Herkulesaufgabe Fünf Knackpunkte des Gipfels – und wie die EU sie lösen könnte

dpa/phi

17.7.2020

Es geht um die Coronahilfen. Um die künftige EU-Kasse. Um mehr als 1,8 Billionen Euro. Der EU-Gipfel als Herkulesaufgabe: Hier eine Übersicht über die fünf grössten Knackpunkte – Lösungsansatz inklusive.

Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist: Nach diesem Motto laufen beim EU-Sondergipfel in Brüssel die schwierigen Verhandlungen über das Milliarden-Programm zur Bewältigung der Coronawirtschaftskrise und den langfristigen EU-Haushalt.

Wie in vielen Beziehungen ist das Geld eines der grossen Konfliktthemen – aber nicht nur. Was sind die anderen Streitpunkte beim EU-Gipfel? Und wie könnten Lösungsmöglichkeiten aussehen? Ein Überblick.

Zahlen

Ausgangslage

Wie viel Geld braucht es für das Coronakonjunkturprogramm, wie viel für den langfristigen EU-Haushalt (MFR)? Schon bei dieser ganz grundsätzlichen Frage gibt es keine Einigkeit unter den EU-Staaten. Die «Sparsamen Vier» – Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – fordern als Nettozahler strenge Ausgabendisziplin beim Haushalt und wollen auch den Umfang des Coronakonjunkturprogramm reduzieren.

Daneben gibt es die Gruppe um Nettoempfänger wie Ungarn, Polen und die baltischen Staaten, die Ausgabenkürzungen zu ihren Lasten so gut wie irgend möglich verhindern wollen. Besonders stark von der Coronakrise betroffene Staaten wie Italien und Spanien fordern hingegen Solidarität und kämpfen vor allem für ein möglichst umfangreiches Hilfsprogramm.

Lösungsoption

EU-Ratspräsident Charles Michel war in seinem Kompromissvorschlag zum Gipfel zuletzt eher den Nettozahlern entgegengekommen: Er reduzierte den Umfang des langfristigen Haushalts von 1'100 Milliarden Euro auf rund 1'074 Milliarden Euro. Das Coronakonjunkturprogramm beliess er dagegen unverändert bei 750 Milliarden Euro.

Als denkbar gilt, dass die bislang unangetastet gelassene Grösse des Coronaprogramms doch etwas heruntergeschraubt wird. Dies würden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützen. Sie hatten ursprünglich ein Hilfsprogramm in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen.

Zyperns Präsident Nicos Anastasiades begrüsst am 17. Juli in Brüssel die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
Zyperns Präsident Nicos Anastasiades begrüsst am 17. Juli in Brüssel die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
Bild: Keystone

Rechtsstaatlichkeit

Ausgangslage

Die EU-Kommission und Staaten wie Deutschland und Belgien würden gerne im nächsten langfristigen Haushalt ein wirksames Instrument schaffen, mit dem Länder wie Ungarn und Polen zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards bewegt werden können. Ein Vorschlag sieht vor, bei Verstössen gegen EU-Werte Mittelkürzungen möglich zu machen.

Voraussetzung wäre demnach, dass eine ausreichend grosse Mehrheit der Mitgliedstaaten im Fall der Fälle einer entsprechenden Empfehlung der EU-Kommission zustimmt. Wenig überraschend lehnen immer wieder kritisierte Länder wie Polen und Ungarn die geplante Neuregelung allerdings ab und drohen, den ganzen Haushalt zu blockieren. Dies ist möglich, weil es bei allen Gipfelentscheidungen Einstimmigkeit braucht.

Lösungsoption

Diplomaten räumen ein, dass es sehr schwierig werden dürfte, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seinen polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki zum Einlenken zu bewegen. Wenn überhaupt, liessen sich die beiden wohl mit deutlich mehr Geld aus dem EU-Haushalt zur Zustimmung bewegen. Problematisch macht die Sache, dass Länder wie Spanien der Auffassung sind, dass die Verhandlungen nicht wegen dieses Punktes scheitern sollten.

