Reaktionen auf Todesfall Putin: Gorbatschow hatte «gewaltigen Einfluss» auf die Weltgeschichte

dpa/SDA/uri

31.8.2022

Die Nachricht vom Tod Michail Gorbatschows löst weltweit Trauer und Anteilnahme aus. Viele Politiker würdigen den historischen Beitrag des früheren sowjetischen Staatschefs zum Ende des Kalten Krieges.

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31.8.2022

Der russische Präsident Wladimir Putin hat sein tiefes Beileid zum Tod des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow geäussert. Er lobte dessen Reformanstrengungen und humanitären Einsatz.

«Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat», heisst es in dem am Mittwoch vom Kreml veröffentlichten, kurz gehaltenen Beileidstelegramm an die Angehörigen.

Gorbatschow habe das Land zu einer Zeit «dramatischer Veränderungen» geführt und den grossen Reformbedarf erkannt. Er habe versucht, seine Lösungen für das Problem anzubieten, schrieb Putin.

Zudem ging der russische Präsident auf Gorbatschows Engagement nach dessen Amtszeit als Staats- und Parteichef ein: «Besonders betonen möchte ich die grosse humanitäre, wohltätige und aufklärerische Tätigkeit, die Michail Sergejewitsch Gorbatschow all die letzten Jahre ausübte», heisst es in dem Schreiben.

Der Friedensnobelpreisträger Gorbatschow selbst, der 91 Jahre alt wurde, hatte zu Lebzeiten Putin mehrfach für die Einschränkungen von Freiheit und Demokratie in Russland kritisiert.

Mit Reformpolitik den Lauf der Geschichte verändert

Gorbatschow starb am Dienstagabend nach langer Krankheit, wie das Zentrale klinische Krankenhaus in Moskau (ZKB) mitteilte. In die Geschichte ging Gorbatschow als letzter Staatschef und Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ein, deren Zerfall er mit seiner Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) wider Willen einleitete. Der von ihm eingeleitete Wandel trug zudem zum Ende des Kalten Krieges bei. Ende 1991 trat Gorbatschow nach weniger als sieben Jahren im Amt zurück.

In Russland galt Gorbatschow vielen als Totengräber der Sowjetunion und wurde weitgehend verachtet. Auch einstige Verbündete distanzierten sich von ihm. In weiten Teilen der Welt wurde der Friedensnobelpreisträger indes hochgeschätzt und mit Ehrungen überhäuft. 

Sowjetischer Ex-Präsident Gorbatschow mit 91 Jahren gestorben

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31.08.2022

Cassis: «Die Welt trauert gemeinsam mit der Welt»

Bundespräsident Ignazio Cassis teilte auf Twitter mit, die Schweiz trauere gemeinsam mit der Welt um einen Mann des Friedens. Gorbatschow habe den Lauf des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt. «Er wird als globaler Führer in Erinnerung bleiben, der Freiheit und Hoffnung repräsentierte – Werte, die die Welt heute dringend braucht.»

Joe Biden: «Mann mit einer bemerkenswerten Vision»

US-Präsident Joe Biden hat den verstorbenen früheren Staats- und Parteichef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, gewürdigt. Gorbatschow sei ein «Mann mit bemerkenswerter Vision» gewesen, teilte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) mit. Zudem sei er ein Anführer gewesen, wie es ihn selten gegeben habe. Gorbatschow habe die Vorstellungskraft besessen, eine andere Zukunft als möglich anzusehen. Und er habe den Mut gehabt, «seine gesamte Karriere zu riskieren, um sie zu erreichen», erklärte Biden. «Das Resultat war eine sicherere Welt und grössere Freiheit für Millionen von Menschen.»

UNO-Chef Guterres «zutiefst traurig»

UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich «zutiefst traurig». Gorbatschow sei ein «einzigartiger Staatsmann» gewesen, der den Lauf der Geschichte verändert habe, liess Guterres mitteilen. «Er hat mehr als jeder andere dazu beigetragen, den Kalten Krieg friedlich zu beenden.»

