Late Night USA «Ihr habt den Vertrag gekündigt, als ihr uns in den Strassen getötet habt»

Von Philipp Dahm

8.6.2020

Emotional: John Oliver ist am Ende seiner Show am Ende.
Emotional: John Oliver ist am Ende seiner Show am Ende.
Screenshot: YouTube

Die Late-Night-Hosts erledigen dieser Tage die Arbeit von Donald Trump und der Opposition: Sie entlarven Rassismus und die Polizei, beschwören die Einheit des Landes und glänzen als moralische Leuchtfeuer.

Man könne «Davon brauchen wir mehr» denken, wenn man die Bilder kniender weisser Polizisten sehe, findet John Oliver in «Last Week Tonight». «Aber wir brauchen so viel mehr als das, denn in unserem System ist die weisse Vorherrschaft tief verwurzelt, und es ist zwingend notwendig, dass wir alle eine fucking Schaufel nehmen. Auch nur ein bisschen weniger zu tun, wäre absolut unverzeihlich.»

Dann sagt der Moderator, er habe die ganze Woche die Aussagen einer schwarzen Frau im Kopf gehabt, der er das letzte Wort überlässt. Jene beantwortet ab Minute 31:57 die Frage, warum die Demonstranten Detailhändler plünderten oder anzündeten – in ihrem eigenen Viertel.

«Es gehört nicht uns», ruft sie wütend aus. «Wir besitzen nichts. Wir besitzen gar nichts. [‹The Late Show›-Moderator] Trevor Noah hat es so wunderbar ausgedrückt gestern Abend: Es gibt einen gesellschaftlichen Vertrag. Wenn du oder ich stehlen, kommt die Autorität und löst das Problem, aber die Person, die das Problem lösen soll, tötet uns. Der gesellschaftliche Vertrag gilt nicht mehr, und wenn der gesellschaftliche Vertrag nicht mehr gilt, warum zur Hölle soll ich einen Scheiss darauf geben, dass jemand den fucking ‹Target› niederbrennt??? Ihr habt den Vertrag gekündigt, als ihr uns in den Strassen getötet habt, und es ist euch scheissegal.»

Diese Frau äussert sich dezidiert zum Thema Plünderungen.
Diese Frau äussert sich dezidiert zum Thema Plünderungen.
Screenshot: YouTube

Die Frau spricht darüber hinaus darüber, wie die Weissen ihren Wohlstand auf dem Rücken der Schwarzen aufgebaut haben – und endet mit: «Ihr könnt froh sein, dass die Schwarzen auf Gleichberechtigung aus sind und nicht auf Rache!»

Ihre Wut ist beeindruckend, schockierend, aufwühlend. Die Kamera schaltet nochmal zurück zu John Oliver, der sich in seinen 30 TV-Minuten verausgabt hat. «Das war unsere Show. Gute Nacht», schliesst er nach seinem Plädoyer und jenem der Dame – bleich vor Emotionen.

Die Late-Night-Hosts tun dieser Tage in den USA das, was eigentlich die Politik erledigen sollte: Sie geben dem Land einen moralischen Kompass. Sie beschwören den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und statt der Demokraten blasen sie als einzige Opposition zur Jagd auf Donald Trump, dessen Verfehlungen sie gnadenlos anprangern. Hier ein Clip aus jeder der grossen Late-Night-Shows zum Beweis.

Trevor Noah, der Prediger

Die Videos auf dem «The Late Show»-Kanal haben mal 200'000 Aufrufe, mal eine Million – oder wenn es gut läuft – zwei Millionen. Doch Trevor Noahs Clip über George Floyd und die Minneapolis-Proteste fällt aus der Reihe: Dass über 8,5 Millionen wissen wollten, wie der Südafrikaner Noah über diesen Rassismus denkt, spricht schon dafür, dass er hier als moralischer Leuchtturm fungiert.

Noah thematisiert zunächst ein Video, dass im Central Park in New York entstanden ist: Eine Weisse rief die Polizei, weil ein Schwarzer sie ermahnt habe, ihren Hund anzuleinen.

Der Moderator entlarvt, wie sie bei ihrem Anruf die Rassenkarte ausspielte, als sie dem Notruf meldete, sie werde von einem «Afroamerikaner» belästigt. Die Frau namens Amy Cooper hat wegen des Eklats mittlerweile ihren Job verloren, ihr Leben sei «zerstört». 

