So chaotisch und respektlos wie zwischen Trump und Biden lief es bei der Debatte der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft nicht ab. Doch auch Harris und Pence machten sich gegenseitig Vorwürfe. Ein Thema ragte dabei heraus.
Normalerweise wird der Debatte zwischen Vizepräsidentschaftskandidaten nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Doch in diesem wilden Wahljahr 2020 wird alles unter die Lupe genommen.
Vizepräsident Mike Pence war am Mittwochabend in Salt Lake City enormem Druck ausgesetzt, die Wiederwahlchancen des republikanischen Präsidenten Donald Trump zu erhöhen, der in nationalen Umfragen und in umkämpften Bundesstaaten hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden liegt.
Die kalifornische Senatorin Kamala Harris vertrat auf der Bühne nicht nur Biden, sondern ist auch die erste schwarze Frau, die als Kandidatin für eine der beiden grossen Parteien antritt.
Wegen des Coronavirus waren Plexiglasscheiben zwischen den beiden aufgestellt. Dies sind die Schlüsselmomente der Debatte:
Weitgehend ununterbrochene Debatte
Millionen Amerikaner waren entsetzt, als Präsident Trump bei seiner ersten Debatte mit Biden aus der Haut fuhr, Biden unablässig unterbrach und eine Kaskade von falschen Behauptungen von sich gab, während Biden den Republikaner einen «Clown» nannte, der «die Klappe halten» sollte.
Harris' und Pence' Zusammentreffen lief deutlich anders ab. Auch bei ihnen gab es Unterbrechungen und Überschreitungen der Zeitvorgaben, aber die Dynamik war deutlich ruhiger.
Das ausgeglichene Temperament von Pence ist eines seiner Markenzeichen, und er dient oft als eine Art Übersetzer für Trumps Ausbrüche. Harris hat eine lange Karriere als Staatsanwältin hinter sich, die sich wohl dabei fühlt, unter Druck zu argumentieren. Beide haben sich in der Debatte ihrem Typ entsprechend verhalten. Im Vergleich zur Debatte vor etwas mehr als einer Woche zwischen Biden und Trump war dies eine andere Welt.
Pandemie
Das Wahlkampfteam von Präsident Donald Trump will den Fokus bloss nicht auf die Pandemie richten. Doch das Thema dominierte von Anfang an. Auch Trump und eine wachsende Zahl von Mitarbeitern des Weissen Hauses, seines Wahlkampfteams und andere Regierungsmitarbeiter haben sich mit dem Coronavirus infiziert.
Harris brachte Pence von Anfang an in die Defensive, indem sie Trumps Umgang mit der Pandemie als das «grösste Versagen einer Präsidialverwaltung in der Geschichte unseres Landes» bezeichnete. Trump und Pence hätten noch immer keinen Plan.
Pence schoss zurück, dass ein Grossteil der von Biden vorgeschlagenen Massnahmen bereits umgesetzt sei. Deutlicher als Trump es je getan hat, drückte Pence denjenigen, die von der Pandemie betroffen sind, sein Mitgefühl aus. Mehr als 210 000 Menschen im Land sind mit dem Virus gestorben, mindestens 7,5 Millionen haben sich damit infiziert.
Tatsächlich umfasst Bidens Plan Elemente, die Trumps Plan nicht hat. Biden hat den Präsidenten aufgerufen, eine Maskenpflicht auf Grundstücken des Bundes auszurufen und Gouverneure und Bürgermeister gebeten, das gleiche zu tun. Ausserdem hat er dazu aufgerufen, Bundesmittel anders auszugeben und die Regulierungsmacht zu nutzen. Harris ging aber nicht darauf ein.
Umgang mit Rassismus
Die eine sprach stolz davon, sich bei Protesten gegen Rassismus engagiert zu haben, der andere bestritt die Existenz von systemischem Rassismus.
Harris, die erste schwarze Frau, die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft einer grossen Partei ist, sprach leidenschaftlich über «Menschen im ganzen Land jeder Ethnie, jedes Alters, jedes Geschlechts», die gemeinsam auf die Strasse gingen, «um endlich das Ideal von Gleichheit vor dem Gesetz zu erreichen». Gleichzeitig, sagte sie, «werden wir niemals Gewalt dulden».
