Namibia Deutschland erkennt Kolonialverbrechen als Völkermord an

dpa

28.5.2021 - 08:10

Ein Denkmal erinnert im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhuk an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama von 1904 bis 1907.  (Archiv)
Ein Denkmal erinnert im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhuk an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama von 1904 bis 1907.  (Archiv)
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Nach jahrelangen Verhandlungen will sich Deutschland mit seiner früheren Kolonie – dem heutigen Namibia – aussöhnen. Es geht um ein Schuldeingeständnis, eine Bitte um Vergebung – und um einen Milliardenbetrag.

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Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord an. Die Nachkommen will Deutschland in den kommenden 30 Jahren mit 1,1 Milliarden Euro unterstützen und offiziell um Vergebung bitten. Darauf haben sich Regierungsdelegationen aus beiden Ländern nach fast sechs Jahren Verhandlungen verständigt, wie Aussenminister Heiko Maas am Freitag bekannt gab. «Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen», sagte er.

Vernichtungskrieg mit Zehntausenden Toten

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die Kolonialherren einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt. Historikern zufolge wurden etwa 65'000 von 80'000 Herero und mindestens 10'000 von 20'000 Nama getötet.

Bereits seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt den Begriff des Völkermords in seinem allgemeinen Sprachgebrauch für den Vernichtungskrieg in Namibia. Jetzt werden die Gräueltaten auch ganz offiziell als Völkermord bezeichnet.

Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Zeitpunkt der Gräueltaten gegen die Herero und Nama, gab es diesen juristischen Begriff noch gar nicht. Erst 1948 beschloss die UN-Generalversammlung als Konsequenz aus dem Holocaust die «Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes» und machte Völkermord damit zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend, deswegen ergeben sich für Deutschland aus der Anerkennung des Völkermords auch keine rechtlichen Konsequenzen.

Eine Milliarde als Geste

Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund auch immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gibt. Dass sie nun trotzdem eine Summe von 1,1 Milliarden Euro locker macht, sieht sie als politisch-moralische Verpflichtung. Es sei eine «Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde», sagte Maas. Das Geld soll über einen Zeitraum von 30 Jahren vor allem in Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama gesteckt werden. Dabei soll es um Landreform, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Wasserversorgung sowie Berufsbildung gehen.

Bitte um Vergebung

Das dritte Kernelement der gemeinsamen politischen Erklärung, die in den nächsten Wochen noch feierlich unterzeichnet werden soll, ist die Bitte um Vergebung. Berichten zufolge soll sie durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem feierlichen Akt im Parlament von Namibia ausgesprochen werden. Offiziell angekündigt wurde das vom Bundespräsidialamt aber noch nicht.

«Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden», sagte Maas. Er betonte aber auch, dass die Vereinbarung mit Namibia keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit bedeute. «Die Anerkennung der Schuld und unsere Bitte um Entschuldigung ist aber ein wichtiger Schritt, um die Verbrechen aufzuarbeiten und gemeinsam die Zukunft zu gestalten», betonte er. Ziel ist es, die Zusammenarbeit beider Länder nun deutlich zu intensivieren.

Nicht alle sind zufrieden

Die Verhandlungen wurden von Beauftragten der beiden Regierungen geführt, die Herero und Nama waren aber eng eingebunden. Bei einigen Vertretern der Volksgruppen hatten erste Hinweise auf das Abkommen jedoch bereits Kritik ausgelöst. Es sei nichts weiter als ein PR-Coup Deutschlands und ein Akt des Betruges der namibischen Regierung, hatte es in einer Erklärung der Ovaherero Traditional Authority und Nama Traditional Leaders Association geheissen.

Nach Angaben ihrer deutschen Vertreterin haben beide Gruppen zudem eine entsprechende Petition im Bundestag eingebracht. Die Ovaherero Traditional Authority ist nur eine von vielen Herero-Gruppen, von denen acht offiziell von der Regierung anerkannt und in der namibischen Verhandlungsdelegation vertreten sind. Auch die Nama Traditional Leaders Association ist nicht repräsentativ für alle Nama-Gruppen.

Jahrelanges Geschacher

Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Es verfügte damit über das viertgrösste koloniale Gebiet und war Besatzungsmacht nicht nur in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), sondern auch in Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf Pazifikinseln. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien dann unter den Siegermächten aufgeteilt.

Die jetzt abgeschlossenen Verhandlungen hingen lange Zeit an der heiklen Frage einer finanziellen Entschädigung für koloniale Ausbeutung und Unterdrückung fest. Über lange Strecken muteten sie wie ein Geschacher um Bedingungen und Umstände für die längst überfällige Entschuldigungsgeste Deutschlands an. Die Bundesregierung habe einer «bedingungslosen Entschuldigung» an die namibische Regierung, ihr Volk und die betroffenen Gemeinden zugestimmt, wolle aber nicht den Begriff «Reparationen» benutzen, hatte Namibias Präsident Hage Geingob noch im vergangenen August geklagt. Auch der Begriff «Heilung der Wunden» wurde als unzureichend abgelehnt.

Aus deutscher Sicht war es wichtig, jetzt noch vor der Bundestagswahl zu einer Einigung zu kommen. Denn auch die beiden Parlamente sollen noch zustimmen.