Hängepartie für McCarthy – Wahl im US-Repräsentantenhaus auf Freitag verschoben
Auch im elften Wahlgang hat der Republikaner Kevin McCarthy nicht genügend Stimmen für die Wahl zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses erhalten. Eine kleine Gruppe Ultrakonservativer verweigert ihm die Zusage. Die Wahl ist erneut vertagt worden.
06.01.2023
Die Republikaner haben jetzt im Abgeordnetenhaus die Mehrheit – das sollte sie eigentlich zusammenschweissen und beflügeln. Aber einen schlechteren Start in die neue Amtsperiode hätten sie nicht hinlegen können.
Es war ausgerechnet Donald Trump, der seine Parteikollegen und -kolleginnen im Washingtoner Abgeordnetenhaus zur Vernunft aufrief. «Verwandelt einen grossen Triumph nicht in eine riesige und blamable Niederlage», schrieb der sonst nicht gerade für Friedfertigkeit bekannte Ex-Präsident am Mittwoch in Grossbuchstaben auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social – mit Bezug darauf, dass die Konservativen in der just begonnenen neuen Legislaturperiode die Mehrheit in dieser Kongresskammer haben, wenn auch hauchdünn.
Trumps Warnung kam inmitten eines Dramas, das sich in der frisch gebackenen republikanischen Fraktion abspielte und das Repräsentantenhaus lähmte, sogar die Vereidigung der im November neu gewählten Mitglieder verzögerte. Eine etwa 20-köpfige Gruppe Konservativer vom rechten Rand verweigerte Kevin McCarthy, dem Kandidaten der Partei für das Amt des Vorsitzenden der Kongresskammer – einem der höchsten politischen Posten im Land – ihre Unterstützung. Die Rebellen erzwangen einen Marathon von Abstimmungen, in denen sie ihrem Parteikollegen immer wieder Niederlagen bescherten. Die einen deshalb, weil sie partout gegen ihn sind, die anderen, um Zugeständnisse von ihm zur Stärkung der Machtposition ihres Flügels zu erpressen.
Das Fernsehen übertrug das Spektakel live. Millionen Amerikaner sahen fassungslos, was sich da abspielte. Zum letzten Mal war vor 100 Jahren der Kandidat der Mehrheitspartei daran gescheitert, gleich im ersten Wahlgang ins Amt befördert zu werden. Die Revolte löste Alarmstimmung in der Partei aus, Warnungen, dass die Rechtsaussen-Rebellen die neue knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus sabotierten und es nicht gut bei den Wählern ankomme, wenn sich die Republikaner schon damit schwer täten, ihre eigene Führungsperson zu bestimmen.
«CLOSE THE DEAL», einigt euch mit McCarthy und unterstützt ihn, beschwor Trump, der sich 2024 erneut um die Präsidentschaft bewirbt, die Aufrührer. Das Drama setzte sich aber auch am Donnerstag fort, als McCarthy in einem siebten, achten, neunten, zehnten und elften Wahlgang durchfiel, woraufhin die Entscheidung erneut vertagt wurde.
Die Republikaner sind gespalten
Waren die Vorgänge äusserst peinlich für McCarthy, werfen sie auch tiefgreifende Fragen über die Identität und Zukunft der Partei auf. Sie sind eine frische Erinnerung an Trumps schwindenden Einfluss in den republikanischen Reihen – sogar bei den lautstärksten Unterstützern seiner politischen Bewegung «Make America Great Again». Und sie offenbaren ein Führungsvakuum mit keiner sichtbaren Alternative, um die Partei zu einen und sie durch die Aufgaben und politischen Herausforderungen zu steuern, die die Mehrheit im Abgeordnetenhaus mit sich bringt.
So nannte der frühere Präsident des Abgeordnetenhauses, Newt Gingrich, das Verhalten der Rebellen «ein Spiel mit dem Feuer». Auch in konservativem Medien gab es Kritik. «Das ist ein Desaster für die Republikaner», kommentierte Fox-News-Moderator Steve Doocy die Vorgänge am Mittwoch. Sein prominenter Kollege Sean Hannity warnte bereits am Dienstagabend, dass die Republikaner im Abgeordnetenhaus «jetzt am Rande stehen, eine totale Clown-Show zu werden, wenn sie nicht aufpassen».
