Antifeminismus im Iran Giftanschläge auf Schülerinnen – aus Rache für Protestwelle?

Von Jan-Niklas Jäger

1.3.2023

Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam löste im vergangenen September eine Protestwelle im Iran aus. (Archivbild)
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam löste im vergangenen September eine Protestwelle im Iran aus. (Archivbild)
Archivbld: AP Photo/Dolores Ochoa/Keystone

Schülerinnen im Iran werden von einer mysteriösen Vergiftungswelle heimgesucht. Hunderte von Mädchen waren bereits betroffen. Selbst ein Mitglied der Regierung vermutet ein politisches Motiv dahinter.

Von Jan-Niklas Jäger

1.3.2023

Über fünf Monate nach Beginn der vom Tod der von der Sittenpolizei verhafteten Mahsa Amini ausgelösten Massenproteste im Iran wird das Land von einer Reihe an Vergiftungsanschlägen heimgesucht. Die Opfer: Schulmädchen.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, mussten am vergangenen Dienstag in der Stadt Pardis, unweit der Hauptstadt Teheran, 35 Schulmädchen in Spitäler gebracht werden.

Die Opfer befanden sich nicht in Lebensgefahr. Diagnostiziert wurden akute Lungenentzündungen. Wie die Mädchen vergiftet worden sind, ist nicht bekannt.

Mehrere Regionen betroffen

Der Vorfall ist nur der jüngste in einer Reihe an Giftanschlägen auf Schülerinnen, die im November anfing. Bereits Hunderte Mädchen waren betroffen. Die meisten davon ereigneten sich in der südlich von Teheran gelegenen Stadt Ghom.

Am vergangenen Sonntag mussten auch in der westlichen Stadt Borudscherd Schülerinnen einer Mädchenschule in das örtliche Spital eingeliefert werden. Am gleichen Tag hatte der stellvertretende Gesundheitsminister des Landes, Younes Panahi, bekannt gegeben, dass auch in Ghom erneut Vergiftungen an einer Mädchenschule stattgefunden hätten.

«Wir haben herausgefunden, dass manche Leute die Schliessungen aller Schulen, besonders von Mädchenschulen, herbeiführen wollten», so der Minister. «Sicher ist, dass sowohl in Ghom als auch in Borujerd vorsätzlich gehandelt wurde.»

Polizei möchte nicht über Absicht spekulieren

Der iranische Polizeichef widersprach Panahi am Dienstag indirekt. Der iranischen Nachrichtenagentur ISNA gegenüber gab er an, die Priorität liege derzeit darin, «den Ursprung für die Vergiftungen der Schülerinnen zu finden». Bis dahin würde keine Beurteilung darüber stattfinden, ob sie «absichtlich oder unabsichtlich» herbeigeführt worden seien. Bislang sei niemand verhaftet worden.

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Ein auf Vergiftungen spezialisierter Arzt, der in einem Gespräch mit dem «Guardian» anonym bleiben wollte, nannte Phosphorsäureester als die wahrscheinlichste Ursache für die Beschwerden der Opfer.

Weiter gab er an, noch nie mit Phosphorsäureester vergiftete Patient*innen behandelt zu haben, bei denen es sich nicht um Landarbeiter gehandelt hätte, die mit einem Pestizid in Kontakt gekommen sind.

«Ich nenne das biologischen Terrorismus»

«Sie wollen Rache an Schulmädchen üben, den Wegbereiterinnen der jüngsten Proteste», mutmasst der Arzt. Auch der in New York lebende iranische Menschenrechtler Masih Alinejad hält diese Erklärung für wahrscheinlich: «Ich nenne das biologischen Terrorismus und es sollte von der UN untersucht werden.»

Gebildete Frauen sind konservativen Hardlinern der islamischen Republik schon länger ein Dorn im Auge. Der Politiker Ahmad Amiri Farahani, der Ghom im iranischen Parlament vertritt, bestreitet aber, dass das die Motivation hinter den Attacken sein könnte. Für ihn seien diese «irrational», schliesslich würden die Bewohner der Stadt «die Bildung von Frauen unterstützen».

Die ehemalige Ministerin Masoumeh Ebtekar, die 1997 als erste Frau nach der Islamischen Revolution von 1979 Teil eines iranischen Kabinetts wurde, sieht das anders. Sie rief die Behörden auf, «frauenfeindlichen Fanatikern ein für alle Mal ein Ende zu bereiten».