Lagebild Ukraine Eine neue US-Waffe macht Moskau nervös

Von Philipp Dahm

15.12.2022

Kampf um Leben und Tod: Eindrücke aus einem Militärkrankenhaus an der ukrainischen Front

Kampf um Leben und Tod: Eindrücke aus einem Militärkrankenhaus an der ukrainischen Front

Bilder aus einem ukrainischen Militärkrankenhaus in der Region Donezk im Dezember. In dem Gebiet herrschen seit Wochen heftige Kämpfe. Es handelt sich um die intensivsten militärischen Gefechte, seit der Invasion der russischen Streitkräfte Ende Februar. Der 35-jährige Militärarzt, Oleksyj berichtet, wie seine Arbeitstage aktuell aussehen.

15.12.2022

Ab kommender Woche könnte Bewegung in die festgefahrenen Fronten kommen, wenn Eiseskälte den matschigen Boden wieder befahrbar macht. Und mit Patriot-Lieferungen soll Kiew iranische Raketen abfangen können.

Von Philipp Dahm

15.12.2022

Eines vorweg: Auf den Schlachtfeldern in der Ukraine tut sich wenig. Kreminna und Bachmut stehen weiter im Fokus, doch die Geländegewinne sind gering.

Woran das liegt, zeigt ein Video auf Reddit. Da ist ein gepanzerter, amphibischer Truppentransporter vom Typ MT-LB zu sehen, der durch ein Feld in der Ukraine fährt, den der Regen in einen Sumpf verwandelt hat. Das Gefährt schwimmt quälend langsam voran. «Darum greift man bei so einem Wetter nicht an», lautet der Kommentar dazu.

Der MT-LB schwimmt mehr durch den Morast, als dass er fährt.
Der MT-LB schwimmt mehr durch den Morast, als dass er fährt.
Screenshot: u/CorsicA123

Doch ab der kommenden Woche kann sich das ändern. Zum Wochenbeginn fallen die Temperaturen in der Ukraine deutlich, in der Nacht auf Montag werden im Donbass mindestens minus 7 Grad erwartet. Selbst im russisch besetzten Melitopol, das durch das Schwarze Meer stets höhere Temperaturen verzeichnet, sinkt das Quecksilber auf minus 6 Grad.

Erst wenn die matschigen Felder zugefroren sind, wird wieder Bewegung in diesen Krieg kommen. Derweil reiben sich beide Seiten an den beiden Brennpunkten Kreminna und Bachmut auf. Nordwestlich von Swatowe in West-Luhansk will die ukrainische Seite russische Angriffe beim Dorf Novoselivske zurückgeschlagen haben.

Wie Bachmut und Kreminna zusammenhängen

Die Gegenseite behauptet laut Institute for the Study of War, ukrainische Versuche seien unterbunden worden, die wichtige Verbindungsstrasse P-66 zu stören, die von der russischen Grenze nach Luhansk führt. Russischen Militärbloggern zufolge bremst der Matsch leichte ukrainische Fahrzeuge aus, mit denen zuletzt in Charkiw der grosse Durchbruch gelungen war.

Bei Bachmut setzt sich Wladimir Putins stetiger Vormarsch auf die Stadt fort. Nach Monaten des Dagegen-Anrennens haben russische Truppen den Ostteil der Stadt erreicht, der von der Bachmutska abgetrennt ist, und liefern sich blutige Häuserkämpfe mit den Verteidigern. Offenbar wird nicht mehr versucht, Bachmut zu umgehen, sondern frontal anzugreifen. Die letzten ukrainischen Zivilisten werden nun evakuiert.

Die russischen Truppen werden derweil mit Einheiten aus Cherson verstärkt – darunter auch die WDW-Luftlandetruppen, erklärt der Experte Michael Clarke vom Londoner King's College bei «Sky News». Er sieht Kiew Fortschritte bei der Schlacht um Kreminna machen: «Was auch immer in Bachmut passiert, ist bedeutungslos, wenn die Russen Kreminna verlieren.»

