Coronavirus – SchweizEpidemiologe Tanner fordert Fernunterricht für Gymnasiasten
sp, sda
17.1.2021 - 10:27
Wegen des Auftretens der viel ansteckenderen Coronavirus-Mutationen in der Schweiz sollte an Primarschulen mehr getestet werden. Ältere Schüler sollten wieder in den Fernunterricht. Das fordert der Epidemiologe Marcel Tanner von der Covid-Taskforce des Bundes.
Bisher gebe es zwar kaum grössere Ausbrüche in Schulen. Und es sei noch unklar, wie stark die Übertragung von der Schule in die Gesellschaft gehe oder umgekehrt, sagte Tanner in einem Interview mit der «Sonntagszeitung». Gesichert sei jedoch, dass sich Jugendliche genauso infizieren wie Erwachsene. Und eine neue Untersuchung in Genf zeige, dass auch jüngere Kinder eine etwa gleich hohe Infektionsrate haben wie die Erwachsenen in ihrer Umgebung.
«Das ist ein sehr wichtiger Befund. Das zeigt, wenn die Übertragung allgemein hoch ist, sind die Kinder nicht ausgenommen. Weil sie das Virus offenbar vor allem in der Familie erwerben.»
In der neuen Situation mit dem mutierten Virus sei es deshalb zwingend, dass die Teststrategie überdacht werde, so Tanner. «Wir müssen vermehrt ganze Klassen oder gar Schulen durchtesten, wenn Fälle auftauchen.» Es gebe unterdessen ganz einfache Speicheltests. «Die Kantone könnten diese Möglichkeiten zum Beispiel bei Primarschulen einsetzen.»
Präsenzunterricht an Grundschulen fortführen
Eine Schliessung der Primarschulen empfiehlt Tanner vorerst nicht. «Es gibt ein Recht auf Bildung. Und während ein Restaurant für den Schaden, den Massnahmen verursachen, entschädigt werden kann, ist das nicht möglich, wenn bei der Bildung der Kinder und Jugendlichen ein Defizit und soziale Langzeitfolgen entstehen.»
Deshalb sollte die Bildung in der Grundstufe mit Präsenzunterricht gesichert sein, sagte der Experte. Sollten die Fallzahlen aber mit dem mutierten Virus so stark zunehmen wie in England, müsste man auch das überdenken.
Für Gymnasiasten und Berufsschüler dagegen fordert Tanner so schnell wie möglich wieder Fernunterricht. «Alles andere wäre aus wissenschaftlicher Sicht falsch. Schüler der Sekundarstufe sind im Gegensatz zu den Grundstufenschülern zum Beispiel im öffentlichen Verkehr oder in der Mittagspause in den Läden. Es ist jetzt aber ganz wichtig, Kontakte und damit Mobilität zu reduzieren.»
Wolter: «Kinder in der Schule sicherer»
Gegen eine Schulschliessung hat sich auch Bildungsforscher Stefan Wolter, ebenfalls Mitglied der Coronavirus-Taskforce des Bundes, ausgesprochen. Gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagte er, dass es unrealistisch sei, dass sich Kinder bei einer Schliessung nicht mehr treffen würden. Ausserhalb der Schule passiere dies jedoch ohne Schutzkonzepte und Kontrollen. Deshalb seien die Kinder in den Schulen häufig sicherer als Zuhause.
Wenn die Kinder den ganzen Tag zu Hause seien, könne das auch zu Stress und Konflikten führen. Kinder seien jedoch besonders zu schützen. «Sie haben ein langes Leben lang daran zu nagen, wenn sie sich jetzt einen Bildungsrückstand oder gar psychische Probleme einhandeln», sagte Wolter.
Zudem seien Kinder und Jugendliche zwar etwa gleich häufig Träger des Virus, doch sie erkrankten weniger oft als Erwachsene und steckten andere viel weniger an. «Offensichtlich greifen die Schutzvorkehrungen in den Schulen sehr gut», sagte Wolter.
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