Keine Clips, aber der Moderator hat viel zu sagen: Trevor Noah.
Keine Clips, aber der Moderator hat viel zu sagen: Trevor Noah.
Screenshot: YouTube

Ab Minute 8:40 spricht Noah dann über jenen Gesellschaftsvertrag, den die oben genannte wütende Frau zitiert.

Noah sagt: «Denken Sie einmal darüber nach, wie viele Leute, die nichts haben, immer noch sagen: ‹Wisst Ihr was? Ich spiele immer noch nach den Regeln, obwohl ich nichts besitze, weil ich möchte, dass die Gesellschaft existiert und funktioniert.› Und dann müssen Teile der Gesellschaft wie die Schwarze immer und immer wieder mitansehen, wie der Vertrag, den sie mit der Gesellschaft unterzeichnet haben, von der Gesellschaft nicht respektiert wird, die sie [auch noch] zur Unterschrift gezwungen hat.»

Die Frage «Was bringt es, ‹Target› zu plündern?» werde nie umgekehrt gestellt: «Warum sollte man den ‹Target› denn nicht plündern?»

Man tue es nicht, weil man den Gesellschaftsvertrag hochhalte, aber wenn dieser für einen selbst nicht gelte, mache er keinen Sinn mehr, erläutert der 36-Jährige. Sein Fazit: «Wir müssen die Leute an der Spitze am stärksten zur Rechenschaft ziehen. Genauso wie wir sagen, Eltern müssten ein gutes Vorbild für ihre Kinder sein oder Captain oder Trainer eines fürs jeweilige Team. Genauso, wie Lehrer ein Vorbild für ihre Schüler sein sollen.»

Wenn sich die Cops nicht an Gesetze hielten, warum sollte es dann die Gesellschaft tun, fragt Noah?

Zuletzt geht er darauf ein, dass die Schwarzen tatsächlich kaum etwas im Land besässen – und ermöglicht seinem weissen Publikum eine vielleicht ganz neue Sicht auf die aktuelle Rassismus-Diskussion in den USA.

Stephen Colbert, der Moralist

«A Late Show with Stephen Colbert» beginnt mit einem Clip, der einen schaudern lässt.

Ab Minute eins sehen wir einen 75-Jährigen, der in New York von Polizisten niedergestossen wird, dann auf den Kopf fällt und blutet. Mittlerweile sind zwei Beamte suspendiert worden. Colbert klärt aber auf, dass die Polizei behauptet habe, der Senior sei gestürzt – bevor bekannt war, dass es ein Video der Szene gibt.

Die Szene ist die perfekte Begründung für Noahs Mahnung: Wenn sich die Gesetzeshüter nicht an die Gesetze halten, bekommt die Gesellschaft ein Problem.

Stephen Colbert sendet von zu Hause aus.
Stephen Colbert sendet von zu Hause aus.
Screenshot: YouTube

Colbert erzählt von weiteren Fällen von Polizeigewalt in der Bronx, New York und North Carolina. «Wenn ihr eine Menge friedlicher Leute auflösen wollt, zieht euch nicht an, als würdet ihr in den Krieg ziehen», fordert der Moderator bei den Bildern hochgerüsteter Cops bei Minute 3:31.

Ab Minute 3:57 zeigt die Show noch einmal, wie Donald Trump in einer Rede fordert, die Ordnungsmacht müsse «die Strassen dominieren». Und bei Minute 4:49 sagt der US-Präsident doch tatsächlich: «Hoffentlich schaut George [Floyd] jetzt vom Himmel herunter und sagt: ‹Es passiert etwas Grossartiges in unserem Land!›. Es ist ein guter Tag für ihn, es ist ein guter Tag für alle.»

