Genfer Gipfel gegen Ukraine-Eskalation «Die Diplomatie ist noch nicht tot»

Von Philipp Dahm

19.1.2022

Waffenlieferungen und Manöver

Waffenlieferungen und Manöver

Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine dauern an. Am Dienstag traf eine britische Militärmaschine mit einer Waffenlieferung in Kiew ein. Bei der Lieferung handele es sich um leichte Panzerabwehrwaffen, hiess es aus London. Genauere Angaben zu Menge und Art der Waffen machten die Behörden nicht. Unterdessen sorgt ein geplantes Manöver von russischen und belarussischen Truppen in Belarus für Kritik. Die Militärübungen böten Russland mehr Möglichkeiten für einen Angriff auf die Ukraine, sagte ein ranghoher Vertreter des US-Aussenministeriums am Dienstag. Belarus und Russland haben für Februar eine gemeinsame Militärübung geplant, beide Länder grenzen an die Ukraine. Die deutsche Bundesregierung hat sich bisher gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Unter Parlamentariern sind jedoch Forderungen zu hören, diese Position zu überdenken.

19.01.2022

Der US-Aussenminister ist in Kiew gelandet, bevor er weiter nach Berlin und Genf reist. Deutschland wird für seinen zurückhaltenden Ukraine-Kurs kritisiert, doch in der Schweiz bekommt die Diplomatie noch eine Chance.

Von Philipp Dahm

19.1.2022

Die Diplomaten geben sich die Klinke in die Hand. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock reiste erst am Montag nach Kiew, dann am gestrigen Dienstag nach Moskau. US-Aussenminister Anthony Blinken ist heute Morgen unterdessen in der Ukraine eingetroffen, wo sich seit Montag bereits eine Delegation von US-Senatoren befindet.

Das Weisse Haus hat am gestrigen Dienstag mit deutlichen Worten vor einem möglichen Krieg gewarnt. «Um es klar zu sagen, wir halten die Situation für extrem gefährlich. Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der Russland jederzeit einen Angriff auf die Ukraine starten könnte», sagte Präsidentensprecherin Jen Psaki in Washington.

Blinken hat der Ukraine weitere militärische Unterstützung in Aussicht gestellt und will in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sowie Aussenminister Dmytro Kuleba zusammenkommen. Anschliessend wird er nach Berlin und dann nach Genf fliegen, wo am Freitag ein Spitzengespräch mit seinem russischen Pendant Sergej Lawrow auf dem Programm steht.

Deutschland in der Kritik

Auch die deutsche Regierung macht sich wegen der Lage in der Ukraine Sorgen, ist aber lange nicht so aktiv wie die Kollegen aus den USA oder Grossbritannien. Zum ersten Mal überhaupt hat Olaf Scholz ein Ende für Nord Stream 2 ins Spiel gebracht, falls Russland angreife. Dann müsste die Gas-Pipeline diskutiert werden, so der deutsche Kanzler.

Doch darüber hinaus will Berlin Moskau offenbar nicht verärgern. So erteilte Baerbock bei ihrem Kiew-Besuch dem Wunsch nach deutschen Waffen eine Absage. Doch die Ukraine lässt auch nach dem klaren Nein der Bundesregierung nicht locker. Der ukrainische Botschafter in Berlin nennt jetzt sogar konkrete Waffensysteme, die sich sein Land von Deutschland zur Verteidigung gegen einen möglichen russischen Überfall erhofft.

«Es geht in erster Linie um deutsche Kriegsschiffe, die zu den besten der Welt gehören, die wir für die robuste Verteidigung der langen Küste im Schwarzen und Asowschen Meer dringend brauchen», sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. «Denselben riesigen Bedarf gibt es auch für modernste Luftabwehrsysteme, die gerade deutsche Rüstungskonzerne herstellen.»

Manöver zur Unzeit

Dass Deutschland seine Zurückhaltung mit der Vergangenheit begründet, irritiere Melnyk. «Dass man dabei in Berlin auch die Frage der historischen Verantwortung als Argument für die Ablehnung militärischer Hilfe benutzt, ist erstaunlich», sagte er. «Diese Verantwortung sollte gerade dem ukrainischen Volk gelten, das mindestens acht Millionen Menschenleben während der deutschen Nazi-Okkupation der Ukraine verloren hat.»

Aussenminister unter sich: Anthony Blinken (links) und Sergej Lawrow am 2. Dezember 2021 in Stockholm.
Aussenminister unter sich: Anthony Blinken (links) und Sergej Lawrow am 2. Dezember 2021 in Stockholm.
KEYSTONE

Ein Thema, das auch Blinken in Berlin ansprechen wird, bevor er nach Genf fliegt: Kritiker werfen Deutschland vor, mit seiner zögerlichen Haltung Russland noch zu bestärken und die Gefahr einer Eskalation durch das alleinige Thematisieren von Deeskalation noch zu befeuern.

Dass nun ausgerechnet in dieser heiklen Situation Russland und Belarus ihr Manöver mit dem Namen «Vereinte Entschlossenheit» durchführen müssen, macht die Lage nicht einfacher. Welchen Umfang die Übung haben wird, haben die beiden Staaten nicht verraten.

«Das ist etwas völlig anderes»

Washington ist deswegen verunsichert: Eigentlich müssen Manöver wie dieses mit mehr als 13'000 Soldaten 42 Tage vorher angemeldet werden. «Das wäre normal», zitiert United Press International eine Quelle. Dieser Aufmarsch sei «aber etwas völlig anderes», so die Quelle mit Blick auf das Manöver in Osteuropa.

Dass der Kontinent inzwischen nervös ist, zeigt sich am Beispiel russischer Landungsschiffe. Diese waren in die Ostsee eingefahren, was Schweden dazu veranlasst hat, seine Truppen auf der Insel Gotland aufzustocken. Nun haben diese Boote das Meer aber wieder verlassen – unter aufmerksamer Begleitung von britischen und dänischen Seeaufklärern. Es wird angenommen, dass sie Kurs aufs Schwarze Meer genommen haben.

Warum die Landungsboote überhaupt für fünf Tage in die Ostsee eingefahren sind, ist nicht bekannt – es riecht jedoch nach psychologischer Kriegsführung. Das passt zu den Aussagen russischer Offizieller, Moskau erwäge Truppenstationierungen auf Kuba oder in Venezuela.

Die Aussichten auf Frieden sind also nicht gerade rosig, doch noch ist Polen nicht verloren: Dass sich der russische und amerikanische Aussenminister Ende der Woche in der Schweiz treffen, lege nahe, «dass die Diplomatie vielleicht doch noch nicht am Ende ist».

Deeskalieren: Scholz trifft NATO-Generalsekretär Stoltenberg

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Hinweis: Dieser Beitrag wird Ihnen ohne Sprechertext gesendet. O-TON OLAF SCHOLZ, BUNDESKANZLER «Wir erwarten von Russland, dass es die Lage deeskaliert. Dazu könnte zum Beispiel auch eine Reduzierung der Truppen an der ukrainischen Grenze gehören. Und wir sind natürlich bereit, mit Russland in einen ernsthaften Dialog über Sicherheitsfragen in Europa einzutreten.» «Die Bundesregierung hat, die frühere Bundesregierung, die Kanzlerin, aber auch in enger Abstimmung mit mir und dem damaligen Aussenminister sich mit den Vereinigten Staaten in dieser Frage verständig, mit der Regierung und dem Präsidenten und wir stehen zu allen Aspekten, die dazu gehören. Dazu gehört eben auch, dass klar ist, dass es hohe Kosten haben wird, und dass das zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt.»

18.01.2022