Der aussergewöhnliche Flügelkampf wühlt das republikanische Ökosystem just zu einem Zeitpunkt auf, an dem es zu den ersten wichtigen Weichenstellungen für die Wahl 2024 kommen könnte. «Was ich von Graswurzel-Republikanern, Spendern, Kandidaten und sogar gewählten Amtsträgern auf Bundesebene höre, ist, dass es auf der republikanischen Seite ein Führungsvakuum gibt», sagt Harmeet Dhillon, eine kalifornische Anwältin aus den Reihen der Republikaner, die für den Parteivorsitz kandidiert.
Hat McCarthy zu lang auf Trump gesetzt?
Ein grosser Teil der Funktionsstörungen der Republikaner hat mit der Unterstützung von Trumps Politik der verbrannten Erde und der schwächer werdenden politischen Stellung des Ex-Präsidenten zu tun. McCarthy symbolisiert das sozusagen, hat zum Beispiel Trump nach dem Sturm von dessen Anhängern auf das Kapitol am 6. Januar 2021 in Florida besucht – ein Schritt, der half, Trumps politische Wiederbelebung zu zementieren. Viele sahen dies als Versuch McCarthys, sich Trumps Unterstützung bei einer künftigen Kandidatur als Präsident des Abgeordnetenhauses zu sichern.
Aber rief auch der Ex-Präsident die Rebellen – seine mutmasslichen Loyalisten – am Mittwochmorgen auf, sich hinter McCarthy zu stellen, folgte bei den Abstimmungen am selben Tag kein einziger von ihnen seiner Aufforderung. Dabei gehören sie alle dem sogenannten Maga-Flügel der Partei an. Trump telefonierte sogar mit McCarthys republikanischen Kritikern. «Lasst das!», sagte er ihnen, wie die republikanische Abgeordnete Lauren Boebert in einer Rede im Abgeordnetenhaus schilderte. Sie rief ihrerseits Trump dazu auf, McCarthy zu sagen, «dass es Zeit ist, seine Kandidatur zurückziehen».
Während Trump sich abmühte, Einfluss geltend zu machen, demonstrierten einige seiner potenziellen parteiinternen Herausforderer bei den Vorwahlen 2024 aus der Ferne ihre eigene Version von Führungskraft. «Sollten wir wirklich überrascht sein, dass ein Haufen von Idioten im Kongress Dinge verzögert? Natürlich nicht», erklärte der Gouverneur von New Hampshire, Chris Sununu. «Es ist Zeit, dass wir diesen Zirkus hinter uns lassen und zeigen, dass wir mit Kompetenz und Vernunft regieren können», sagte sein Amtskollege aus Maryland, Larry Hogan.
Vorspiel zur Wahl des Kandidaten für die Präsidentschaft
Experten erwarten, dass das Führungsvakuum unabhängig vom Ausgang des Streits um den Spitzenposten im Abgeordnetenhaus auf absehbare Zeit andauern wird. Im Spätfrühling wird der Wettbewerb um die republikanische Spitzenkandidatur voll in Schwung kommen, ambitionierte Bewerber aus dem gesamten politischen Spektrum versuchen, Trump auszuspielen und die Vorherrschaft in der Partei zu gewinnen.
Chris Christie, Ex-Gouverneur von New Jersey und ebenfalls ein potenzieller Präsidentschaftsbewerber, glaubt, dass sich in der kommenden Vorwahlsaison die nächste Generation republikanischer Führungspersonen herauskristallisieren wird. «Wenn wir am Zeitpunkt des Nominierungsparteitages 2024 angelangt sind, wird es entschieden sein», so Christie.
Aber Gingrich, ein langjähriger Trump-Verbündeter, befürchtet dauerhafte negative Auswirkungen des republikanischen Führungsstreits im Abgeordnetenhaus. Leute in der Parteibasis würden sich fragen, warum sie Geld für Kandidaten gespendet hätten, «nur, um diesen Schlamassel zu ernten».
Deine Meinung interessiert uns
Was denkst du über den Zirkus in Washington? Schreib einen Kommentar zum Thema.