Impfen in den USA Wie eine rassistische Studie Skepsis schürt

AP/tjb

6.2.2021 - 18:00

Für eine Syphilis-Studie wurde Schwarzen in der US-Stadt Tuskegee zwischen 1932 und 1972 Blut abgenommen. Bis heute hat das Experiment Auswirkungen auf die Impfbereitschaft.
Für eine Syphilis-Studie wurde Schwarzen in der US-Stadt Tuskegee zwischen 1932 und 1972 Blut abgenommen. Bis heute hat das Experiment Auswirkungen auf die Impfbereitschaft.
National Archives / Wikicommons

Schwarze sind in den USA deutlich schwerer vom Coronavirus betroffen als Weisse. Dennoch sind einige unter ihnen seltener bereit, sich impfen zu lassen. Der Grund dafür liegt Jahrzehnte zurück.

Lucenia Dunn ist keine Corona-Leugnerin. Zu Beginn der Pandemie forderte sie die Menschen in ihrem Umfeld auf, Masken zu tragen und Abstand zu halten, um eine Infektion mit dem Virus zu vermeiden. Doch impfen lassen will sich die ehemalige Bürgermeisterin der Kleinstadt Tuskegee in Alabama vorerst nicht. Sie misstraut den Behörden, wie so viele andere im Ort. Die Menschen hier haben schlechte Erfahrungen gemacht. Und sie haben die Tuskegee-Syphilis-Studie immer im Hinterkopf, die in den 30er-Jahren begann und männliche Schwarze als Versuchsobjekte missbrauchte.

«Diese Impfung will ich im Moment nicht», sagt Dunn, die schwarz ist. «Das bedeutet nicht, dass ich sie nie haben will. Aber ich weiss genug, um das aufzuschieben, bis ich alles kenne, was damit zu tun hat.» Zur Begründung erklärt sie, die Regierung werbe für eine Impfung, die in Rekordzeit entwickelt worden sei, könne aber nicht einmal ausreichend Tests beschaffen oder eine angemessene medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten sicherstellen. Dunns Haltung scheint im gesamten Bezirk Macon verbreitet zu sein: Die Impfungen liefen eher schleppend an.

Skepsis gegenüber Regierungsversprechen

Politiker in der Region führen den Widerstand unter den Menschen auf eine Skepsis gegenüber Regierungsversprechen zurück, die in der Vergangenheit häufig nicht eingehalten worden seien. Ausserdem seien Gesundheitsprogramme in den vergangenen Jahrzehnten wieder und wieder erfolglos geblieben. Zudem haben viele der 8500 Einwohner von Tuskegee Verwandte, an denen Versuche in der Syphilis-Studie gemacht wurden. «Das hat Einfluss auf Entscheidungen», erklärt der Direktor des Notfallmanagements im Bezirk Macon, Frank Lee.



Gesundheitsexperten haben die Sicherheit und Wirksamkeit der zur Verfügung stehenden Impfstoffe immer wieder bekräftigt. Sie betonen, die Vakzine seien zwar in Rekordzeit entwickelt worden, die Arbeit stütze sich aber auf jahrzehntelange Forschung. Bei Testreihen mit mehreren zehntausend Probanden habe es keine Anzeichen für ernsthafte Nebenwirkungen gegeben. Inzwischen wurden in den USA mehr als 26 Millionen Impfungen verabreicht ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Misstrauen durch Syphilis-Studie 

Aber Tuskegee ist kein Einzelfall. Eine Studie ergab, dass im November nur 59 Prozent der Befragten Amerikaner bereit waren, sich innerhalb eines Jahres impfen zu lassen. Nur 33 Prozent wären bereit, das sofort zu tun. Dennoch reicht das Misstrauen in Tuskegee tiefer als anderswo – wegen der Syphilis-Studie.

1932, als in Alabama und in den restlichen Südstaaten noch Rassentrennung herrschte, wollten Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden die Folgen einer unbehandelte Syphilis-Infektion untersuchen. Den rekrutierten Probanden, alles schwarze Männer aus Tuskegee und der Umgebung, wurde eine Behandlung vorenthalten. Über ihre Infektion mit der Geschlechtskrankheit wurden sie nicht informiert. Die Studie, an der rund 600 Männer teilnahmen, endete erst 1972, als die Nachrichtenagentur AP darüber berichtete.

Der Anwalt Fred Gray klagte schliesslich im Namen der Männer und erstritt eine Entschädigungssumme von neun Millionen Dollar. Der damalige US-Präsident Bill Clinton entschuldigte sich 1997 im Namen der amerikanischen Regierung bei den Opfern.

Misstrauen weit verbreitet

Das Misstrauen, das die Studie bei der schwarzen Bevölkerung säte, reicht weit über Tuskegee hinaus: Eine Befragung ergab im Dezember, dass 40 Prozent der schwarzen US-Bürger eine Impfung gegen das Coronavirus ablehnen. Die Skepsis ist damit unter ihnen weiter verbreitet als unter Weissen, obwohl schwarze Amerikaner deutlich häufiger mit dem Virus infiziert sind.



Die Nation of Islam, eine politische Organisation von Schwarzen, warnt ihre Mitglieder sogar vor der Impfung. «Jenseits von Tuskegee: Warum schwarze Menschen den experimentellen Covid-19-Impfstoff nicht nehmen dürfen», lautet der Titel einer Online-Präsentation.

Der Anwalt Gray, der mit inzwischen 90 Jahren noch immer in Tuskegee als Anwalt arbeitet, will von solchen Vergleichen nichts wissen. Die Syphilis-Studie und der Corona-Impfstoff seien komplett unterschiedlich, erklärt er. Darum hat er sich bereits impfen lassen und fordert andere auf, das ebenfalls zu tun.

Leichter Aufwärtstrend

In Alabama haben Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen, Rettungskräfte, Bewohner von Pflegeheimen und alle über 75 Jahre Anspruch auf eine Impfung. Das Gesundheitsamt im Macon County erklärt, in Tuskegee könnten bis zu 160 Impfdosen pro Tag verabreicht werden. Bisher wurde ein Maximum von 140 Impfungen an einem Tag erreicht. Aber die Statistik zeigt einen leichten Aufwärtstrend, wie das Veteranenkrankenhaus der Stadt meldet.

Mehr Menschen seien jetzt zur Impfung bereit, sagt die Ärztin April Truett. «Sie kennen Leute, die eine Impfung bekommen haben, sie hören davon, sie gewöhnen sich an den Gedanken.»

Der Pastor John Curry und seine Ehefrau sind bereits geimpft und ermuntern die Mitglieder ihrer Gemeinde, es ihnen gleichzutun. Curry erklärt, er verstehe das unterschwellige Misstrauen im Ort, das für immer mit der Syphilis-Studie verbunden sein werde. «Das ist ein Schandfleck für Tuskegee», sagt er. «Das bleibt in den Köpfen der Menschen hängen.»


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AP/tjb