Putins Raketen-Truppe enttarnt «Es gibt für diese Leute keine Entschuldigung»

toko

25.10.2022

Auch die Hauptstadt Kiew ist immer wieder Ziel russischer Raketen.
Auch die Hauptstadt Kiew ist immer wieder Ziel russischer Raketen.
---/ukrin/dpa (Archivbild)

Nun ist bekannt, wer die Raketen auf zivile Ziele in der Ukraine lenkt: Die Ergebnisse könnten dereinst noch wichtig werden — in einem allfälligen Prozess.

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Nach der Explosion auf der Krim-Brücke ging ein verheerender russischer Raketenhagel in der Ukraine nieder. Bei den Angriffen wurden Dutzende Zivillisten getötet, darunter auch Kinder, zudem grosse Teile der ukrainischen Energie-Infrastruktur zerstört.

Verantwortlich dafür ist eine kleine Gruppe junger Frauen und Männer im russischen Verteidigungsministerium. Das will das Recherchenetzwerk Bellingcat in Zusammenarbeit mit dem «Spiegel» sowie der unabhängigen russischen News-Webseite «The Insider» herausgefunden haben.

Demnach wählten die insgesamt 33 Personen, hauptsächlich IT-Fachleute, die Ziele aus und programmierten die Flugbahnen.

Ein Sanitäter geht nach einem russischen Raketenangriff auf Kiew an einem brennenden Auto vorbei.
Ein Sanitäter geht nach einem russischen Raketenangriff auf Kiew an einem brennenden Auto vorbei.
Roman Hrytsyna/AP/dpa (Archivbild)

Hochpräzisionswaffen auf zivile Ziele

Bellingcat zufolge handle es sich bei den in der Ukraine gefundenen Trümmern um Reste der Raketentypen Kalibr, Iskander und Kh-101. Nach russischen Angaben sind dies jedoch «Hochpräzisionswaffen».

Das bedeute, dass die Raketen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorsätzlich zu ihren Zielen gelenkt wurden. Wer genau dies getan hat, ist daher nicht unerheblich — denn es könnte sich um Kriegsverbrechen handeln. Seit dem 18. Oktober untersuchen internationale Strafverfolger den Angriff auf zivile Gebäude und kritische zivile Infrastruktur.

Jene Personen, die aus grosser Entfernung die Flugbahn entsprechend programmieren, sind laut Bellingcat mitverantwortlich für die Opfer.

Die Planung erfordert die Simulation der gesamten Strecke vom Startplatz zum Ziel. Die sich daraus ergebende Flugbahn sowie der Algorithmus für Kursanpassungen auf der Grundlage verschiedener Eingaben werden von den Programmierern auf einen Speicherstick geladen, der dann an den Startort weitergeleitet und in die Rakete eingesetzt wird.

So kam Bellingcat der Gruppe auf die Schliche

Auf die Spur der «Killer an der Fernbedienung» kamen die Ermittler*innen über Metadaten von Telefonanrufen des Teams aus dem Verteidigungsministerium. Sie alle sind für das GVC tätig. Es steht für «Hauptrechenzentrum des Generalstabs», wie das Bellingcat-Team herausfand.

Eine wichtige Rolle spielt dort Oberstleutnant Igor Bagnjuk, er soll an der Spitze des Teams stehen.

Eine Woche vor Beginn der systematischen Angriffe registrierten die Journalist*innen vermehrte Aktivität an Bagnjuks Mobiltelefon.

Da die Ermittler*innen davon ausgingen, dass Bagnjuk aufgrund seiner direkten Kommunikation mit dem Kommandeur der Einheit der ranghöchste Offizier war und möglicherweise mit der Programmierung von Langstreckenraketen in Verbindung stand, besorgten sie sich dessen Telefon-Metadaten für den Zeitraum seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine.

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Bagnjuks Anrufprotokolle zeigen eine intensive Kommunikation mit mehr als 20 Militäringenieuren und IT-Fachleuten, die mit der GVC in Verbindung stehen. Auf Basis von Datenquellen des russischen Schwarzmarkts erfassten die Ermittler einige der am häufigsten interagierenden Telefonnummern, die GVC-Offizieren zugeordnet werden.

Durch die Analyse aller Telefonaufzeichnungen konnte demnach ein Team von insgesamt 33 Militäringenieuren rekonstruiert werden, die häufig mit Oberstleutnant Bagnyuk kommunizierten oder ihm Bericht erstatteten.

«Es gibt für diese Leute keine Entschuldigung»

Die Journalist*innen kontaktierten indessen alle identifizierten Personen. Der Grossteil habe jedoch keine Stellung bezogen oder das Gespräch beendet, sobald klar wurde, wer anruft.

Manche stritten ab, für die Armee zu arbeiten — selbst dann noch, als ihnen Bilder gezeigt wurden, auf denen sie in Militäruniform abgebildet sind.

Bellingcat-Chefermittler Christo Grozev zufolge hätten die jungen Männer und Frauen Nein sagen und aussteigen können, wie er den Tamedia-Zeitungen sagte: «Es gibt für diese Leute keine Entschuldigung.»

«Du weisst genau, dass ich das nicht beantworten kann»

Grozev berichtet auf Twitter zudem von einer Konversation mit einem der Programmierer. Er fragte ihn, wie er nachts schlafen könne, nachdem was er tue. Dieser zischte zurück: «Sei professionell. Stelle eine professionelle Frage.» Grozev fragte schliesslich, warum sie so viele Zivilisten töten.

Er schrieb: «Du weisst genau, dass ich das nicht beantworten kann».