Coronahilfen

Ausgangslage

Nach welchen Kriterien sollen die Coronahilfsgelder verteilt werden? Auch diese Frage sorgt seit Wochen für Streit unter Mitgliedstaaten. Konkret geht es vor allem um den Verteilschlüssel für die 310 Milliarden Euro, die über das sogenannte Aufbau- und Resilienzinstrument als nicht zurückzahlbare Zuschüsse fliessen könnten.

Gipfel-Schnappschuss vom 17. Juli.
Gipfel-Schnappschuss vom 17. Juli.
Bild: Keystone

Ratspräsident Michel hatte zuletzt vorgeschlagen, nur 70 Prozent, wie von der EU-Kommission geplant, zu vergeben – also vor allem auf Grundlage der Arbeitslosigkeit zwischen 2015 und 2019. Erst für die letzten 30 Prozent, die für das Jahr 2023 eingeplant sind, würde dann der Wirtschaftseinbruch berücksichtigt werden.

Da dieser neue Verteilungsschlüssel einigen Ländern stark nutzen und anderen stark schaden würde, ist er allerdings stark unter Beschuss. So argumentieren die baltischen Staaten, dass er diejenigen bestrafe, die mit guter Krisenpolitik schnell wieder auf Wachstumskurs kämen. Nutzniesser seien vor allem Staaten wie Frankreich oder Portugal.

Lösungsoption

Dass der Verteilungsschlüssel von Michel den Gipfel überlebt, gilt als äusserst unwahrscheinlich. Denkbar wäre es, dass nur zehn Prozent der Zuschüsse von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig gemacht werden oder dass doch der ursprüngliche Plan der EU-Kommission zum Zuge kommt. Sollten die Verhandlungen vertagt werden, könnten zudem auch ganz neue Kriterien aufgenommen werden wie zum Beispiel die Entwicklung der öffentlichen Investitionen.

Entscheidungsprozesse

Ausgangslage

Wie wird darüber entschieden, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung von Coronahilfsmitteln erfüllt sind? Die Niederlande fordern bei diesem Thema, eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten zur Voraussetzung zu machen. Die grosse Mehrheit fürchtet aber, dass dies zu langwierigen Verfahren führen könnte – also genau zu dem, was man eigentlich bei Krisenhilfen vermeiden will.

Lösungsoption

Wie dieser Streit gelöst werden soll, war bis zuletzt völlig unklar. Es gebe die Hoffnung, dass der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nur einen weiteren Hebel wolle, um möglichst strenge Auflagen für die Zahlung von Hilfsgeldern durchzusetzen, hiess es von Diplomaten. Wenn es eine wirkliche Grundsatzfrage sei, könne es allerdings schwierig werden.

Frankreichs Staatschef Macron trifft «überfallartig» beim Gipfel in Brüssel ein.
Frankreichs Staatschef Macron trifft «überfallartig» beim Gipfel in Brüssel ein.
Bild: Keystone

Beitragsrabatte

Ausgangslage

Die Nettozahler Deutschland, Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden wollen weiter Rabatte erhalten, da sie ihre jeweiligen Beiträge zum EU-Haushalt ohne Korrektur als zu hoch erachten. Andere Mitgliedstaaten wie Frankreich sind jedoch der Ansicht, dass die im Zuge des Britenrabatts eingeführten Ermässigungen abgeschafft werden müssten.

Ratspräsident Michel schlug zuletzt vor, weiter moderate Rabatte zu gewähren. Die Bundesrepublik könnte demnach beispielsweise eine Ermässigung von 3,67 Milliarden Euro erhalten, die Niederlande eine in Höhe von 1,58 Milliarden Euro.

Lösungsoption

Eine vollständige Abschaffung der Rabatte – wie sie ursprünglich auch die EU-Kommission vorgeschlagen hatte – galt zuletzt als eher unwahrscheinlich. Nicht ausgeschlossen sind allerdings Anpassungen – nach unten, aber auch nach oben.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte zum Gipfelauftakt am Freitag: «Auch was den österreichischen Rabatt betrifft, bin ich froh, dass es hier erste Vorschläge und Bewegungen in unsere Richtung gibt. Da braucht es noch ein bisschen mehr, aber da bin ich sehr optimistisch, dass uns das gelingen sollte.» Frankreichs Präsident Macron soll hingegen weiter ein sofortiges Ende von Ermässigungen fordern.

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