Syrien Familien haben wenig Hoffnung auf Wiedersehen mit vermissten Jesiden

AP

5.3.2019

Nach Jahren der Qualen kam Baseh Hammo im Januar frei.
Nach Jahren der Qualen kam Baseh Hammo im Januar frei.
Bild: Khalid Mohammed/AP/dpa

Der IS ist in Baghus in die Enge gedrängt. Mit ihm sind in der syrischen Ortschaft versklavte Jesiden gefangen. Rund 1000 sollen es sein, weit mehr werden vermisst. Sehen sie ihre Familien jemals wieder?

Baseh Hammo war 38, als sie von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates verschleppt und versklavt wurde. Die Jesidin wurde vergewaltigt, misshandelt, 17 Mal weiterverkauft an Anhänger des «IS-Kalifats». Nach Jahren der Qualen kam sie im Januar frei – ein Kämpfer der Terrormiliz liess sie zusammen mit seiner eigenen Familie aus der syrischen Ortschaft Baghus ziehen.

Dort hält der Islamische Staat, der ab 2014 weite Teile Syriens und des Iraks kontrollierte und inzwischen zurückgedrängt wurde, seine letzte grosse Bastion. In Baghus steht er den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) gegenüber, die mit US-Unterstützung gegen die Extremisten kämpfen. Baseh Hammo kam auf einem Lastwagen aus Baghus heraus, wurde von kurdischen Kämpfern aufgegriffen und konnte wenige Tage später im Irak ihre beiden Töchter wieder in die Arme schliessen.

Das glückliche Ende der grausamen Geschichte teilt Hammo aber bei weitem nicht mit allen ihrer Leidensgenossen. Tausende Frauen und Kinder versklavten die IS-Terroristen, als sie 2014 über die jesidische Region Sindschar im Nordirak herfielen. An die 200'000 Mitglieder der ethnisch-religiösen Minderheit flohen vor den selbst ernannten Gotteskriegern. Viele Jesiden, die als Ungläubige verfolgt wurden, liessen ihr Leben. Von jenen, die verschleppt wurden, werden noch immer rund 3000 vermisst.

Der Horror holt sie täglich ein

Als die SDF-Allianz vor kurzem ihren Angriff auf Baghus zeitweilig aussetzte, hofften viele, dass ihre verschollenen Familienmitglieder auftauchen würden: dass sie noch in Baghus wären und endlich eine Chance hätten, dem IS zu entkommen. Doch unter den Tausenden Menschen, die aus Baghus strömten, waren nach Angaben der kurdischen Regionalregierung im Irak nur ein paar Dutzend Jesiden. Behördenmitarbeiter Hussein Karo beziffert ihre Zahl auf gerade einmal 47.

Viele würden wohl nie wieder gefunden, nie nach Hause zurückkehren, meinen Baseh Hammo und Farha Farman, die jetzt ebenfalls dem IS-Terror entkam. Einige blieben in Baghus, weil sie es nicht schafften, ihre Kinder bei den IS-Vätern zurückzulassen. Andere gingen nicht, weil sie sich inzwischen die IS-Ideologie zu eigen gemacht hätten. Und viele seien schlicht zu verstört und verängstigt, um die Flucht zu wagen.

Sie habe eine Jesidin, die sich ein usbekischer IS-Kämpfer zur Frau genommen habe, gedrängt, mit ihr Baghus zu verlassen, berichtet Hammo. Doch diese habe sich geweigert. Sie habe gesagt, dass sie sich lieber selbst in die Luft sprenge, als ihre Kinder zurückzulassen.

Hammo und Farman haben in einfachen Flüchtlingslagern im Irak Unterschlupf gefunden. Der Horror der vergangenen Jahre holt sie täglich ein. Hammo berichtet, wie einer ihrer «Besitzer», ein IS-Kämpfer aus Schweden, sie einsperrte und tagelang hungern liess. Ein anderer, ein Albanier, habe sie schwer misshandelt, als sie sich traute, ihn wegen des Kaufs eines neunjährigen Mädchens zur Rede zu stellen, das als Sklavin dienen sollte.

«Ich kann nichts Grünes mehr sehen»

Die letzten Monate wurde der Hunger immer grösser. Hammo versuchte, aus Hühnerfutter Teig für Brot zu machen. Schliesslich blieben ihr noch Gras und Blätter. «Ich kann nichts Grünes mehr sehen», sagt die abgemagerte Frau mit den vernarbten Händen. Sie geht davon aus, dass noch etwa 1000 Jesiden in Barghus sind. Das habe sie so gehört, sagt Hammo. Darunter sollen 130 Jungen sein, die zu Dschihadisten ausgebildet werden.

Die 21 Jahre alte Farha Farman sorgt sich vor allem um ihre Schwester und fünf junge Verwandte, von denen seit der Entführung vor fast fünf Jahren jede Spur fehlt. Farman selbst war 17, als sie verschleppt wurde. Sie landete in den Händen eines syrischen Kämpfers, der sich als Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Seine Familie verkaufte sie an einen saudischen Kämpfer, der sie zusammenschlug, weil sie versuchte zu flüchten – zwei Mal. Regelmässig kommt alles in Alpträumen hoch, die Farman den Schlaf rauben.

Unterdessen verlor der IS an Territorium. Farha Farman zog mit ihrem Peiniger von Ort zu Ort, bis sie schliesslich in Baghus landete. «Ich habe halb Syrien kennengelernt», sagt sie voll bitterer Ironie.

Als ihr Mann in die Türkei fliehen wollte, weigerte sie sich mitzukommen. Er verkaufte sie an einen Schmuggler und kassierte dafür 10'000 Dollar (rund 8800 Euro) – Geld, das Jesiden im Exil aufgebracht haben, um Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft aus dem IS-Terror freizukaufen. Farman entkam der Hölle. Ihr IS-Mann wurde geschnappt. Von ihm hat sie nichts mehr gehört.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite