US-Bürgerrechte Virginia schafft die Todesstrafe ab und wird zum Vorreiter unter den Südstaaten

tsha

25.2.2021

«Du sollst nicht morden» steht auf diesem Schild eines jungen Demonstranten, der 2009 vor einem Gefängnis in Virginia gegen die Todesstrafe protestiert.
«Du sollst nicht morden» steht auf diesem Schild eines jungen Demonstranten, der 2009 vor einem Gefängnis in Virginia gegen die Todesstrafe protestiert.
Bild: Keystone

Als erster aller historischen Südstaaten schafft Virginia die Todesstrafe ab. Ist das Ende der Hinrichtungen in den USA nah?

Keine zwei Jahre, nachdem er erstmals Fuss gesetzt hatte auf amerikanischen Boden, musste George Kendall sterben. Kendall, Ende 30, war im Jahr 1607 nach vier Monaten auf See im heutigen Virginia angekommen. Der Mann aus Grossbritannien hatte geholfen, auf einer mückenverseuchten Insel im heutigen James River eine Siedlung zu errichten, zusammen mit mehr als 100 anderen, die ihr Glück in der Neuen Welt suchten.

Was dann genau geschah, irgendwann im Winter des Jahres 1608, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Kendall wurde jedenfalls vorgeworfen, eine Meuterei geplant zu haben. Man stellte ihn vor ein improvisiertes Gericht, verurteilte ihn zum Tode und erschoss ihn. Captain George Kendall, so vermuten die Historiker heute, war wohl der erste Mensch in der Geschichte der USA, der hingerichtet wurde.



Der Bundesstaat Virginia hat seitdem fleissig weitergetötet. Seit 1608, so eine Zählung des Death Penalty Information Center, wurden in Virginia 1309 Hinrichtungen durchgeführt – mehr als in jedem anderen US-Staat. Seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA im Jahr 1976 starben in Virginia 113 Menschen durch staatliche Hand –  vor allem Schwarze.

«Dieser Maschinerie des Todes ein Ende bereiten»

Jetzt, mehr als 400 Jahre nach der Hinrichtung von Captain George Kendall, soll das staatlich sanktionierte Töten ein Ende nehmen. Anfang der Woche stimmten beide Kammern des Parlaments von Virginia für die Abschaffung der Todesstrafe. Der demokratische Gouverneur Ralph Northam wird das entsprechende Gesetz wohl in diesen Tagen unterzeichnen. «Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn, um sicherzustellen, dass unsere Strafjustiz fair und angemessen ist», sagte Northam in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses und dem Mehrheitsführer im Senat.

Ralph Northam, Gouverneur von Virginia, ist für ein Ende der Todesstrafe in seinem Staat.
Ralph Northam, Gouverneur von Virginia, ist für ein Ende der Todesstrafe in seinem Staat.
Bild: Keystone

Noch warten zwei Männer in den Gefängnissen von Virginia auf ihre Hinrichtung. Sobald das Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe in Kraft getreten ist, wird ihre Strafe in lebenslange Haft ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung umgewandelt. Die Todesstrafe, so Gouverneur Northam, sei kein effektives Instrument der Strafjustiz mehr. «Es ist Zeit, dass wir dieser Maschinerie des Todes ein Ende bereiten.»

In den vergangenen Jahren haben mehr und mehr US-Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft; zuletzt änderte Colorado im März vergangenen Jahres seine Verfassung. Mit Virginia geht nun aber erstmals einer der traditionell konservativen Südstaaten diesen Schritt. Ein Signal für den Rest des Landes?



In den USA hat sich längst herumgesprochen, dass der Vollzug der Todesstrafe oftmals teurer ist als lebenslange Haft – lange Prozesse, die zum Tode Verurteilte häufig führen, kosten viel Geld. Auch werden immer wieder Fälle von Death-Row-Insassen bekannt, die unschuldig verurteilt oder gar hingerichtet wurden. Dass die Todesstrafe auf dem Rückzug ist in den USA, hat aber auch pragmatische Gründe. Denn die nötigen Stoffe für die Giftspritze zu beschaffen, ist in den vergangenen Jahren schwieriger geworden.

Viele Hinrichtungen unter Trump

Andererseits lässt sich die Entscheidung aus Virginia nicht so einfach auf andere Staaten im Süden der USA übertragen. Denn ganz so konservativ wie einst ist der Ostküstenstaat heute nicht mehr. Dass Virginia nach links umgeschwenkt ist – bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr stimmte eine Mehrheit  der Bevölkerung für den Demokraten Joe Biden – hat viel damit zu  tun, dass Virginia an die Bundeshauptstadt Washington, D.C. angrenzt.

Viele Vororte von Washington liegen in Virginia – Orte, in die in den letzten Jahren viele zumeist liberal eingestellte Akademiker gezogen sind: Regierungsbeamte, Ärzte, Wissenschaftler. Alles Menschen, die tendenziell gegen die Todesstrafe sind. Diese neue linke Dominanz spiegelt sich auch in der Politik des Staates Virginia wider – und in der Abstimmung über die Abschaffung der Todesstrafe. So wurden die Republikaner im Landesparlament mit ihrer Forderung, die Todesstrafe für Mörder von Polizisten nicht abzuschaffen, von der demokratischen Mehrheit überstimmt.



Auch auf Bundesebene dürften so bald keine Todesurteile mehr vollstreckt werden. Nachdem die Bundesregierung fast zwei Jahrzehnte lang keine Hinrichtungen mehr durchführen liess, wurden unter Donald Trump 13 Menschen wegen Bundesverbrechen hingerichtet. Anders als sein Vorgänger ist Joe Biden ein entschiedener Gegner der Todesstrafe: Im Wahlkampf hatte der Demokrat angekündigt, sich für ein Ende der Todesstrafe auf Bundesebene einsetzen zu wollen.

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