US-WahlkampfElizabeth Warrens neue Rolle: Politische Beraterin von Joe Biden
AP/toko
24.7.2020
Elizabeth Warren und Joe Biden waren einst politische Rivalen. Jetzt unterstützt die Progressive den voraussichtlichen Kandidaten der US-Demokraten für die Präsidentschaft tatkräftig. Hat sie Ambitionen auf das Amt der Vizepräsidentin?
Im vergangenen Jahr war der Ton zwischen Joe Biden und Elizabeth Warren mehr als rau. Der ehemalige US-Vizepräsident warf der Senatorin vor, voller Wut und ohne Kompromissbereitschaft an ihren Standpunkten festzuhalten, sie bezeichnete Biden im Gegenzug als «naiv» für den Glauben, er könne als Präsident mit den Republikanern zusammenarbeiten. Sie warnte die Demokraten, bei den Vorwahlen, in denen sie und Biden antraten, einen «Washingtoner Insider» auszuwählen und lehnte es auch Wochen nach ihrem Ausstieg aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur ab, Biden zu unterstützen. Mittlerweile sind diese Auseinandersetzungen eine entfernte Erinnerung.
Warren, Senatorin aus Massachusetts und führende Progressive unter den US-Demokraten, ist zu einer Vertrauten und Beraterin von Biden geworden, dem designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Sie sprächen etwa alle zehn Tage miteinander, sagten Mitarbeiter beider Politiker anonym. Dabei bot sich für Warren die Gelegenheit, sich für einige ihr wichtige politische Punkte bei Biden einzusetzen, dessen Wahlprogramm im Vergleich gemässigter ist.
In dieses Programm übernahm Biden denn auch einige von Warrens Vorschlägen: zum Privatkonkurs, zum Ausbau der Sozialversicherungsleistungen aus und zur Streichung von Schulden von Millionen Amerikanern, die diese durch Hochschulkredite angehäuft haben. Warren wirbt derweil für Biden, unter anderem, indem sie regelmässige Spendenveranstaltungen für ihn hält. Kürzlich sammelte sie dabei sechs Millionen US-Dollar ein. Nur der frühere Präsident Barack Obama hat mehr für Biden eingebracht.
Warren und Biden stehen sich politisch nicht nahe
Diejenigen, die bei Vorwahlen der Parteien vor der Präsidentschaftswahl ausscheiden, werden häufig gebeten, sich für den Nominierten stark zu machen. Insbesondere wenn sie Vizepräsident oder -präsidentin werden oder ein Ministeramt haben wollen, macht das Sinn. Im Falle von Warren und Biden ist die jetzt enge Beziehung aber vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie sich zuvor nicht unbedingt besonders nahe standen.
Es zeigt auch eine pragmatischere Seite von Warren, deren Wahlkampfkampagne «Dream Big. Fight Hard.» («Träume gross. Kämpfe hart.») von ökonomischem Populismus geprägt war. «Sie ist an der Problemlösung interessiert. Sie ist pragmatischer als sie manchmal während des Wahlkampfs schien», sagt Deval Patrick, der frühere Gouverneur von Massachusetts, der kurzzeitig selbst im Rennen war. «Sie kämpft für das Ergebnis, aber weil sie so klug und kreativ ist, kann sie sich mehr als einen Weg vorstellen, da hinzukommen.»
Eine Frau wird es in jedem Fall
Biden hat versprochen, eine Frau als Vizepräsidentin auszuwählen und auf ihm lastet Druck aus der schwarzen Gemeinde, eine schwarze Frau zu wählen — als Bestätigung der politischen Relevanz und Antwort auf institutionellen Rassismus. Warren, die weiss ist, bleibt trotzdem eine der Finalistinnen. Selbst wenn sie nicht dafür ausgewählt wird, könnte sie mit Leichtigkeit die Rolle der Finanzministerin übernehmen oder die US-Notenbank Federal Reserve leiten, wenn die Amtszeit des Vorsitzenden Jerome Powell 2022 endet. Dies würde sicherstellen, dass Warren weiterhin eine wichtige Stimme in der Regierung von Biden bliebe.
Adam Green, ein enger Vertrauter von Warren und Mitbegründer der Organisation Progressive Change Campaign Committee, sagt, die Auswirkungen der Coronakrise auf das Gesundheitssystem und die Wirtschaft haben die Politik, die Warren als Bewerberin um die Kandidatur vertrat, wichtiger denn je gemacht. Ihre Stärke sei es, «die Schalthebel der Macht zu ziehen und zu drücken, um grosse Ergebnisse zu maximieren».
Warren zeigte die Fähigkeit, sich mit anderen kurzzuschliessen, auch mit anderen Rivalen während der Vorwahlen. Sie baute wichtige Teile des Klimaplans von Gouverneur Jay Inslee in ihren Wahlkampf ein, die Elternzeit-Initiative der New Yorker Gouverneurin Kirsten Gillibrand, und die Bemühungen der kalifornischen Senatorin Kamala Harris, Abtreibungsrechte zu stärken, nachdem diese das Rennen verlassen hatten. Sie baute auch eine enge Freundschaft mit dem früheren Obama-Minister Julián Castro auf, der später für sie Wahlkampf betrieb.
Warren stritt allerdings auch mit dem früheren Bürgermeister von South Bend Pete Buttigieg, und ihr Angriff auf Michael Bloomberg während der Debatte in Las Vegas war der Anfang vom Ende der einst vielversprechenden Kampagne der früheren New Yorker Bürgermeisters.
Warren war schon ein Star der Linken, lange bevor sie sich für die Kandidatur bewarb. Ironischerweise war ein Aufeinandertreffen mit dem damaligen Senator Biden 2005 während einer Anhörung im Kongress für viele US-Amerikaner das erste Mal, dass sie Warren wahrnahmen. Sie lehrte damals Recht an der Harvard Universität. «Sie sind eine sehr gute Lehrerin, Professorin», sagte Biden während der Anhörung über Insolvenzrecht.
«Ihre Wahlkampfkampagne ging nicht besonders gut»
Colin Reed, ein Mitarbeiter eines früheren politischen Gegners Warrens, sagte: «Das ist nicht jemand, der gewillt ist, ganz flexibel zu sein und bei allem Kompromisse einzugehen.» Warren sei nun zwar Biden gegenüber hilfsbereit, habe ihm früher jedoch «ziemlich verächtlich» gegenüber gestanden. «Ihre Wahlkampfkampagne ging nicht besonders gut», sagte Reed. «Ich weiss nicht, ob sie sich jetzt sagt, ‹für meinen nächsten politischen Akt muss ich etwas Neues anbieten›.»
Ein Sprecher Warrens wollte sich für diesen Bericht nicht äussern, und Bidens Wahlkampfteam lehnte eine öffentliche Äusserung zum Auswahlprozess der Vizepräsidentin ab. Warren ist zuletzt aber eines der Gesichter des Biden-Wahlkampfs geworden.
Bei einer Fundraising-Veranstaltung für Biden im Juni beschrieb Warren, wie der frühere Vizepräsident sie anrief, nachdem ihr ältester Bruder am Coronavirus gestorben war, «als ich etwas Freundlichkeit und Trost brauchte». Der Moment sei so intim gewesen, obwohl es ein Videoanruf war, dass Biden sie kurzzeitig «Elizabeth» nannte, bevor er sich fasste und wieder mit «Senatorin Warren» sprach. Biden sagte demnach: «Wir haben so viel Glück, Sie an der Frontlinie zu haben.»