Humor gegen das Grauen Fünf Jahre nach dem Anschlag: «Charlie Hebdo» macht trotzig weiter

dpa/AFP/tafi

7.1.2020

Fünf Jahre ist es her, dass Terroristen in Paris die Redaktionsräume des Satiremagazins «Charlie Hebdo» stürmen und ein Massaker anrichten. Bei jedem lauten Knall, jeder Explosion stellt sich Frankreich seither sofort die Frage: Ist es Terror?

«Wir sind Charlie» – dieses Schlagwort ging nach dem 7. Januar 2015 um die Welt.

Am heutigen Dienstag jährt sich zum fünften Mal der islamistische Anschlag auf die Pariser Satirezeitung «Charlie Hebdo» mit zwölf Toten. Das Jahr 2020 ist ein besonderes für die Redaktion: Im Mai beginnt der Prozess gegen die mutmasslichen Komplizen der Attentäter, im November feiert die Zeitung dann den 50. Jahrestag ihrer Gründung.

Es war der Anfang. Auch wenn das nicht ganz korrekt ist, fühlt es sich doch für viele so an. Am 7. Januar vor fünf Jahren dringen die Brüder Chérif und Said Kouachi in die Pariser Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» ein und eröffnen das Feuer. Es beginnt eine drei Tage währende Grossfahndung – inklusive Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt.

Fünf Jahre nach dem Anschlag auf «Charlie Hebdo»

Insgesamt sterben 17 Menschen, auch die drei islamistischen Täter werden erschossen. Der Anschlag steht symbolisch für den Auftakt einer islamistischen Terrorserie in Frankreich – mit seither mehr als 250 Toten.



Frankreich kennt den islamistischen Terror. Bereits in den 1980er und vor allem 1990er Jahren gab es immer wieder Angriffe – vor allem auf Züge und Metros.

Der Angriff auf «Charlie Hebdo» war auch nicht die erste tödliche Attacke in den 2010ern Jahren im Land: Im März 2012 ermordete Mohamed Merah über mehrere Tage drei Soldaten sowie einen Lehrer und drei Kinder einer jüdischen Schule in Südfrankreich. Doch nach dem mörderischen Angriff auf das Satiremagazin und den Supermarkt folgten die Attacken in hoher Schlagzahl – und das Land verändert sich.

Terrorgefahr omnipräsent

Paris, November 2015: 130 Tote. Nizza, Juli 2016: 86 Tote. Strassburger Weihnachtsmarkt, Dezember 2018: fünf Tote. Pariser Polizeihauptquartier, Oktober 2019: vier Tote. Das ist nur eine Auswahl. Und ganz aktuell nun wohl die Messerattacke vom Freitag bei Paris mit einem Toten. Mehrere Dutzend Attentate wurden ausserdem vereitelt.



Bei dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» töten die Kouachi-Brüder damals mehrere bekannte Zeichner des Blattes, insgesamt erschiessen sie dort zwölf Menschen. Die Redaktion war wegen ihrer Mohammed-Karikaturen Ziel der Attentäter geworden. Auf die Redaktionsräume war einige Jahre zuvor bereits ein Brandanschlag verübt worden. Die Solidarität nach der Attacke war vor fünf Jahren riesig. Der Slogan «Je suis Charlie» (dt. Ich bin Charlie) wurde zum Schlagwort für das Zusammenstehen nach Terrorangriffen.

Die Terrorgefahr ist seitdem omnipräsent in Frankreich. Schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten patrouillieren an stark frequentierten Orten, Betonbarrieren schützen Grossereignisse. Und sogar der weltberühmte Eiffelturm ist nun von einer Glaswand umschlossen. Und jeder herrenlose Koffer bringt das Pariser Leben kurz zum Stillstand.

Notstand wird Normalität

Die tödliche Messerattacke im Süden der Hauptstadt sorgte kurz vor dem Jahrestag wieder für grosse Aufregung. Ein Mann griff Menschen wahllos an – tötete einen 56-Jährigen. Und momentan deutet vieles darauf hin, dass auch dieser Angriff terroristisch motiviert war.

Nach den Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan in Paris, das Stade de France und zahlreiche Bars im November 2015 galt der Ausnahmezustand fast zwei Jahre lang. Zahlreiche zentrale Notstandsmassnahmen wurden kurz vor dessen Ende ins normale Recht übernommen. Sicherheitsbehörden haben im Anti-Terror-Kampf nun weitgehendere Befugnisse.



