Welche Pandemie? Wie Spanien die jüngste Corona-Welle ignoriert

SDA

15.12.2021 - 23:55

Menschen sitzen auf der Terrasse einer Bar im Zentrum von Madrid.
Menschen sitzen auf der Terrasse einer Bar im Zentrum von Madrid.
Keystone / Juan Carlos Rojas/ dpa

Auch in Spanien steigen die Fallzahlen. Doch in Madrid wie auch in anderen Landesteilen vertrauen die Menschen auf die Impfung – und feiern die Pandemie einfach weg. 

15.12.2021 - 23:55

Obwohl die Corona-Zahlen auch in Madrid schon seit Wochen wieder steigen, macht die Metropole ihrem Ruf als einschränkungsresistente Party-Hochburg erneut alle Ehre. 3G oder gar 2G? Gibt es nicht. Ungeimpfte dürfen hier auch ohne Test oder Corona-Zertifikat nahezu überall rein.

Restaurants und Clubs sind in der spanischen Hauptstadt derzeit oft so voll, dass sich draussen vor der Tür bei inzwischen kühleren Temperaturen auch mal lange Schlangen bilden.

Der Rest des Landes ist kaum vorsichtiger

Im Rest des Landes ist man teilweise vorsichtiger. In einigen Regionen wurde etwa die 3G-Regel in verschiedenem Umfang eingeführt. Mancherorts für Lokale mit grösseren Kapazitäten, wie etwa auf den Balearen mit der beliebten Ferieninsel Mallorca; oft aber auch nur für den Besuch von Spitälern oder Seniorenheimen.

Nicht nur in Madrid, überall in Spanien geht das Leben nahezu normal weiter. Konzerte finden problemlos vor Tausenden Besuchern statt. Beim Fussball gibt es keine «Geisterspiele». Und in Madrid stehen sich die Menschen ebenso wie auf Mallorca, in Alicante und Barcelona trotz der 3G-Regel gegenseitig auf den Füssen, wenn sie vor Discos, Restaurants und Einkaufstempeln auf Einlass warten. 

Besonders hoch her geht es zurzeit bei den Firmen-Weihnachtsfeiern zu, die in der Schweiz inzwischen als weitgehend tabu gelten. Die Nachfrage ist so gross, dass zahlreiche Restaurants die Preise zum Teil deutlich erhöht haben und Reservierungen von grösseren Gruppen ablehnen. Es sind oft Treffen von 70, 80 oder noch mehr Menschen.

«Die beliebtesten Lokale sind schon lange ausgebucht», zitierte die Zeitung «El País» vor einer Woche den Präsidenten des spanischen Gaststättenverbandes CEHE, José Luis Yzuel. «Es gibt kaum Angst», stellte das renommierte Blatt fest.

70 Infizierte nach Weihnachtsessen mit 170 Personen

Die Omikron-Variante habe zwar zu Absagen geführt. «Es waren aber nur wenige», versichert Yzuel. Dass vor einigen Tagen knapp 70 Ärzte und Pfleger einer Klinik in Málaga nach einem Weihnachtsessen mit gut 170 Teilnehmern positiv getestet wurden, obwohl sie vor dem Treffen Antigentests gemacht hatten, vermiest nur wenigen die Partylaune.

Ein Einzelfall, meinen viele – wie Alba Costa, die in einem Krankenhaus in Getafe südlich von Madrid arbeitet. Die 29-jährige Ärztin erklärt: «Im vorigen Winter haben wir das nicht einmal in Erwägung gezogen, aber mit der Impfung und den PCR-Tests, die wir im Krankenhaus regelmässig machen, geht es. Deshalb wollen wir Mitte des Monats unser Weihnachtsessen doch veranstalten.»

Die grossen Weihnachtsessen feiern bei Firmen und Familien eine Renaissance, nicht nur in Madrid. Die Zeitung «El Periódico» schrieb am Montag, in der Autonomen Gemeinschaft Extremadura an der Grenze zu Portugal seien «alle Restaurants ab Mittwoch fast zu 100 Prozent gebucht».

Die meisten Spanier vertrauen der hohen Impfquote. Rund 90 Prozent aller Bürger, die älter als zwölf sind, sind bereits vollständig geimpft. Die Fünf- bis Elfjährigen werden ab Mittwoch gepikst. Zum Vergleich: In der Schweiz sind rund 68 Prozent der Menschen zweimal geimpft.

Demos von Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern gibt es in Spanien überhaupt nicht. Die Menschen geniessen das Leben in vollen Zügen. Aber sie bleiben trotzdem vorsichtig: Auf der Strasse tragen zum Beispiel sehr viele, auch viele Jüngere, fast immer weiterhin Maske, obwohl dafür keine Pflicht mehr herrscht.

Corona-Paradies dank 90-Prozent-Impfquote?

Ist Spanien ein «Corona-Paradies»? Nicht ganz: Seit Mitte Oktober stieg der Sieben-Tage-Schnitt pro 1 Million Einwohner von 33 auf über 400. In der Schweiz liegt dieser Wert allerdings über 1000.  

In Spanien ist die Lage auf den Intensivstationen nach Beteuerungen der Behörden zudem weiterhin relativ entspannt, es gibt auch relativ wenige Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 – gut 150 in der letzten Woche. In der Schweiz waren es 178, wobei Spanien mit 47 Millionen fast sechsmal so viele Einwohner*innen zählt.

Isabel Diaz Ayuso, Präsidentin der Region Madrid steht für Laissez-faire im Umgang mit Corona.
Isabel Diaz Ayuso, Präsidentin der Region Madrid steht für Laissez-faire im Umgang mit Corona.
KEYSTONE / EPA / J.J. Guillen

Zahlreiche Touristen profitieren vom Highlife in Spanien und insbesondere in Madrid. Auch die Einheimischen freuen sich natürlich, erst recht Wirte und Ladenbesitzer. Aber den grössten Profit zieht eine 43-Jährige: Isabel Díaz Ayuso. Mit ihrer lockeren Corona-Politik und dem Motto «Freiheit oder Kommunismus» avancierte die konservative Regionalpräsidentin noch vor Film- oder Sport-Stars zur wohl beliebtesten Person Madrids.

Die «Kneipenkönigin», wie der Fernsehsender RTVE sie taufte, oder die «Santa», die «Heilige», wie sie Wirte nennen, wird sofort lautstark gefeiert, sobald sie nur einen Fuss auf die Strasse setzt. «Einschränkungen bringen nur Chaos, wir in Madrid wollen Normalität», sagte sie erst wieder am Montag.

SDA, smi

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