Pence bekräftigte dagegen seinen Glauben an das Justizsystem und legte den Fokus auf gewalttätige Auseinandersetzungen. Es gebe «keine Entschuldigung für Randalieren und Plündern». Der Gedanke, dass «Amerika systematisch rassistisch ist» und dass Strafverfolgungsbehörden gegenüber Minderheiten voreingenommen seien, «ist eine grosse Beleidigung der Männer und Frauen», die dort arbeiteten.
Streit um den Supreme Court
Der schärfste Angriff von Pence war vermutlich sein Insistieren mit der Frage, ob die Regierung von Biden den Obersten Gerichtshof mit liberalen Richterinnen und Richtern «vollpacken» würde. Harris wich dem Köder aus, so wie Biden in den vergangenen Wochen.
Pence sieht den offenen Posten als Chance der Republikaner. Er bejubelte die Nominierte von Präsident Trump, die Konservative Amy Coney Barrett, die nach dem Willen der Republikaner der verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg folgen soll. Barrett soll noch vor der Wahl bestätigt werden. Mindestens zwei Mal warnte Pence die Wähler, dass Biden und die Demokraten den Gerichtshof erweitern würden, wenn sie bei der Blockade Barretts «nicht ihren Willen» bekämen.
Harris verpasste eine Chance, als sie Pence und die Zuschauer nicht daran erinnerte, dass die konservative Prägung des Supreme Courts daran liegt, dass der damals von den Republikanern geprägte Senat sich 2016 weigerte, eine Nominierung durch Präsident Barack Obama in Erwägung zu ziehen, und Trump den leeren Posten 2017 füllte. Harris brachte allerdings den früheren Präsidenten Abraham Lincoln ins Spiel, der es weniger als einen Monat vor seiner Wiederwahl ablehnte, eine Nominierung vorzuschlagen.
Harris reagierte ausserdem auf Pence' Angriff mit dem Hinweis, dass Trumps Kandidaten für Bundesgerichte mit überwältigender Mehrheit weiss sind. Und sie verwies auf Umfragen, wonach die meisten Wähler der Meinung sind, der Posten am Supreme Court solle erst nach der Wahl besetzt werden.
Ausweichen der Fragen
Es gab viele Fragen zu spezifischen Themen – und viele Antworten, die sich auf anderes bezogen. Pence und Harris wichen wiederholt Fragen der Moderatorin Susan Page aus, oder beantworteten sie, wie sie wollten.
Der Vizepräsident wich der Frage nach der Supreme-Court-Zeremonie im Rosengarten des Weissen Hauses vergangene Woche aus, die mittlerweile als sogenanntes Superspreader-Event angesehen wird, bei dem sich viele Mitarbeiter mit dem Coronavirus angesteckt haben könnten. Stattdessen gab er Binsenweisheiten über eigene Verantwortung von sich.
Auf die Frage, ob sie mit ihren jeweils deutlich älteren Präsidentschaftskandidaten Nachfolgepläne diskutiert hätten, wichen beide aus. Pence kritisierte Harris für ihre «kontinuierliche Untergrabung des Vertrauens in einen (Corona-)Impfstoff». Harris nutzte die Frage, um über ihre Mutter zu sprechen, die aus Indien einwanderte, sowie darüber, die erste Frau und erste schwarze Person zu sein, die Staatsanwältin von Kalifornien wurde.
Die Fliege bekam die Aufmerksamkeit
Während die Debatte weitgehend gezähmt ablief, gab es insbesondere in den sozialen Medien Momente, die herausragten. So den Augenblick, als eine Fliege auf dem gut gekämmten Haar von Pence landete, und er sich nicht rührte. Das Internet explodierte.
Bidens Wahlkampfteam sicherte sich die Webseite Flywillvote.com und verbreitete sie auf seinem Twitteraccount. Der Link führte die Nutzer zu einer Seite, auf der sie sich für die Wahl registrieren können.
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