Finnische Regierung droht Russland «Es braucht nicht viel und wir schliessen die ganze Ostgrenze»

Von Dominik Müller

17.11.2023

Ein Stacheldraht trennt beim Grenzübergang Imatra die Staatsgebiete von Finnland und Russland. (Bild vom 26. Oktober 2023)
Ein Stacheldraht trennt beim Grenzübergang Imatra die Staatsgebiete von Finnland und Russland. (Bild vom 26. Oktober 2023)
Bild: Keystone

Weil Russland Migrant*innen ohne Papiere über die Grenze schickte, schliesst Finnland jetzt vier Grenzübergänge. Beruhigt sich die Lage nicht, drohe eine Ausweitung auf die ganze Ostgrenze.

Von Dominik Müller

17.11.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die finnische Regierung beschuldigt Russland, Migrant*innen aus Krisenstaaten ohne Papiere über die Grenze zu schleusen.
  • In der Nacht auf Samstag schliesst Finnland vier Grenzübergänge zu Russland im Südosten des Landes.
  • Sollten die Massnahmen nicht wirken, sei Finnland bereit, die gesamte Ostgrenze zu schliessen.
  • Asylbewerber*innen in Finnland berichten, sie seien von russischen Beamten angewiesen worden, ein Velo zu kaufen und damit über die Grenze nach Finnland zu fahren.

Die finnische Regierung wird vier Grenzübergänge zu Russland schliessen. Die Grenzübergänge Imatra, Niirala, Nuijamaa und Vaalimaa im Südosten des Landes würden in der Nacht auf Samstag gesperrt, sagten Premier Petteri Orpo und Innenministerin Mari Rantanen am Donnerstag.

Die finnische Regierung wirft Russland vor, Migrantinnen und Migranten ohne Papiere über die Grenze zu schleusen, um das seit April zur Nato gehörende Finnland zu destabilisieren. «Es ist klar, dass diesen Menschen geholfen wird, und sie werden auch von Grenzbeamten zur Grenze begleitet oder transportiert», sagte Orpo der Nachrichtenagentur Reuters.

Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo wirft Russland vor, Migrant*innen illegal über die Grenze zu schleusen.
Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo wirft Russland vor, Migrant*innen illegal über die Grenze zu schleusen.
Bild: Keystone

Die vier Übergänge liegen verkehrsgünstig in der Nähe der russischen Stadt St. Petersburg. Sollte die Schliessung zur Beruhigung der Lage nicht ausreichen, ist die finnische Regierung offenbar bereit, noch drastischere Massnahmen zu ergreifen: «Es braucht nicht viel und wir schliessen die ganze Ostgrenze, um die Asylsuche von der Ostgrenze weg zu konzentrieren», sagte Finanzministerin Riikka Purra während eines TV-Auftritts beim öffentlich-rechtlichen Sender Yle am Donnerstagabend.

«Hybride Kriegsführung» mit Migration

Entlang der 1300 Kilometer langen Grenze zwischen Finnland und Russland befinden sich insgesamt acht Grenzübergänge. Die vier nördlichen Kontrollpunkte bleiben – zumindest vorläufig – geöffnet.

Das Augenmerk wird sich mit der Schliessung im Südosten weiter nördlich richten. Man wolle laut Verteidigungsminister Antti Häkkänen Russland daran hindern, Asylsuchende als Waffen für eine «hybride Kriegsführung» einzusetzen. «Wir wissen, was in anderen Ländern passiert ist, die eine gemeinsame Grenze mit Russland haben», sagte Häkkänen zum Sender Yle. Russland habe damit begonnen, «eine grosse Anzahl von Menschen» an die Grenze umzuleiten.

Seit geraumer Zeit wird Russland verdächtigt, Migrant*innen aus Krisenstaaten wie Syrien, Irak und Somalia von der Türkei aus einzufliegen, und dann organisiert von dort über Belarus nach Europa zu schleusen.

Russland lässt Migranten mit Fahrrädern über Grenze

Asylsuchende in Finnland bestätigen die Vorwürfe. Die russische Polizei habe ihn gefragt, ob er nach Finnland wolle und angeboten, ihm zu helfen, sagte ein Asylbewerber der finnischen Nachrichtenagentur STT. Er sei aus der Türkei mit einem Freund nach St. Petersburg geflogen, weil ein Visum dafür schnell zu bekommen sei. Ein russisches Armeefahrzeug habe ihn zu einer Art Polizeistation nahe der finnischen Grenze gebracht. Dort habe man ihn angewiesen, ein Taxi zu nehmen.

Das sei aber kein gewöhnliches Taxi gewesen, sondern eines, das auch Velos transportiert habe. Die hätten sie dann kaufen müssen. Der Chauffeur habe sie bis kurz vor die Grenze gebracht.

Die finnische Grenzpolizei hat am Donnerstag Migrant*innen, die aus Russland illegal die Grenze passierten, am Grenzübergang Nuijamaa abgefangen.
Die finnische Grenzpolizei hat am Donnerstag Migrant*innen, die aus Russland illegal die Grenze passierten, am Grenzübergang Nuijamaa abgefangen.
Bild: Keystone

Die Velos haben offenbar System: Im Aufnahmezentrum Joutseno berichteten vier Asylbewerber aus dem Irak der Zeitung «Helsingin Sanomat», sie hätten 100 bis 400 Dollar für ein Velo bezahlen müssen. Die Räder seien am Strassenrand von einem Anhänger verkauft worden.

Fünf Menschen aus Somalia sagten der Zeitung am Grenzübergang Nuijamaa: «Die russischen Grenzbehörden erlauben es nicht, zu Fuss zu gehen, man muss ein Fahrrad haben.»

Auf Facebook und TikTok werde auf Arabisch für sichere Reisen über Russland ins EU-Mitgliedsland Finnland geworben. «Russland hat die Ostgrenze Finnlands für die Einwanderung geöffnet. Jeder sollte seinen Freunden sagen, dass diese Route einen Versuch wert ist», heisst es in einem Video auf TikTok.

Vorwürfe auch aus Estland

Am Donnerstag berichtete auch Estland von Migrant*innen an der russischen Grenze ohne gültige Papiere. Innenminister Lauri Läänemets sagte, die acht Somalier seien zurückgeschickt worden. Er sprach von einem «hybriden Angriff». Nach Angaben der Kontrollstelle in Narva gab es in der Nacht zu Freitag keine neuen Einreiseversuche. Läänemets betonte im Fernsehen, Estland sei auf alles vorbereitet und bei Bedarf auch bereit, Grenzpunkte zu schliessen.

Der finnische Verteidigungsminister Häkkänen betont derweil, der finnische Grenzschutz sei bereit, physische Gewalt anzuwenden, um Menschen daran zu hindern, über die geschlossenen Grenzübergänge illegal einzureisen. Weitere Einzelheiten dazu nennt er gegenüber «Yle» nicht. «Wir werden sehen, ob die Notwendigkeit besteht.»

Mit Material der Nachrichtenagentur SDA

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