Missstände an EU-Aussengrenze Flüchtende berichten, wie sie ohne Wasser in «Käfig» gesperrt werden

tjnj

8.12.2022

Geflüchtete übertreten die ungarische Grenze. (Archivbild)
Geflüchtete übertreten die ungarische Grenze. (Archivbild)
AP Photo / Darko Bandic / Keystone

In der EU geniessen Geflüchtete das Recht auf einen Asylantrag. Eine Recherche von Investigativjournalist*innen hat nun illegale Abschiebungen und Menschenrechtsverletzungen an EU-Grenzen in Bulgarien, Kroatien und Ungarn nachgewiesen.

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8.12.2022

Eigentlich müssen Geflüchtete, wenn sie die EU erreichen, registriert und es ihnen ermöglicht werden, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Wie eine internationale Gruppe von Reporter*innen nun in einer fast einjährigen Recherche bewiesen haben, erwartet viele von ihnen stattdessen illegale Haft und Abschiebung.

Konkret sind es Bulgarien, Kroatien und Ungarn, deren Behörden Asylsuchende nachweislich illegal inhaftieren und abschieben, ohne dass sie ihr Recht auf einen Antrag wahrnehmen dürfen. Die Menschen werden nicht registriert.

Wie der «Spiegel», der unter anderem neben dem SRF, Sky News und der französischen «Le Monde» in der Sache recherchierte, berichtet, ist diese Praxis an der EU-Grenze vielerorts zum Standard geworden.

EU-Gelder im Einsatz

Die Staaten nutzen für ihre illegale Vorgehensweise teilweise Geräte und Strukturen, die von EU-Geldern finanziert wurden: Alle drei Länder erhalten Unterstützung für ihren Grenzschutz in Millionenhöhe. Ungarn zum Beispiel finanzierte so die Gefangenentransporter, die es nun für illegale Abschiebungen nutzt.

Die Reporter*innen erheben ausserdem schwere Vorwürfe gegen Frontex, die Grenzschutzagentur der EU: Diese dulde das inhumane Vorgehen. Mehrmals seien Frontex-Wagen in unmittelbarer Nähe der illegalen Haftanstalten gesichtet worden.

Die Möglichkeit einer Überprüfung der rechtmässigen Verwendung der Gelder nimmt die EU-Kommission indes nicht wahr. Das könnte damit zusammenhängen, dass es in ihrem Interesse liegt, wenn Kroatien und Bulgarien in den Schengenraum aufgenommen werden. Um das zu ermöglichen, wurde beiden Ländern erst neulich Fortschritte beim Flüchtlingsschutz bescheinigt. Kroatien erhielt am heutigen Donnerstag die Berechtigung, 2023 beizutreten.

Platz- und Wassermangel

Für ihre Reportage filmten die Journalist*innen die Vorgänge an der Grenze mit Drohnen und GoPro-Kameras und interviewten Dutzende Geflüchteter. Einer von ihnen berichtet, in Bulgarien dazu gezwungen worden zu sein, mit acht anderen Flüchtlingen auf Kartons in einer Art Käfig zu schlafen. Auf die Bitte nach Wasser hätten sie keines bekommen. «Ich bringe euch Wasser aus den Toiletten. Ihr habt es nicht verdient, in dieses Land zu kommen», habe ihnen der Grenzschützer gesagt.

Die Geflüchteten werden oft unter unmenschlichen Bedingungen in inoffizielle Gefängnisse gebracht, um auf eine auf keinem Verfahren basierende Abschiebung zu warten.

Diese kann bereits nach Stunden stattfinden oder erst nach Tagen. Manche der Einrichtungen sind baufällig, die Menschen darin dem Wetter ausgesetzt. Es fehlt an Nahrung und sanitären Anlagen.

«Ausserhalb jeder rechtsstaatlicher Verfahren»

Die vor den Taliban aus Afghanistan geflohene Englischlehrerin Diana Naderi berichtet, wie ihre Gruppe von 20 Personen von kroatischen Beamten in einen engen Kastenwagen gesperrt wurden. Zu ihrer Gruppe gehörten auch einige Kinder.

Vier Stunden sei der Wagen ohne Fenster oder Lüftungsöffnungen in der Sonne gestanden. Schreie um Hilfe seien ignoriert worden. Naderi hat inzwischen einen Asylantrag in der Schweiz gestellt.

Das alles passiere «offensichtlich heimlich, ausserhalb jeder rechtstaatlicher Verfahren und ist deshalb völkerrechtswidrig», erklärt die Genfer Migrationsforscherin Izabella Majher. Aufgrund der Aussenbedingungen und der Länge der Haft könne man auch von Folter oder Misshandlung sprechen.

Orbán prahlt mit harter Linie

In Ungarn wurde die Praxis, Geflüchtete ohne Verfahren direkt aus dem Land zu bringen, sogar legalisiert. Allerdings verstösst es damit gegen geltendes EU-Recht – was Viktor Orbáns rechtsgerichteter Regierung jedoch egal ist. Sie versucht sogar, aus ihrem Rechtsbruch politischen Nutzen zu ziehen, indem sie mit ihrem erbarmungslosen Vorgehen prahlt.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, mit seiner Härte gegen Asylsuchende innenpolitisch zu punkten.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, mit seiner Härte gegen Asylsuchende innenpolitisch zu punkten.
Bild: Darko Vojinovic / AP / dpa

Die Tatsache, dass die Praxis dort legal ist, ändert jedoch nichts an den Methoden. Diese sind den Recherchen nach ähnlich brutal wie in Ländern, in denen heimlich agiert wird: Menschen werden in extrem enge Container getrieben, müssen teils übereinander liegen. Wasser ist Mangelware.

Stattdessen würde Pfefferspray eingesetzt, um Platz für neue Insassen zu schaffen, sagte Alessandro Mangione von «Ärzte ohne Grenzen». Seit 2021 hätten er und seine Kolleg*innen fast 500 Geflüchtete mit Brüchen, offenen Wunden und anderen Verletzungen behandelt.

Keine Anerkennung von Missständen

Die ungarische Regierung weist die Vorwürfe zurück. Man halte sich an EU-Recht und lege Wert auf einen menschlichen Umgang mit Migrant*innen. Ähnlich reagierte das kroatische Innenministerium, das konkrete Vorwürfe jedoch nicht kommentieren wollte.

Die bulgarische Regierung liess eine Anfrage der Reporter*innen bislang unbeantwortet, erklärte in einer Pressekonferenz Anfang der Woche, dass steigende Aggressivität unter Migrant*innen ein Problem sei.

Die EU-Kommission verweigerte eine Stellungnahme zur Anwesenheit von Frontex. Anschuldigungen über Fehlverhalten an EU-Grenzen nehme sie aber ernst. Die Untersuchung derselben falle jedoch nicht in ihren Verantwortlichkeitsbereich. Das müssten die nationalen Behörden in den betroffenen Ländern selbst tun.