Bilder aus Bachmut

Nicht nur in Bachmut selbst, sondern auch nördlich und südlich der Stadt toben heftige Kämpfe und Artillerie-Duelle. In Soldar nördlich von Bachmut sieht es so aus:

YouTube/@ukrainianresistence5131

Hier ein Drohnenbild aus Bachmut selbst – einmal bei Tag ...

Screenshot: u/Tymur75

... und einmal bei Nacht:

Screenshot: u/Tymur75

Gamechanger Patriot

Solange der Matsch grössere Offensiven verunmöglicht, bleiben Raketen das russische Mittel der Wahl, um Kiew Schaden zuzufügen. Doch Moskau geht die Munition aus: «Nach unseren Kalkulationen haben sie noch Raketen für drei bis fünf Angriffswellen», sagt General Vadym Skibitsky vom ukrainischen Geheimdienst der «New York Times». «Dabei gehen wir von 80 bis 90 Raketen pro Welle aus.»

Doch der Kreml bemüht sich um Ersatz – und zwar aus Nordkorea und dem Iran, wie zuletzt Grossbritannien gemeldet hat. Wie der US-Sender NBC berichtet, seien iranische Piloten im Frühling in Russland auf der Su-35 geschult worden. NBC spekuliert unter Berufung auf Pentagon-Kreise, der Jet könnte «innert des kommenden Jahres» exportiert werden.

Südkoreanische Soldaten verfolgen im Oktober 2015 in Boryeong einen Patriot-Abschuss.
Südkoreanische Soldaten verfolgen im Oktober 2015 in Boryeong einen Patriot-Abschuss.
EPA

Im Gegenzug könnte Teheran Moskau neben weiteren Drohnen auch weit fliegende ballistische Raketen verkaufen. In diesem Zusammenhang muss auch Washingtons Vorstoss gesehen werden, der Ukraine nun doch das Luftabwehr-System Patriot zu liefern, das ein Gamechanger für Kiew wäre.

Ein Fall, der bei Eintreten «unvorhersehbare Konsequenzen» haben werde, wie der Kreml bereits warnt. Nach der Ankündigung aus den USA veröffentlicht Moskau ausserdem ein Video auf Telegram, das zeigt, wie in Koselsk in Westrussland eine Interkontinentalrakete in einen Silo geladen wird, was als subtile Drohung interpretiert wird.

Waffen-Update

«Die Angst ist, dass es eine Mini-Allianz zwischen dem Iran und Russland geben wird», erklärt der frühere britische Militär-Berater Chip Chapman bei «Times Radio» den amerikanischen Sinneswandel. «Wenn die Iraner die Fateh-110 oder Zolfaghar liefern, die ballistische Raketen sind, würde die russische Kampagne gegen die Energie-Infrastruktur ausgeweitet werden.»

Im Gegensatz zu den deutschen Systemen Gepard oder Iris-T wäre die Patriot ideal, um diese Raketen mit Mach 4 abzufangen, die Reichweiten von rund 300 und 600 Kilometer haben. «Sie können mehr oder weniger alles abschiessen», meint Michel Clarke, «aber es wäre eine Verschwendung, sie gegen Drohnen einzusetzen.»

Ein heisses Eisen bleiben Panzer-Lieferungen: Während Kiew inzwischen auch in Paris nachgefragt hat, ob Frankreich der Ukraine nicht den Leclerc verkaufen könnte, fordert in Deutschland nicht nur die Opposition, mit Leopard-Panzern zu helfen, sondern selbst Experten der Regierungsparteien. «Es wäre dringend erforderlich», sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann laut ZDF zur Causa. «Da gibt es auch keinen Grund mehr, es nicht zu tun.»

Auch die Slowakei will die Ukraine unterstützen: «Wir haben Ihnen unsere MiG-29 noch nicht übergeben», erklärt Aussenminister Rastislav Kacer in einem Interview, «aber wir sind dazu bereit. Wir sprechen mit unseren Nato-Partnern darüber, wie wir das machen sollen.» Der Hintergrund: Seit dem 1. September überwacht die polnische Luftwaffe den slowakischen Luftraum.