«Perverse» Zahlungen im Kongo WHO zahlt Missbrauchsopfern ihrer Mitarbeiter nur 250 Dollar

dpa/twei

15.11.2023 - 23:55

UN-Vertreterin Gaya Gamhewage bemüht sich um eine Kompensation für die Opfer des Missbrauchsskandals im Kongo.
UN-Vertreterin Gaya Gamhewage bemüht sich um eine Kompensation für die Opfer des Missbrauchsskandals im Kongo.
Bild: Antoine Tardy/WHO via AP

250 Dollar – das ist weniger, als manche UN-Mitarbeiter pro Tag als Spesen erhalten, wenn sie im Kongo arbeiten. Die gleiche Summe hat die WHO dort an Frauen gezahlt, die von Mitarbeitern sexuell missbraucht wurden.

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  • Zwischen 2018 und 2022 wurden über 100 Frauen im Kongo Opfer von sexuellen Übergriffen durch Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
  • Betroffenen zahlte die WHO laut eines Berichtes 250 Dollar Entschädigung. Manche UN-Mitarbeitende im Kongo erhalten höhere Spesenzahlungen – pro Tag.
  • An den Zahlungen kam nun scharfe Kritik auf. Von der UN heisst es indes: «Es gibt nichts, was wir zur Wiedergutmachung tun können.»

Im vergangenen März reiste Gaya Gamhewage von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Kongo, um sich dort mit dem – soweit bekannt – grössten Missbrauchsskandal in der Geschichte der UN-Behörde zu befassen. Es ging um sexuelle Übergriffe auf mehr als 100 Frauen durch Angestellte und andere während des tödlichen Ebola-Ausbruches von 2018 bis 2022.

Laut einem internen WHO-Bericht über den Besuch der Ärztin, die bei der UN-Organisation für die Verhinderung sexueller Übergriffe zuständig ist, sagte eine der betroffenen Frauen, dass sie ein Baby mit einer Missbildung zur Welt gebracht habe, was besondere Behandlung erfordere – also noch mehr Kosten für die junge Mutter in dem armen Land bedeutet.

Um Opfern wie ihr zu helfen, hat die WHO jeweils 250 Dollar (etwa 220 Franken) an mindestens 104 Frauen im Kongo gezahlt, die nach eigenen Angaben von Mitarbeitern sexuell missbraucht oder ausgebeutet worden waren

Viele Kongolesen leben von weniger als zwei Dollar am Tag

Die Summe pro Opfer ist niedriger als die Spesen, die manche UN-Mitarbeiter pro Tag bekommen, wenn sie in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa arbeiten. Es sind auhc nur 19 Dollar mehr als das, was Gamhewage selbst an Spesengeld pro Tag während ihrer dreitägigen Visite erhielt. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die der Nachrichtenagentur AP vorliegen.

Der Betrag deckt gewöhnlich die Lebenshaltungskosten für weniger als vier Monate in einem Land ab, in dem – wie in den WHO-Dokumenten angemerkt wird – viele Menschen mit weniger als zwei Franken am Tag auskommen müssen.

Kommt hinzu: An die Zahlungen waren an Bedingungen geknüpft. Um das Geld zu erhalten, mussten die Frauen Kurse absolvieren, die ihnen helfen sollten, «Einkommen schaffende Aktivitäten» aufzunehmen. Dieses Vorgehen scheint ein Versuch zu sein, UN-Regeln zu umgehen, denen zufolge die Weltorganisation keine Reparationen zahlt.

Abgesandte der WHO sind im Kongo seit vielen Jahren im Einsatz. (Archivbild)
Abgesandte der WHO sind im Kongo seit vielen Jahren im Einsatz. (Archivbild)
Bild: AP Photo/Jerome Delay

Expertin nennt WHO-Zahlungen «unvorstellbar»

Viele der sexuell missbrauchten Kongolesinnen haben bislang nichts erhalten. In etwa einem Drittel der bekannten Fälle sei es «unmöglich», den Aufenthaltsort der betreffenden Opfer ausfindig zu machen, heisst es in einem vertraulichen WHO-Papier vom Oktober. Fast ein Dutzend Frauen lehnten der Gesundheitsorganisation zufolge das Angebot ab. 

Die Gesamtsumme von 26'000 Dollar, die für die Opfer zur Verfügung gestellt wurde, entspricht etwa einem Prozent des zwei Millionen Dollar umfassenden «Unterstützungsfonds für Überlebende», den die WHO für Opfer sexueller Übergriffe – hauptsächlich im Kongo – geschaffen hat. Empfängerinnen sagten der AP in Interviews, dass das erhaltene Geld längst nicht genug sei, aber es ihnen noch mehr auf Gerechtigkeit ankomme.

