Russland Gulag-Forscher zu 13 Jahren Haft in Strafkolonie verurteilt

sda

30.9.2020

Juri Dmitrijew im April 2018 im Gericht von Petrozawodsk.
Juri Dmitrijew im April 2018 im Gericht von Petrozawodsk.
Bild: Keystone

Erst sollte der Historiker Juri Dmitrijew in Haft, weil die Polizei angeblich Nacktbilder seiner Tochter gefunden hat. Nach dem Kinderpornografie-Freispruch wurde der Kritiker nun wegen sexueller Gewalt verurteilt.

Der für seine Forschungen zu den Verbrechen während der Stalin-Zeit bekannte russische Historiker Juri Dmitrijew ist in einem umstrittenen Prozess wegen sexuellen Missbrauchs zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Unterstützer des Gulag-Forschers bezeichneten den Prozess als politisch motiviert.

«Dmitrijew ist für schuldig befunden worden», erklärte das zuständige Berufungsgericht am Dienstag in der Teilrepublik Karelien. Die Strafe seien «13 Jahre Haft in einer Strafkolonie».

Der 64-Jährige war bereits 2016 festgenommen worden. Ermittler hatten nach eigenen Angaben in der Wohnung des Historikers Nacktbilder seiner Tochter gefunden. Im April 2018 wurde er in einem ersten Prozess vom Vorwurf der Kinderpornografie freigesprochen. Zwei Monate später hob ein Berufungsgericht den Freispruch jedoch wieder auf und ordnete einen neuen Prozess an, diesmal wegen sexueller Gewalt.

Im Juli dieses Jahres wurde Dmitrijew zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft gingen dagegen in Berufung – nun fällte das dafür zuständige Gericht ein deutlich härteres Urteil.

Zum Schweigen bringen

Menschenrechtsaktivisten bezeichneten den Prozess als einen Versuch der russischen Behörden, den Gulag-Forscher mundtot zu machen. Der 64-Jährige hat mit seiner Arbeit die Aufmerksamkeit auf eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes gelenkt, indem er sich über Jahre der historischen Aufarbeitung der Repression in der Sowjetzeit widmete.

Seine Untersuchungen führten auch zur Entdeckung eines Massengrabes mit den Überresten von rund 9'000 Menschen, die zur Sowjetzeit erschossen worden waren.

Dmitrijew war besonders für die Nichtregierungsorganisation Memorial tätig. Nach dem Urteil sagte Memorial-Mitglied Oleg Orlow im Radio: «Es ist offensichtlich, dass dieses Urteil nicht auf Gesetzen basiert, sondern politisch motiviert ist.» Memorial werde dagegen vorgehen.

Zurück zur Startseite