Dammbruch bei Cherson «Hier wird alles sterben»

Von Sergii Dollar, AFP/uri

7.6.2023

Ukraine: Tausende vor Wassermassen in Sicherheit gebracht

Ukraine: Tausende vor Wassermassen in Sicherheit gebracht

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sind tausende Menschen auf beiden Seiten des Flusses Dnipro in Sicherheit gebracht worden. Den ukrainischen Behörden zufolge gibt es bislang keine Berichte über Tote oder Verletzte.

07.06.2023

Cherson ist seit Beginn des russischen Angriffs ein Hauptschauplatz des Krieges in der Ukraine. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist die Stadt überflutet. Viele Einwohner*innen verlieren die Hoffnung.

Von Sergii Dollar, AFP/uri

7.6.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach der Zerstörung des Kachowka-Damms in der Nacht zu Dienstag wird die Stadt Cherson überflutet. 
  • 17'000 Menschen auf ukrainischer Seite mussten bereits ihre Häuser verlassen und der Pegel dürfte weiter steigen.
  • Viele der Bewohner machen die russischen Besatzer für die Katastrophe verantwortlich.
  • Vielen fällt es schwer, daran zu glauben, dass sie wieder in der Stadt leben können, wenn sich das Wasser zurückgezogen hat.

Die 52-jährige Iryna steht mit ihren Nachbarn am Ufer des Dnipro und schaut fassungslos auf die Wassermassen, die über die Stadt hereinbrechen. Die Bewohner*innen von Cherson fürchten das Schlimmste, seit flussaufwärts der Staudamm von Kachowka in der Nacht zum Dienstag teilweise zerstört wurde. Sie verwünschen Russland.

Rund 17'000 Menschen sollen auf ukrainischer Seite ihre Häuser verlassen, unter ihnen auch Iryna. «Wir haben keinen Strom, kein Gas, kein Wasser», sagt Iryna weinend. «Unsere Gemüsegärten sind überschwemmt.» Sie sorgt sich, dass die Katastrophe noch grössere Ausmasse annehmen könnte.

«Jetzt haben uns die verdammten Besatzer noch überflutet»

Cherson war von Beginn an einer der Hauptschauplätze des Krieges. Von März bis November 2022 war die Stadt am Westufer des Dnipro von russischen Truppen besetzt, bis die Ukraine sie zurückeroberte. Seither ist sie immer wieder unter schwerem Beschuss.

«Neun Monate lang waren wir besetzt, jetzt haben uns die verdammten Besatzer noch überflutet», sagt Iryna. Auch die Pflegerin Switlana macht die russische Armee für die Überschwemmung verantwortlich. Sie sei jetzt noch «hasserfüllter und wütender», sagt Switlana. Beide Frauen fragen sich, ob sie je in ihre Häuser werden zurückkehren können.

Zwei Männer betrachten am 7. Juni 2023 von einem Aufgang zu einem Haus aus die Überflutung in Cherson. 
Zwei Männer betrachten am 7. Juni 2023 von einem Aufgang zu einem Haus aus die Überflutung in Cherson. 
Bild: Keystone

«Wir werden Probleme haben, wenn das ganze Wasser wieder weg ist», sagt die 56-jährige Switlana. «Wie kann alles wieder hergerichtet werden, wie wird das funktionieren? Wie werden wir hier wieder leben? Ich kann mir das nicht vorstellen.»

Ein anderer Bewohner, Serhij, ist noch pessimistischer. «Hier wird alles sterben», sagt er. «Alle Lebewesen und die Leute werden hier weggeschwemmt.»

«Die Flut kommt – das kannst du genau sehen»

Während das schlammige Wasser über die Böschungen und Strassen schwappt, packen die Menschen eilig ihre Habseligkeiten zusammen, um sich auf die Evakuierung vorzubereiten. Ljudmyla steht neben ihrem Haus an einem Wohnwagen, in dem sich ihre Sachen und eine Waschmaschine befinden. «Wir bringen unseren Besitz weiter hoch», sagt sie. Die Russen müssten «verjagt» werden. «Sie schiessen auf uns.»

Manche Bewohner haben sich auf Überführungen und Eisenbahnbrücken versammelt und schauen auf das braune Wasser unter ihnen. Von hier aus können sie am ehesten beobachten, wie hoch der Wasserspiegel ist.

Konstantin schätzt, er sei mindestens drei Meter angestiegen. Und Viktor sagt: «Die Flut kommt – das kannst du genau sehen.»