Paula Donovan ist Kodirektorin einer Kampagne namens Code Blue, die sich gegen das richtet, was sie als Straflosigkeit für sexuelles Fehlverhalten innerhalb der Vereinten Nationen bezeichnet. Donovan nennt die WHO-Zahlungen für die Opfer im Kongo «pervers». Es komme zwar vor, dass die UN Leuten Startgeld gebe, damit sie ihre Lebensbedingungen verbessern könnten, «aber das mit Kompensation für einen sexuellen Übergriff zu vermengen oder mit einem Verbrechen, das die Geburt eines Babys zur Folge hat, ist unvorstellbar», so Donovan.

WHO räumt ein: «Wir haben nicht genug getan»

Gamhewage selbst sagte der AP: «Es gibt nichts, was wir zur Wiedergutmachung (von sexuellem Missbrauch oder sexueller Ausbeutung) tun können.» Nach Angaben der WHO hängt die Höhe der Zahlungen von bestimmten Kriterien ab, so die Kosten für Nahrungsmittel im Kongo und «globalen Empfehlungen, nicht mehr Bargeld auszuteilen als das, was angemessen für die Gemeinde wäre, um Empfänger nicht weiterem Unheil auszusetzen». Gamhewage sagte, die WHO folge Empfehlungen von Experten örtlicher Wohlfahrtseinrichtungen und anderer UN-Organisationen. 

«Offensichtlich haben wir nicht genug getan», räumte sie ein und fügte hinzu, dass die WHO Opfer direkt fragen werde, welche zusätzliche Unterstützung sie wünschten. Die Gesundheitsorganisation hat über die 250-Dollar-Zahlungen hinaus auch geholfen, die medizinischen Kosten für 17 Kinder abzudecken, die als Folge der Übergriffe geboren wurden.

Im Kongo finden immer wieder Demonstrationen gegen den Einsatz der UNO-Friedenstruppen statt, wie hier in Goma im Juli 2022.
Im Kongo finden immer wieder Demonstrationen gegen den Einsatz der UNO-Friedenstruppen statt, wie hier in Goma im Juli 2022.
Bild: AP Photo/Moses Sawasawa

Und mindestens eine Frau, die nach eigenen Angaben von einem WHO-Arzt sexuell ausgenutzt und geschwängert wurde, hat mit der WHO eine Entschädigung ausgehandelt, die ein Stück Land und Gesundheitsversorgung einschliesst. Der Arzt erklärte sich ausserdem dazu bereit, bis zur Geburt des Kindes 100 Dollar im Monat zu zahlen.

Nur fünf Entlassungen nach Missbrauchsskandal

Andere betroffene Frauen sagen, dass die WHO nicht genug getan habe. Dazu zählt de 34-jährige Alphonsine, die nach eigenen Angaben von einem WHO-Mitarbeiter unter Druck gesetzt wurde, im Gegenzug für einen Job im Ebola-Bekämpfungsteam Sex mit ihm zu haben. Sie bestätigte, dass sie 250 Dollar von der WHO erhalten habe, aber unter der Voraussetzung, dass sie einen Backkurs absolviere. «Das Geld hat mir zum damaligen Zeitpunkt geholfen, aber es reichte nicht aus», sagte sie der AP.

Und zum Vergleich: Ein WHO-Beschäftigter, der vorübergehend im Kongo arbeitet, erhält eine tägliche Aufwandsentschädigung zwischen 144 und 480 Dollar. Im Fall von Gamhewage waren es 231 Dollar pro Tag während ihrer Visite in Kinshasa, wie aus einer internen Reisekostenabrechnung hervorgeht.

Die WHO tut sich anscheinend auch weiter damit schwer, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Eine von der WHO mit Untersuchungen beauftragte Kommission machte mindestens 83 Täter im Zuge der Anti-Ebola-Einsatzes aus, darunter mindestens 21 WHO-Angestellte.

Im Mai 2021 ergab eine AP-Recherche, dass das obere WHO-Management von andauerndem sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung während des Einsatzes der Organisation gegen Ebola im Kongo wusste, aber wenig dagegen tat. Keine höherrangigen Manager, auch jene, die nicht ahnungslos waren, wurden gefeuert. Seit 2021 hat die WHO nach eigenen Angaben fünf Mitarbeiter wegen sexuellen Fehlverhaltens entlassen.