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow für Europa herausgestellt. «Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs», schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. «Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen.»

Nato-Generalsekretär: Gorbatschows Vision bleibt ein Vorbild

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow als Friedensstifter und Vermittler gewürdigt. «Michail Gorbatschows historische Reformen haben zur Auflösung der Sowjetunion geführt, zum Ende des Kalten Krieges beigetragen und die Möglichkeit einer Partnerschaft zwischen Russland und der Nato eröffnet», schrieb der frühere norwegische Regierungschef am Mittwoch bei Twitter. «Seine Vision einer besseren Welt bleibt ein Vorbild.» 

Steinmeier: «Deutschland bleibt ihm verbunden»

Deutschlands Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier hat den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow als «grossen Staatsmann» gewürdigt.

«Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine grosse Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa», erklärte Bundespräsident Steinmeier am Mittwoch.

Gorbatschow habe in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass sein Traum in immer weitere Ferne rückte. «Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine», betonte Steinmeier.

Scholz: Mutiger Reformer 

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte Michail Gorbatschow als mutigen Reformer. Der ehemalige sowjetische Staatschef habe vieles gewagt, sagte Scholz am Mittwoch am Rande der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg. Seine Politik habe es möglich gemacht, «dass Deutschland vereint werden konnte und der Eiserne Vorhang verschwunden ist».

Auch Russland habe dank Gorbatschow den Versuch unternehmen können, eine Demokratie zu etablieren. Nun sei er in einer Zeit gestorben, «in der nicht nur die Demokratie in Russland gescheitert ist», sondern in der der russische Präsident Wladimir Putin auch neue Gräben in Europa ziehe.

«Gerade deshalb denken wir an Michail Gorbatschow und wissen, welche Bedeutung er für die Entwicklung Europas und auch unseres Landes in den letzten Jahren hatte», sagte Scholz. 

Frankreichs Präsident Macron: «Mann des Friedens»

Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte Gorbatschow als «Mann des Friedens». Seine Entscheidung habe den Russen «einen Weg der Freiheit» geöffnet, schrieb Macron auf Twitter. «Sein Engagement für den Frieden in Europa hat unsere gemeinsame Geschichte verändert.»

Der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. «Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte», schrieb Johnson auf Twitter.

Draghi: Gorbatschow stand für den «Wunsch nach Frieden»

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi hat Michail Gorbatschow für dessen Mut, Entschlossenheit und Drang nach Frieden gelobt. In einer Reaktion auf den Tod des früheren russischen Staatschefs teilte Draghi am Mittwoch mit: «Michail Gorbatschow hat die jüngere Geschichte Russlands, Europas und der Welt geprägt. Nach einem Leben in der Kommunistischen Partei beendete er mit Mut und Entschlossenheit die Erfahrung der Sowjetunion und versuchte, eine neue Zeit der Transparenz, der Rechte und der Freiheit zu schaffen.»

«Sein Wunsch nach Frieden und sein Widerstand gegen eine imperialistische Vision von Russland brachten ihm den Nobelpreis ein», erinnerte Draghi. «Diese Botschaften sind aktueller denn je angesichts der Tragödie der Invasion in der Ukraine.»

Warschau: Gorbatschow gab Hoffnung auf würdigeres Leben

Der gestorbene russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hat nach Ansicht von Polens Aussenminister Zbigniew Rau den Menschen in seinem Land «Hoffnung auf ein würdigeres Leben» gegeben. «Er hat den versklavten Völkern der Sowjetunion in beispielloser Weise zu mehr Freiheit verholfen», schrieb Rau am Mittwoch auf Twitter. 

Merkel: Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben

Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow als «einen einzigartigen Weltpolitiker» gewürdigt. «Möge die Erinnerung an seine historische Leistung gerade in diesen schrecklichen Wochen und Monaten des Krieges Russlands gegen die Ukraine ein Innehalten möglich machen», heisst es in einer Erklärung Merkels, die am Mittwoch auf ihrer Internetseite veröffentlicht wurde.

