Wasserdrohnen vor der Krim Die Ukraine führt Putin mit einem wegweisenden Angriff vor

Von Andreas Fischer

2.11.2022

Die Ukraine hat Kamikazedrohnen das Schwimmen beigebracht: Der Angriff mit unbemannten Kampfbooten auf die russische Krim-Flotte ist eine Schmach für den Kreml und wird den Krieg auf See verändern.

Von Andreas Fischer

2.11.2022

Ein handelsüblicher Jetski-Antrieb, Zünder aus Sowjetzeiten am Bug, eine kleine Bombe aus russischer Produktion im «Laderaum», eine Kamera, um dem Piloten Orientierung zu verschaffen – und fertig ist die Wasserdrohne. Mit der vergleichsweise einfachen Waffe hat die Ukraine am Wochenende Putins Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol auf der völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim vorgeführt und empfindlich getroffen.

«Die Ukraine hat sich während des ganzen Kriegs sehr erfinderisch gezeigt, um russische Ziele in der Tiefe anzugreifen», erklärt Niklas Masuhr, Sicherheitsforscher am Center for Security Studies der ETH Zürich, auf Nachfrage von blue News. Der Einsatz der Wasserdrohnen falle demnach in ein etabliertes Raster.

Und Russland? Hat es einmal mehr nicht geschafft, sich gegen den Einfallsreichtum des ukrainischen Militärs zu verteidigen.

«Die russische Unfähigkeit, sich schnell auf solche offenen und offensichtlichen Bedrohungen einzustellen», kommentiert Militäranalyst Mick Ryan bei Twitter, «ist ein weiterer Hinweis auf die schlampige Professionalität und ihre Unfähigkeit zu begreifen, dass sie gegen ein ukrainisches Militär kämpfen, das eine militärische Einrichtung von Weltklasse ist».

Experten sehen einen «historischen Angriff»

Der Australier Ryan, ein ehemaliger General, twittert unter dem Namen @WarInTheFuture (Deutsch: Krieg in der Zukunft). Mit seiner Einschätzung, dass die Ukraine mit dem Einsatz der Wasserdrohnen eine neue Seekriegsära eingeläutet hat, steht Ryan nicht allein da.

Zwar sind bei dem Angriff vom Wochenende nur wenige russische Schiffe getroffen und vergleichsweise leicht beschädigt worden. Die Attacke aber, da sind sich Fachleute wie der britische Marine-Experte HI Sutton sicher, hat signifikante Auswirkungen auf die künftige Kriegsführung auf See. Für Sutton ist es aus diesem Blickpunkt sogar ein «historischer Angriff».

Dabei sind Wasserdrohnen gar nicht so neu. Uncrewed Surface Vessel (USV, Deutsch: unbemanntes Wasserfahrzeug), so der militärische Fachbegriff, sind keine Erfindung der Ukraine. Unbemannte Wasserfahrzeuge kommen in der Wissenschaft und testweise auch in der Handelsschifffahrt zum Einsatz. Militärisch wurden sie von Deutschland schon im Ersten Weltkrieg (erfolglos) und von Italien im Zweiten Weltkrieg (kaum erfolgreicher) eingesetzt, in den 2010er-Jahren haben jemenitische Huthi-Rebellen damit saudische Schiffe erfolgreich attackiert.

Der Krieg wird moderner

«Dieser Krieg wird zu Land und in der Luft in der Tat vor allem mit Mitteln des 20. Jahrhunderts geführt, in vielen Fällen mit Ausrüstung aus der Zeit des Kalten Kriegs», schätzt Niklas Masuhr ein. Moderne Ausreisser seien vor allem Drohnen wie die türkische Bayraktar TB2 oder der flächendeckende Einsatz kommerzieller Drohnen. «Die Spitze des technologischen Niveaus sind aber vor allem Kommunikationsmittel wie Starlink.»

Auch wenn weiterhin Panzer- und Artillerieschlachten geführt werden: Augenfällig ist, dass Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine im 21. Jahrhundert ankommt. Russland hat zuletzt verstärkt iranische Drohnen eingesetzt. Vor allem aber die Verteidiger haben seit Kriegsbeginn auf intelligente, elektronisch gesteuerte Waffen und Taktiken zurückgegriffen – zunächst zur Aufklärung, Überwachung und bei taktischen Schlägen.

«Sewastopol ist nicht mehr sicher»

Der Angriff auf die Schwarzmeerflotte hat nun aber eine neue Dimension: Es ist ein Offensivschlag, und zwar einer, der Russland zu einem strategischen Umdenken zwingen dürfte. Russland weiss nun, sagt Sutton, dass Sewastopol nicht mehr sicher ist.

Auch Niklas Masuhr erkennt einen strategischen Effekt, ohne dass die Ukrainer der Schwarzmeerflotte massive Schäden zufügen. Russische Einsätze ausserhalb Sewastopols wären einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt. «Das würde russische Schiffe abschrecken oder sie daran hindern, in Küstennähe operierende Bodentruppen etwa durch Luftabwehrsysteme zu unterstützen, oder die Getreidelieferungen aus Odessa durch Überwassereinheiten zu bedrohen.»

Da in diesem Krieg die Luftüberlegenheit vom Boden komme, führt Masuhr weiter aus, «würde die effektive Neutralisierung der Schwarzmeerflotte ausserhalb der Krim der Ukraine einen weiteren Vorteil im Süden verschaffen».

