Tigray Eritreische Soldaten plündern und töten in Äthiopien

AP/toko

27.1.2021 - 00:00

Flüchtlinge aus der Region Tigray am Fluss Tekeze an der Grenze zwischen Äthiopien und Sudan. 
Flüchtlinge aus der Region Tigray am Fluss Tekeze an der Grenze zwischen Äthiopien und Sudan. 
Keystone/AP/Nariman El-Mofty

Offiziell gibt es für den Einsatz keine Bestätigung, aber Augenzeugen berichten von schwersten Gräueltaten. Ein ehemaliger Verteidigungsminister fordert bereits Schutz von den Vereinten Nationen.

Zenebu erinnert sich noch genau, wie der gestohlene Schmuck in den Taschen der eritreischen Soldaten klimperte. Sie stand neben ihnen, als sie Kleidungsstücke anprobierten, die sie in einem Dorf der umkämpften äthiopischen Region Tigray geraubt hatten. Die Soldaten hätten alles mitgenommen, selbst Windeln, sagt Zenebu, die es nach Wochen in Tigray in diesem Monat zurück nach Hause schaffte, in den US-Staat Colorado. Noch viel schlimmer sei aber gewesen, dass die Soldaten von Haus zu Haus gegangen seien und Männer und Jungen getötet hätten. Manche seien erst sieben Jahre alt gewesen.

«Sie haben sie getötet, einfach weil sie geweint haben», sagt Zenebu der Nachrichtenagentur AP. Es sind Augenzeugenberichte wie ihrer, die eine Beteiligung des Nachbarlands Eritrea an dem Konflikt in der äthiopischen Region zur Gewissheit werden lassen. Bisher wird nur vermutet, dass Tausende eritreische Soldaten an der Seite der äthiopischen Truppen kämpften. Ihnen wird vorgeworfen, Flüchtlinge aus ihrem eigenen Land sowie Einheimische zu schikanieren, zu vergewaltigen und zu töten. Nun wird auch noch befürchtet, dass sie freiwillig nicht mehr gehen werden.



Eritrea und Äthiopien schlossen erst kürzlich Frieden. Für seine Bemühungen erhielt der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis. Eritrea bleibt allerdings verfeindet mit den Anführern in Tigray, die fast 30 Jahre die Regierung in Äthiopien dominierten und nun auf der Flucht sind, seit der Machtkampf mit der Zentralregierung im November zu Gefechten mit den äthiopischen Soldaten führte. Die äthiopische Regierung bestreitet, dass sich eritreische Soldaten in Tigray befinden. Ein äthiopischer Militärkommandeur bestätigte im vergangenen Monat allerdings ihre Anwesenheit dort.

Zwei Jahrzehnte Krieg

Die eritreischen Soldaten verstecken sich nicht. Sie nahmen sogar an Treffen teil, bei denen Vertreter von Hilfsorganisationen mit den äthiopischen Behörden über einen Zugang zu den umkämpften Gebieten verhandelten. Millionen Menschen in Tigray leben in Angst vor den Eritreern, weckt ihre Anwesenheit doch Erinnerungen an den zwei Jahrzehnte währenden Krieg zwischen beiden Ländern.

«Wenn sich Eritrea weigert abzuziehen, sollten uns die UN Schutz gewähren, bevor wir als Volk untergehen», forderte der ehemalige äthiopische Verteidigungsminister Seye Abraha am Sonntag in den Medien in Tigray. Eine Sprecherin des äthiopischen Ministerpräsidenten wollte sich nicht zu den eritreischen Soldaten im Land äussern.

Journalisten bekommen praktisch keinen Zugang zu Tigray und auch die Kommunikation nach aussen ist schwierig. Augenzeugenberichte liefern daher das bisher deutlichste Bild von der Lage vor Ort. Die Ankunft eritreischer Soldaten wurde zuerst aus dem Nordwesten von Tigray gemeldet, wo auch die ersten Kämpfe stattfanden. Die Äthiopische Menschenrechtskommission zitiert Bewohner der Grenzstadt Humera, die Eritreer hätten sich an Plünderungen beteiligt, Vorratslager seien nun leer. Immer mehr Menschen hungerten.

«Sie haben ihn einfach weggeworfen»

Zenebu, eine 48 Jahre alte Mitarbeiterin im Gesundheitswesen, beschreibt die Situation in der Mitte Tigrays, einem Gebiet, aus dem bisher wenig bekannt ist. Sie sah die eritreischen Soldaten im Dezember demnach das erste Mal. Gemeinsam mit anderen floh sie in die Berge, als sich die Soldaten näherten. Ihre Mutter war körperlich zu schwach für die Flucht und blieb zurück.

Erst zwölf Tage später kehrte Zenebu in den Ort Hawzen zurück. In der Dunkelheit sei sie über Leichen gestolpert, erzählt sie. 70 der Toten habe sie gekannt. Ein Junge aus der Nachbarschaft, erst zwölf Jahre alt, habe kleinere Besorgungen für die Soldaten erledigt. Danach hätten sie ihn getötet. «Ich habe seine Leiche gesehen», sagt Zenebu. «Sie haben ihn einfach weggeworfen.» Ihre Mutter hat überlebt, ihr Haus wurde geplündert.

Auch äthiopische Soldaten hätten einige Gräueltaten begangen, sagt Zenebu. Die Eritreer habe sie an ihren gezeichneten Wangen und an ihrem Dialekt erkannt. «Ich war sehr traurig und überrascht, dass die Eritreer so etwas tun, weil ich eine Verbindung zu ihnen fühlte, wir sprechen doch dieselbe Sprache.»

Furchtbarer als in den 80er Jahren

Sie beschreibt die Lage als noch furchtbarer als in den 80er Jahren. Damals herrschten Hunger und Krieg in Tigray; die Bilder der ausgezehrten Menschen gingen um die Welt. Aber damals habe es keine Plünderungen gegeben, keine gnadenlosen Morde, erinnert sich Zenebu, die in den Sudan floh. «Es ist schlimmer als vorher.» Von der Hauptstadt Tigrays, Mekele, konnte sie ihre Familie in den USA anrufen und gelangte schliesslich nach Hause. Zu ihrer Mutter kann sie zurzeit keinen Kontakt aufnehmen.

Eine andere Gewährsperson, der ebenfalls die Flucht aus Hawzen gelangte, bestätigte der AP, dort seien eritreische Soldaten im Einsatz. Es gebe Morde und Plünderungen. Auch diese Person identifizierte die Ausländer an ihrem Dialekt. «Dasselbe Blut, dieselbe Sprache», erklärt sie. «Ich weiss nicht, warum sie töteten.»

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