Israel gegen die HamasDas Wichtigste zum Konflikt auf einen Blick
tsha/dpa
14.5.2021
Bisher wurden 1800 Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert, die israelische Armee setzt nun auch Bodentruppen ein. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
tsha/dpa
14.05.2021, 10:54
14.05.2021, 12:28
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Was ist passiert?
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eskaliert erneut. Militante Palästinenser im Gazastreifen haben am Montagabend damit begonnen, Raketen auf Israel abzuschiessen. Bislang sind dabei in Israel nach offiziellen Angaben acht Menschen ums Leben gekommen.
Zu den Angriffen bekannte sich neben der Gruppe Islamischer Dschihad auch die Hamas. Die Terrororganisation stellt seit 2007 die Regierung im Gazastreifen. Die Angriffe, so die Hamas, seien eine «Botschaft» an den Feind Israel und eine «Reaktion auf seine Verbrechen und Aggression gegen die heilige Stadt» Jerusalem.
Israel hat mit Luftangriffen reagiert. Bislang wurden über 1000 Angriffe auf Ziele im Gazastreifen gestartet, beschossen worden seien Einrichtungen zur Produktion von Raketen, Lager- und Trainingseinrichtungen sowie militärische Stellungen und Tunnels. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza wurden seit Beginn der Eskalation des Konflikts 119 Menschen getötet und 830 weitere verletzt.
Auch in Ostjerusalem eskalierte der Konflikt. Am Montag kam es dort erneut zu schweren Zusammenstössen zwischen Palästinensern und israelischen Polizisten. Palästinenser griffen die Sicherheitskräfte mit Steinen an, die wiederum mit Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen reagierten. Auf Seiten der israelischen Kräfte sollen zwei Dutzend Menschen verletzt worden sein, die Palästinenser melden etwa 300 Verletzte.
Wie gefährlich sind die Angriffe für Israel?
Bislang wurden mehr als 1800 Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert. Ein Grossteil davon, rund 90 Prozent, wurde laut Angaben der israelischen Armee abgefangen. Dabei kam das von Israel entwickelte mobile Abwehrsystem «Iron Dome» (Eisenkuppel) zum Einsatz, das das Land vor Kurzstreckenraketen schützen soll. Ein Radargerät erkennt anfliegende Geschosse und gibt die Information an einen Raketenwerfer weiter, der eine Abfangrakete startet, um das feindliche Geschoss möglichst vor dem Einschlag noch in der Luft zu zerstören.
Weitere Raketen, die von der Hamas abgefeuert wurden, schlugen noch im Gazastreifen selbst ein, wo offenbar mehrere Menschen verletzt wurden.
Wieso ist der Konflikt eskaliert?
Die Spannungen im Westjordanland und im arabisch geprägten Osten Jerusalems hatten sich seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan verschärft. Viele Palästinenser sind zornig, weil die Polizei Bereiche der Altstadt abgesperrt hatte, um Versammlungen zu verhindern. Seit Freitag vergangener Woche gab es nachts in Jerusalem jeweils Auseinandersetzungen. In zahlreichen arabischen Ortschaften in Israel sowie in Teilen des Westjordanlands kam es ebenfalls zu Konfrontationen.
Zudem drohen einigen palästinensischen Familien im Stadtteil Scheich Dscharrah Wohnungsräumungen durch israelische Behörden. Das Stadtviertel ist arabisch geprägt, ein Teil des Grundes aber gehörte vor dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 Juden. Eine nationalistische jüdische Organisation meldete nun Ansprüche auf diese Grundstücke an, was ihr nach israelischem Recht möglich ist. Palästinenser können hingegen keine Ansprüche anmelden, weswegen ihnen nun die Räumung droht.
Welche Rolle spielt der Status von Jerusalem?
Zentrum des Konflikts ist auch der Tempelberg in Jerusalem mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee, ein für Juden wie Muslime bedeutender Ort. Der Tempelberg ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.
Die Eskalation des Konflikts fällt zusammen mit dem Jerusalem-Tag, einem israelischen Feiertag, der von Sonntag bis Montag begangen worden ist. Dabei wird die Eroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg 1967 und somit die Wiedervereinigung der Stadt gefeiert. Für Palästinenser, die hoffen, Ostjerusalem könne Hauptstadt eines zukünftigen eigenen Staates werden, sind die Feierlichkeiten eine Provokation. Israel hingegen beansprucht Jerusalem als «ewige und unteilbare Hauptstadt» für sich.
Welche Rolle spielt Premierminister Netanjahu?
Ende März wurde in Israel ein neues Parlament gewählt, zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren. Obwohl die Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stärkste Kraft in der Knesset wurde, kamen erneut keine klaren Mehrheitsverhältnisse zustande. Beobachter erwarten schwierige Koalitionsverhandlungen oder gar erneute Neuwahlen in wenigen Monaten.
Kritiker von Ministerpräsident Netanjahu werfen dem Likud-Vorsitzenden nun vor, die Konflikte mit den Palästinensern absichtlich eskaliert zu haben, um sein Profil als Politiker, der hart durchgreift, schärfen zu können. Zuletzt sagte er: «Ich habe gesagt, dass Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird.» Man werde die Angriffe «mit grosser Intensität fortsetzen», sagte er in einer Videobotschaft. «Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen.» Er bereitete die israelischen Bürger auf einen längeren Konflikt vor.
Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?
Die EU und die USA verurteilten die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen und forderten ein sofortiges Ende der Gewalt in dem abgeschotteten Küstengebiet und im von Israel besetzten Westjordanland. «Auch wenn alle Seiten Schritte zur Deeskalation unternehmen (müssen), hat Israel natürlich das Recht, sein Volk und Territorium vor diesen Angriffen zu schützen», betonte US-Aussenminister Antony Blinken. Derweil ist US-Präsident Joe Biden unter Druck aus beiden Parteien geraten. Republikaner werfen ihm vor, Israel nur halbherzig zu unterstützen, während Vertreter der Demokraten ihn für die fehlende Empörung über die israelischen Angriffe kritisieren.
UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer Eskalationsspirale, verurteilte laut einem Sprecher den Abschuss von Raketen aus dem Gazastreifen «aufs Schärfste» und forderte von Israelis und Palästinensern «maximale Zurückhaltung». Die UN betonten erneut ihre «tiefe Besorgnis» über die mögliche Vertreibung von palästinensischen Familien aus dem Stadtteil Scheich Dscharrah im «besetzten Ostjerusalem». Eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates endete Diplomaten zufolge aufgrund des Widerstands der USA ohne eine gemeinsame Stellungnahme, die die Gewalt verurteilt und Besorgnis über mögliche Vertreibungen ausgedrückt hätte. Am Sonntag soll die nächste Sitzung des Sicherheitsrates stattfinden.
Bereits am Sonntag rief die Schweiz «alle Parteien zur Ruhe auf», wie das Aussendepartement EDA mitteilte. «Das EDA fordert alle Parteien auf, sofort zu handeln, um die Spannungen zu entschärfen, und auf provokative Handlungen oder Äusserungen zu verzichten. Die völkerrechtswidrige Vertreibung von palästinensischen Familien aus dem Stadtteil Sheikh Jarrah und aus anderen Teilen Ostjerusalems schüren die Spannungen weiter.»
Transparenz: Dieser Artikel erschien bereits am Montag, 11. Mai, und wurde aufgrund der laufenden Ereignisse aktualisisiert.