Technik und Taktik

Diese Erkenntnis dürfte Putin nicht schmecken. Denn eigentlich ist der Hafen seiner Schwarzmeerflotte gut geschützt: Es gibt nur einen schmalen Zugang, der mit Patrouillenbooten leicht zu überwachen ist. Im Gebiet vor dem Hafen ankern zudem russische Fregatten. Niklas Masuhr bestätigt, «dass Russland durchaus seine Schutzeinrichtungen im Hafen verstärkt hat, wie unter anderem The Drive basierend auf Satellitenbildern berichtete».

Trotzdem gelang es der Ukraine, erfolgreich anzugreifen: Laut Sutton haben es zwei ukrainische USV bis in den Hafen selbst geschafft, der zeitgleich von Drohnen aus der Luft angegriffen wurde. Zwar konnte Russland einige der unbemannten Rammboote zerstören, aber eben nicht alle: Die Ukraine setzt nicht nur auf moderne Technik, sondern auch auf clevere Taktik – und griff in Schwärmen an.

«Signifikante militärische Innovation»

Unmöglich, sich gegen USVs zu wehren, sei es zwar nicht, erklärt Niklas Masuhr. «Aber insbesondere falls diese tatsächlich durch Starlink gesteuert werden sollten und nicht durch Einheiten in der Umgebung des Hafens via Funksteuerung, macht es die Abwehr etwa durch Signalstörung deutlich schwerer.» Insbesondere wenn Luft- und Wasserdrohnen in Kombination eingesetzt werden, verkompliziere dies die Abwehr.

Bei der Versenkung des damaligen russischen Flaggschiffes «Moskwa» seien beispielsweise türkische Drohnen eingesetzt worden, um die Luftabwehrsysteme der «Moskwa» abzulenken: «Dadurch hatten die Neptun-Antischiffsraketen freie Bahn», so Masuhr.

Ähnliches würden potenziell die eingesetzten USV erlauben: «Es ist durchaus möglich, dass diese nicht nur als Kamikazeboote eingesetzt werden, sondern auch als Aufklärungs- und Zielerfassungsplattformen oder eben als Ablenkung, um Sensoren und Abwehrsysteme zu übersättigen.» Die Boote könnten somit für Drohnen «spotten» und umgekehrt: «Dies ist in der Tat eine signifikante militärische Innovation», schätzt Masuhr ein.

Ukrainische Drohnen mit russischen Bomben

Über den Aufbau der Wasserdrohnen ist bislang wenig bekannt: Russland hat zwar vom September ein angeschwemmtes Exemplar nahe Sewastopol gefunden, von dem es auch einige Fotos gibt. Aber da die Drohne mit einer scharfen Bombe ausgestattet war, wurde sie gesprengt.

Sicher ist nur, dass die Boote sehr klein und sehr schnell sind – und dadurch vom Radar schwierig zu erfassen. Im Heck befindet sich laut Sutton ein Modul für die Kommunikation über Elon Musks Satelliteninternet Starlink. Eine Kamera in der Mitte dient der Orientierung, im Alurumpf findet ein Sprengsatz Platz. Ironisch bei der Sache: Die Zünder stammen wohl aus Sowjetzeiten, die von der Ukraine eingesetzen Bomben aus russischer Produktion.

Für Aufregung sorgt der Antrieb: Russland beschuldigte Kanada, die Antriebsteile zu liefern. Dabei hat sich die Ukraine sie wahrscheinlich auf dem zivilen Markt beschafft, wie Sutton vermutet. Es handelt sich nämlich um herkömmliche Jetski-Antriebe, die in der Ukraine ziemlich einfach zu beschaffen sind, auch preiswert auf dem Gebrauchtmarkt.

Die Ukraine meint es ernst mit der Befreiung der Krim

Ziemlich leicht zu bauen und geschickt eingesetzt: Die Ukraine dürfte mit dem USV-Angriff auf die russische Marine die Art und Weise verändern, wie Kriege zur See in Zukunft geführt werden. «USV werden eine grosse Rolle spielen», prognostiziert Marine-Experte Sutton, und zwar als «als konstante Bedrohung» von «tief hängenden Früchten», wie er es ausdrückt. «Schiffe und Stützpunkte der gegnerischen Marine sind damit leicht angreifbar und zwingen Verteidiger dazu, sich anders als bisher zu schützen.»

Für Russland bedeutet das kurzfristig, dass es schwieriger wird, Raketen auf die Ukraine von Kriegsschiffen aus abzuschiessen, da die Flotte jederzeit mit Drohnenangriffen rechnen muss. Mick Ryan sieht die russischen Militärkapazitäten auf der Krim in Zersetzung begriffen.

Russland werde gezwungen, seine Prioritäten bei der Truppenaufstellung zu überdenken. «Für das russische Militär, das sich in den besetzten Gebieten nur schwer behaupten kann, wird dies eine noch grössere Belastung darstellen», so Ryan. «Mobilisierte Truppen werden wenig helfen, um Angriffe zu verhindern, wie sie gerade in Sewastopol stattgefunden haben.»

Nicht zuletzt sendet die Ukraine mit dem Angriff der Wasserdrohnen zwei wichtige politische und strategische Signale. Erstens zeigt sie mit den Angriff, analysiert Mick Ryan, dass sie gegen das russische Militär und nicht gegen das russische Volk kämpft. Und die zweite strategische Botschaft ist: Die Ukraine meint es ernst mit der Befreiung der Krim.

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