Sie habe die Nachricht von Gorbatschows Tod mit großer Trauer vernommen, schrieb die Altkanzlerin weiter. «Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben. Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann», ergänzte sie. Ohne Gorbatschows Mut «zu Glasnost und Perestroika, also zu Offenheit und Umbau, wäre auch die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen».

Angela Merkel und Michail Gorbatschow im Jahr 2011 in Berlin. (Archiv)
Angela Merkel und Michail Gorbatschow im Jahr 2011 in Berlin. (Archiv)
Bild: Keystone

Nawalny: Nachwelt wird Gorbatschow positiver bewerten

 Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny hat den verstorbenen ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow als «herausragenden Mann» gewürdigt. «Ich bin mir sicher, dass sein Leben und seine Geschichte, die für die Ereignisse des späten 20. Jahrhunderts entscheidend waren, von der Nachwelt weitaus positiver bewertet werden als von den Zeitgenossen», hieß es am Mittwoch auf dem Twitter-Account des Oppositionellen.

Gorbatschow sei friedlich und freiwillig zurückgetreten und habe den Willen seiner Wähler respektiert. «Dies allein ist nach den Maßstäben der früheren UdSSR eine große Leistung.» Vom Tod des Friedensnobelpreisträgers am Dienstagabend habe er über die Lautsprecher in den Gefängniszellen erfahren.

Gespaltenes Bild in Russland

Der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hat den verstorbenen ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow für dessen Bemühungen um Frieden gewürdigt. «Er hat sowohl dem Land als auch der Welt ein unglaubliches Geschenk gemacht: Er hat uns 30 Jahre Frieden geschenkt. Ohne die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs», schrieb der Chefredakteur der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta» am Mittwoch. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, nach dem die Zeitung ihr Erscheinen in Russland einstellen musste, urteilte Muratow: «Das Geschenk ist vorbei. Es wird keine Geschenke mehr geben.»

Gorbatschow sei sich seinerzeit sicher gewesen, dass Probleme der Weltordnung nicht durch Gewalt gelöst werden könnten. «Er liess politische Gefangene frei. Stoppte den Krieg in Afghanistan und das nukleare Wettrüsten», so Muratow. Der Ex-Staats- und Parteichef habe seine Frau mehr geliebt als seine Arbeit, die Menschenrechte über den Staat und den friedlichen Himmel über die eigene Macht gestellt.

Der prominente liberale russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski teilte auf Telegram mit: «Gorbatschow gab uns die Freiheit. Er hat Millionen von Menschen die Freiheit gegeben – in Russland und seinem Umfeld und noch dazu der Hälfte Europas.»

Der Chef des aussenpolitischen Ausschusses im russischen Unterhaus, Leonid Sluzki, stellte Gorbatschow als «widersprüchlichen» Charakter dar. Mit seinen Reformen habe Gorbatschow «denjenigen in die Hände gespielt, die versuchten, die UdSSR von der Weltkarte zu streichen». Sergej Mironow, Vorsitzender der Partei Gerechtes Russland, teilte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass mit, Gorbatschow habe «die Hoffnungen auf gewaltige Veränderungen» verkörpert. Doch durch Gorbatschow sei «ein großartiges Land» verloren gegangen. Er sei für eine «Tragödie für Generationen von Russen» verantwortlich.

Unverblümte Kritik gab es von einem Mitglied der Regierungspartei Geeintes Russland, Oleg Morosow. Er sagte, Gorbatschow hätte seine Fehler bereuen sollen, die den Interessen des Landes geschadet hätten. «Er war ein williger oder ein unwilliger Co-Autor der ungerechten Weltordnung, gegen die unsere Soldaten jetzt auf dem Schlachtfeld kämpfen», sagte Morosow laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti.

Michael Gorbatschow am 7. November 1989 in Moskau. (Archiv)
Michael Gorbatschow am 7. November 1989 in Moskau. (Archiv)
Bild: Keystone