«Machen Sie Krach»Flyer gegen sexuelle Belästigung empört Frauen in Frankreich
dpa/toko
3.6.2023 - 19:53
Viele Frauen in Frankreich klagen über sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Dass die Polizei nun dagegen Millionen von Flyern mit Verhaltenstipps für Frauen verteilt, wird im Land scharf kritisiert.
dpa/toko
03.06.2023, 19:53
03.06.2023, 20:02
dpa/toko
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
In Frankreich sorgt ein Flyer der Polizei gegen sexuelle Belästigung für Empörung.
Frauenrechtsorganisationen beklagen, dass Behörden müssten eher die Täter ins Visier nehmen, anstatt Frauen Ratschläge zu geben.
80 Prozent der Frauen in Frankreich werden Opfer sexueller Belästigung im öffentlichen Raum.
Vier von fünf Frauen in Frankreich werden Opfer sexueller Belästigung im öffentlichen Raum – dem Phänomen hat das Innenministerium in Paris nun den Kampf angesagt. Dass die Polizei dafür den Sommer über aber fünf Millionen Flyer ausgerechnet mit an Frauen gerichteten Ratschlägen verteilt, stösst vielen übel auf.
Vielmehr müssten die Behörden die Täter – die Männer – ins Visier nehmen, schimpfen Frauenorganisationen. Und auch die Empfehlung, Übergriffe und Belästigungen auf der Wache anzuzeigen, sorgte für Stirnrunzeln. Denn die Beamten dort seien vielfach im Umgang mit sexueller Gewalt gegen Frauen überhaupt nicht geschult, hiess es.
«Machen Sie Krach und alarmieren Sie Menschen um sich herum», wird belästigten Frauen auf dem Flyer geraten, der seit Dienstag in ganz Frankreich verteilt wird. «Suchen Sie Hilfe und bringen Sie sich an einem sicheren Ort in Schutz», heisst es weiter.
«Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein Witz ist»
Ausserdem führt ein QR-Code auf dem Flyer zu einer Website, über die Betroffene Vorfälle melden und rund um die Uhr mit Beamten zu dem Thema chatten können. Zeugen werden zudem ermuntert, einzuschreiten, die Polizei zu rufen und sich um betroffene Frauen zu kümmern.
«Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein Witz ist», sagte die Präsidentin der Nationalen Union der Familien von Femiziden, Sandrine Bouchait, der Zeitung «Le Parisien». «Man sagt uns, dass man zum Schutz von Frauen Flyer verteilen wird. Ich stelle mir vor, dass sie diese zusammenknüllen und auf ihre Angreifer werfen.» Ausserdem verlagere der Flyer die Verantwortung auf die Frau. «Man wird ihr sagen, dass das nicht passiert wäre, wenn sie dieses oder jenes nicht getan hätte.»
Die Organisation «Stopp Strassenbelästigung» führte an, dass viele Frauen keine Anzeige erstatten wollten, weil sie kein Vertrauen in die Polizei hätten. Frauen würden auf dem Kommissariat oft schlecht behandelt, was ihr Trauma noch verstärke. Zu dem Ergebnis war 2021 bereits die Frauenorganisation #NousToutes gekommen, die Frauen nach ihren Erfahrungen gefragt hatte beim Versuch, sexuelle Gewalt bei der Polizei anzuzeigen. Die meisten fühlten sich demnach nicht gut behandelt.
«Der Flyer richtet sich an Opfer und auch an Zeugen, was eine gute Sache ist, aber nicht an Täter», erklärte «Stopp Strassenbelästigung» weiter. «Wenn man aber davon ausgeht, dass der Flyer an alle verteilt wird, warum dann nicht auch eine Botschaft, die die Täter zur Verantwortung zieht?»
Kritik in den sozialen Medien
Auch in den sozialen Medien hagelte es Kritik. «Ich werde die komischen Typen, die mir abends folgen, wenn ich nach Hause gehe, mit den Flyern bewerfen», schrieb Nutzerin Alaskat auf Twitter. «Das ist ein grosser Witz», reagierte Collet. «Fangen Sie damit an, die Angreifer von Frauen und Kindern angemessen zu bestrafen.» Die Frauen wollten keine Flyer, sie wollten gehört und beschützt werden, schrieb eine andere Nutzerin. «Es ist klar, dass wir eine millionenschwere Kampagne brauchen, um zu lernen, dass man schreien und sich in Sicherheit bringen soll, wenn man angegriffen wird», schrieb Catherine. «Es ist erbärmlich und betrüblich. Geben Sie den Organisationen das Geld für echte und effektive Aktionen.»
Auch Innenminister Gérald Darmanin, der die Flyer-Kampagne ins Leben rief, wurde zur Zielscheibe von Kritik. Denn wegen mutmasslicher Vergewaltigung stand der Minister im Visier der Justiz, die Ermittlungen wurden aber eingestellt.