Wie geht es weiter im europäischen Scheidungsdrama? Sofern Theresa May die Vertrauensabstimmung übersteht, hat sie fünf Optionen, um sich von Brüssel zu trennen. Die Briten rüsten sich für den Ernstfall.

Die Trennung von Grossbritannien und Europa könnte sich zu einem handfesten Drama entwickeln. Ein erstes potenzielles Opfer ist Theresa May: Die Premierministerin muss sich heute um 20 Uhr Schweizer Zeit einem Misstrauensvotum stellen. Es gilt jedoch als ausgeschlossen, dass die Opposition im Regierungslager genug Abweichler findet, um die Chefin der Konservativen zu stürzen.

Theresa May am 15. Januar im House of Commons: Die Premierministerin muss sich dem Parlament beugen.
Theresa May am 15. Januar im House of Commons: Die Premierministerin muss sich dem Parlament beugen.
Bild: keystone

Ein guter Indikator für eine Einordnung der gestrigen Brexit-Abstimmung ist die Reaktion der globalen Märkte. Und die zeigt, dass bis zum 29. März noch viel passieren kann: Die Wirtschaft zeigte sich unbeeindruckt von dem Ergebnis aus London. «Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung», zitiert die Nachrichtenagentur SDA Thomas Gitzel, den Chefökonom der VP Bank. Die Börsen in Asien legten dann auch leicht zu, und auch an der Wall Street wurden Gewinne gemacht. 

Wie geht es nun aber für London mit der ungeliebten Beziehung zur EU weiter? Diese fünf Folgeszenarien sind denkbar:

1.) London macht doch nicht Schluss

Die Rückzugsoption hat der Europäische Gerichtshof durch ein Urteil im Dezember eröffnet: Grossbritannien könnte seinen Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union jederzeit einseitig zurückziehen, also auch noch unmittelbar vor dem Austrittsdatum. Das Land bliebe einfach wie bisher Mitglied der EU. Ein neuerlicher Austrittsantrag wäre bei dieser Variante übrigens nicht ausgeschlossen.

Anti-Brexit-Werbung wird am 15. Januar durch Liondon gefahren.
Anti-Brexit-Werbung wird am 15. Januar durch Liondon gefahren.
Bild: keystone

Doch diese Option «ist sehr unwahrscheinlich», sagte der SPD-Fraktionschef im Europaparlament, Udo Bullmann, der Nachrichtenagentur dpa. Der Grund: Das Parlament müsste zustimmen. «Das ist eine sehr hohe Hürde», befand auch Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC). In der britischen Innenpolitik spielte diese Option bisher kaum eine Rolle

2.) Aufgewärmt: Play It Again, Sam

Da die Niederlage mit 432 zu 202 Stimmen dramatisch ausfiel, macht ein neues Votum über denselben Deal keinen Sinn. Einen Stimmungsumschwung können nur zwei Faktoren auslösen, glaubt Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC). «Zusätzlicher Zeitdruck könnte helfen» – nämlich das immer näher rückende Austrittsdatum. «Und der wirtschaftliche Druck wird sich erhöhen.» EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker fordert dann auch schon: «Ich rufe das Vereinigte Königreich dringend auf, uns seine Vorstellungen über das weitere Vorgehen so rasch wie möglich mitzuteilen.»

3.) Die Beziehungspause: aufgeschobene Trennung 

Premierministerin May hat eine Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus stets abgelehnt, doch es wäre dabei nicht das erste Mal, dass die konservative Regierungschefin ihren Kurs ändert. Einer Vertagung müssten die übrigen 27 EU-Staaten zustimmen: Hinter vorgehaltener Hand kolportieren Diplomaten, dass die EU-Staaten dazu bereit wären, wenn es konkrete Gründe gäbe – etwa eine Neuwahl oder ein zweites Referendum.

Doch die Uhr tickt: Vom 23. bis 26. Mai geht die Europawahl über die Bühne. Wenn das neue Europaparlament im Juli erstmals zusammenkommt, müsste auch Grossbritannien seine Volksvertreter entsenden – ohne dass diese durch eine Wahl legitimiert worden wären. Um eine Teilnahme am Urnengang doch noch einzufädeln, fehlt London die Zeit.

4.) Zweites Referendum oder Neuwahlen

Zeitmangel spielt auch beim vierten Szenario eine Rolle: Für ein neues Brexit-Referendum gibt es eine Frist bis Ende Juni: Das ist sehr knapp. EPC-Fachmann Zuleeg rechnet vor, dass ein zweites Referendum nach Richtlinien der britischen Wahlkommission rund fünf Monate Vorlauf bräuchte. Auch sei unklar, über welche Frage die Briten entscheiden sollten. Eine zweite Abstimmung könnte ausserdem erneut abgeschmettert werden, warnt Experte Zuleeg.

Man Zwei Flaggen, zwei Referenden? Man kann keine zwei Meinungen darüber haben, wie doppeldeutig dieses Bild ist!
Man Zwei Flaggen, zwei Referenden? Man kann keine zwei Meinungen darüber haben, wie doppeldeutig dieses Bild ist!
Bild:  keystone

«Man kann nicht davon ausgehen, dass sich das britische Wahlvolk umentscheidet.» Eine Neuwahl hätte dagegen eine reelle Chance, eine gütliche Brexit-Lösung voranzutreiben – zumal die oppositionelle Labour-Partei mehrheitlich eine engere Bindung an die EU befürwortet. Labour-Chef Jeremy Corbyn kann sich beispielsweise eine Zollunion inklusive Anbindung an den EU-Binnenmarkt vorstellen.

5.) Ein Ende mit Schrecken: Trennung ohne Deal

Jener Corbyn verwies in der Parlamentsdebatte am Dienstag darauf, dass das Unterhaus mehrheitlich gegen einen No-Deal-Brexit sei, also gegen einen ungeregelten Austritt ohne Vertrag, bei dem dramatische wirtschaftliche Verwerfungen befürchtet werden. Aber wie die geordnete Lösung aussehen soll, ist damit immer noch unklar. Angesichts der tiefen Spaltung der Politik und der Tatsache, dass einige Abgeordnete einen «No Deal» nicht schlimm finden, wird nicht ausgeschlossen, dass Grossbritannien aus Versehen oder aus Zeitnot doch noch über die Klippe schlittert.

Für Wirtschaft, Arbeitnehmer und Bürger brächte dies dramatische Unsicherheit und voraussichtlich einen Konjunktureinbruch.  Diese Unsicherheit ist bereits spürbar: Laut «BBC» haben einige Briten begonnen, sich mit Hamsterkäufen auf dieses Szenario einzurichten. Findige Verkäufer bieten bereits eine «Brexit-Box» zum Kauf an: Für 300 britische Pfund (380 Franken) bekommen Käufer Fertignahrung für 30 Tage – inklusive Gel zum Feuermachen und einem Wasserfilter.

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