Äthiopien Abiys Weg von der Nobelpreisbühne an die Front

Von Cara Anna, AP

28.11.2021 - 18:17

Der Friedensnobelpreisträger berichtet auf sozialen Medien von der Front.
Der Friedensnobelpreisträger berichtet auf sozialen Medien von der Front.
Prime Minister of Ethiopia/AP/Keystone

Mit seinem Gang an die Front im Bürgerkrieg hat der äthiopische Ministerpräsident Abiy die internationale Gemeinschaft aufs Neue überrascht. Seine Hoffnung auf einen baldigen Sieg gegen die Tigray-Kämpfer teilen Vermittler jedoch nicht unbedingt.

Von Cara Anna, AP

Nach nur drei Jahren an der Macht hat Abiy Ahmed schon viel Übung darin, die Welt in Erstaunen zu versetzen. In dieser Woche überraschte der äthiopische Ministerpräsident erneut: Er kündigte an, nach einem Jahr Bürgerkrieg die Regierungstruppen an der Front zu unterstützen. Am Freitag gab es erste Bilder von ihm dort in Uniform.

Angesichts der langen Geschichte des nordostafrikanischen Landes ist Abiys Regierungszeit zwar kurz. Aber er hat fast sein gesamtes Leben damit verbracht, sich darauf vorzubereiten. Schon in seiner Kindheit zeigte sich seine Mutter überzeugt, dass er einst Äthiopien führen werde. Heute erwägt er sogar, als Märtyrer zu enden, um sein Land irgendwie zusammenzuhalten.

Mit seiner Ankündigung, die lange repressiv agierende Zentralregierung grundlegend zu reformieren, war Abiy 2018 scheinbar aus dem Nichts ins Amt gekommen. Er versprach zudem einen Friedensschluss mit dem benachbarten Eritrea nach Jahren des erbitterten Konflikts. Dafür erhielt der junge Ministerpräsident den Friedensnobelpreis.

Weniger als ein Jahr später kündigte Abiy nach einem lange schwelenden Konflikt eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) an. Diese hatte die vorherige Zentralregierung dominiert, war aber rasch mit dem Ministerpräsidenten aneinandergeraten. Seit November 2020 wurden Zehntausende Menschen getötet. Fast eine halbe Million Menschen in Tigray stehen vor der weltweit schwersten Hungerkrise seit zehn Jahren.

Jetzt hat der 45-jährige Abiy persönlich in den Kampf eingegriffen, am Dienstag traf er nach Angaben eines Regierungssprechers an der Front ein. Krieg ist ihm nicht fremd. Als Jugendlicher hatte er sich Kämpfern angeschlossen, die schliesslich das marxistische Derg-Regime im Land stürzten. Anschliessend verpflichtete er sich bei den neuen äthiopischen Streitkräften. Er war im Krieg gegen Eritrea als Funker an der Grenze in Tigray im Einsatz und wurde später Oberstleutnant.

Jetzt sind die Rollen umgekehrt. Die Tigray-Kämpfer, die Abiy einst als Freunde bezeichnete, sind jetzt der Feind. Und die eritreischen Soldaten, die er früher bekämpfte, durften sich nun als Verbündete Äthiopiens dem Krieg anschliessen. Jahre nach seinem Wechsel von der Armee in die Politik ist Abiy heute mit einer neuen militärischen Herausforderung konfrontiert: eine Streitmacht zu befehligen.

Rechtmässiger Herrscher?

Doch der Regierungschef ist bekannt als Mann mit einem starken Glauben an das Schicksalhafte. Er sei offensichtlich überzeugt «von seinem Recht, Herrscher von Äthiopien zu sein und die Verantwortung zu tragen, die das nach sich zieht», sagt Christopher Clapham, emeritierter Professor der Universität von Cambridge. Den Zerfall von Äthiopien, einem Land mit einer 3000-jährigen Geschichte, mitanzusehen wäre ein «schwerer Schlag» für Abiy. Mit dem Gang an die Front stehe er in der Tradition von Kaisern.



Doch Kaiser können stürzen, wie Regierungen auch. Die rivalisierenden Kämpfer in Tigray, deren Vormarsch auf die Hauptstadt Addis Abeba in den vergangenen Wochen zu einer Ausrufung eines Notstands führte, wollen Abiy notfalls mit Gewalt entmachten.

Auch Tigrayer bejubelten ihn

Der Ministerpräsident predigt stets die nationale Einheit, die er auch selbst repräsentiert. Der Sohn einer Christin und eines Muslimen mit ethnisch gemischtem Hintergrund schockierte das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas, indem er sich für Vergehen der vorherigen Regierung entschuldigte. Auch Tigrayer bejubelten ihn zunächst. «Krieg ist der Inbegriff der Hölle für alle Beteiligten», sagte Abiy in seiner Nobelpreis-Ansprache 2019.

Nun haben die verhärteten Positionen der gegnerischen Seiten, von denen jede sich gute Chancen auf den Sieg ausrechnet, die Bemühungen von Vermittlern der Afrikanischen Union und aus den USA auf die Probe gestellt. Abiy geht nach eigenen Worten davon aus, die Tigray-Kräfte in ihre Region zurückdrängen zu können, wie der US-Gesandte Jeffrey Feltman vor wenigen Tagen sagte. Er fügte aber hinzu: «Ich stelle diese Überzeugung in Frage.»

Die Front nähert sich laut Feltman der Hauptstadt. Die Kämpfer rückten diese Woche auf die Ortschaft Debre Sina vor, die weniger als eine Tagesfahrt von Addis Abeba entfernt ist, sagte er. Sie versuchten zudem, einen wichtigen Versorgungsweg aus dem benachbarten Dschibuti abzuschneiden, eine weitere Bedrohung für die diplomatische Hauptstadt Afrikas. Entsprechend rufen immer mehr Länder ihre Staatsbürger auf, Äthiopien umgehend zu verlassen. Die USA haben die Amerikaner im Land wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nicht auf eine Evakuierung wie aus Afghanistan zählen können.

Der Krieg sei «ein Kampf, der darüber entscheidet, ob wir existieren oder nicht», sagte Abiy, als er seinen Gang an die Front verkündete. «Aber wir werden definitiv gewinnen. Es ist undenkbar, dass Äthiopien besiegt wird. Wir leben in einer Zeit, in der zur Führung des Landes ein Opfer gebracht werden muss.»