Ende vergangenen Jahres nahm die Redaktion von Charlie-Hebdo in Strassburg erstmals seit dem Anschlag wieder an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung teil.

«Wir haben die katholische Religion kritisiert, wir kritisieren den Islam, wir kritisieren Buddhisten dafür, die Rohingya angegriffen zu haben», sagte die Zeichnerin Coco damals dem Sender Franceinfo.

Sie war am Tag des Anschlags gerade auf dem Weg in die Redaktion, als die zwei Angreifer sie bedrohten und zwangen, die Tür zu öffnen. Ein Horror-Szenario. Anschliessend richteten die Gebrüder Kouachi das Massaker an.

Ein Comicroman gegen die Alpträume

Auch Cartoonist Luz entkam dem Anschlag. In seinem gerade erschienen Comicroman «Wir waren Charlie» lässt er seine getöteten Kollegen wieder zum Leben erstehen. «Jeder war auf andere Weise begabt. Der eine politisch, der andere grafisch, der nächste humoristisch», blickt Luz auf seine Zeit als ehemaliger Charlie-Hebdo-Zeichner zurück.

Auf über 300 Seiten bringt Luz, der dem Anschlag auf die Pariser Redaktion mit zwölf Toten nur knapp entkam, seine Erinnerungen an die Kollegen mit Pinsel und Feder zu Papier. Ein Buch gegen das Vergessen und eine Hommage an den Beruf des Zeichners und Karikaturisten.

«Nach fünf erschöpfenden Jahren für das ganze Team ist die Zeitung immer noch da – und auch ihre geistige Freiheit», schreibt der Redaktionsleiter Riss alias Laurent Sourisseau in dem Leitartikel der Gedenkausgabe, die am Dienstag erscheint. «Wer dachte, das Massaker habe sie demütiger und diskreter gemacht, hat sich getäuscht.»

Auch fünf Jahre nach dem Anschlag eckt «Charlie Hebdo» weiter an. Viel Kritik erntete die Satirezeitung nach dem Tod von 13 französischen Soldaten in Mali vor einigen Wochen, als sie makabere Karikaturen mit Werbesprüchen der Armee veröffentlichte.

«Ich schütze mein Land und komme in meinem Leben voran», heisst es über der Zeichnung eines Skelettes in französischer Uniform.

Wider neue Diktaturen

«Humor ist vielen Menschen suspekt», sagt Redaktionsleiter Riss. Das gilt nicht nur für die Islamisten, die sich über die angeblich frevelhafte Darstellung des Propheten Mohammed bei «Charlie Hebdo» ereiferten.

Bitterböser Humor, das ist seit 1970 das Markenzeichen von «Charlie Hebdo». Sie ging aus der Satirezeitung «Hara Kiri» hervor, die nach einem bissigen Titel zum Tod von Republikgründer Charles de Gaulle verboten wurde.

«Es gibt keine Zensur in Frankreich» hiess die ironische Schlagzeile auf der ersten Ausgabe von «Charlie Hebdo» am 23. November 1970.
Trotz Finanzproblemen, Drohungen und Prozessen: «Charlie Hebdo» lebt.

In der aktuellen Gedenkausgabe verurteilt das Blatt «die neuen Gesichter der Zensur» und die «neuen Diktaturen». Auf dem Titelbild ist ein gestürzter Zeichner zu sehen, dessen Arme und Zunge durch ein überdimensionales Handy zerquetscht werden. Darauf prangen die Logos grosser Online-Netzwerke wie Twitter und Facebook.



Im Frühjahr 2020 steht nun in Paris der Prozess gegen mutmassliche Hintermänner des Anschlags an. «Ich hoffe auch, dass dieser Prozess uns wirklich den Krieg bewusst macht, den der islamische Fanatismus uns erklärt hat», sagt Patrick Pelloux dem Magazin «Paris Match».

Er ist Notfallarzt und hat immer wieder für «Charlie Hebdo» gearbeitet – nach dem Anschlag war er einer der ersten am Tatort. Die Opfer gehörten zu seinen engsten Freunden. Es sei nun wichtig «ein starkes Signal an unsere Feinde zu senden».

Europa im Zeichen des Terrors

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