Ein 75-Jähriger liegt blutend am Boden, nachdem ihn New Yorker Cops geschubst haben.
Ein 75-Jähriger liegt blutend am Boden, nachdem ihn New Yorker Cops geschubst haben.
Screenshot: YouTube

Das Weisse Haus und die Militarisierung des Protests machen Colbert wütend: «Die Hauptstadt unserer Nation scheint einer Invasion der Vereinigten Staaten gegenüberzusehen, was zu Bildern führt, von denen ich dachte, ich würde sie nie sehen», sagt Colbert bei 5:21. Dann wendet er sich der neuen «ganz und gar weissen» Polizeitruppe des Justizministeriums zu, die weder Insignien noch Erkennungsmarken trügen. Eine Truppe, die notabene Waffen tragen könne, aber eigentlich doch keine Rechte habe. «Wir können Sie nicht verhaften, aber wir können Sie erschiessen», wird ein Beamter zitiert.

Ab Minute neun kommt Colbert auf einen Brief zu sprechen, den angeblich Trumps Ex-Anwalt John Dowd an General Jim Mattis geschrieben hat, dessen Sprache der des Präsidenten aber verblüffend ähnelt. «Die scheinheiligen Demonstranten waren nicht friedlich und nicht real», steht darin. Und: «Sie sind Terroristen.»

«Terroristen?», fragt Colbert. «Warum hat die Regierung Angst vor ihren eigenen Bürgern? Das ist keine Meinung oder kein Vorwurf, sondern blanke Tatsache. Trump hat Angst vor uns. Warum sonst hat er das Weisse Haus in einem Haikäfig platziert? Nur ist es dieses Mal dazu da, die weissen Haie zu schützen.»

Colberts Kampfansage: «Unsere Anführer schüchtern uns ein, damit wir schweigen. Das wird nicht funktionieren.»

John Oliver, der Korrekte

Den giftigsten Vortrag hat vergangene Woche jedoch John Oliver gehalten: Der gebürtige Brite wird in «Last Week Tonight» mehr als deutlich. «Es hat mich – offen gesagt – krank gemacht, dass die Proteste, die ein mitreissender Widerstand gegen den institutionalisierten Rassismus und gegen Gewalt gewesen sind, so beantwortet wurden, sagt Oliver. Er zeigt nach 33 Sekunden Clips, in denen zu sehen ist, wie die Polizei überhart durchgreift.

Der Moderator berichtet, wie Trump vor Demonstranten in den Bunker des Weissen Hauses geflohen ist – angeblich um ihn zu «inspizieren» –, wie Park Ranger Demonstranten mit Tränengas von einer Kapelle vertrieben haben, wo der Präsident einen Foto-Termin hatte – und auch John Oliver kommentiert, wie Trump die Verkündung der Arbeitslosenzahlen als «guten Tag» für George Floyd bezeichnet hat: «That is utterly fucking disgusting.»

Polizeigewalt ist überhaupt das Thema dieser 30 Minuten: Diverse Clips werden ab Minute 3:30 auch den letzten Skeptiker davon überzeugen, dass es Schwarze unverhältnismässig oft trifft. Schon unter Bill Clinton nahm diese Entwicklung ihren Lauf (ab Minute 9:15), der Sicherheitsapparat war unter jenem US-Präsidenten aufgeblasen worden und soziale Dienste vernachlässigt.

Diese Lady ist sehr, sehr wütend.
Diese Lady ist sehr, sehr wütend.
Screenshot: YouTube

Zu viele Aufgaben seien inzwischen bei der Polizei hängengeblieben (Minute 10:20), diese werde gleichzeitig immer mehr hochgerüstet. Ab Minute 11:45 stellt die Show dann einen Polizei-Berater vor, der es in sich hat: Dave Grossmann ist ein Scharfmacher, der einen Begriff wie «Killology» erfunden hat und in Polizisten «Kämpfer» sieht.

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Mitunter ist es auch die Polizeigewerkschaft, die eine Ahndung von Fehlverhalten vereitelt oder den Fortschritt behindert. Es ist sehenswert, wie ab Minute 16:35 ein Funktionär aus Cleveland sich über ein neues Gesetz beklagt, nach dem die Cops einen Bericht machen müssten, sobald sie ihre Waffe zögen. Der Gewerkschafter warnt, seine Kollegen würden nun nicht mehr so schnell die Waffe zu ziehen, weil sie den Schreibkram fürchteten.

Ab Minute 23:55 geht es darum, was man künftig ändern könne:

So sei ein kompletter Neuaufbau der Polizei denkbar, bei dem sich alle Cops erneut bewerben müssten unter besonderer Prüfung der psychologischen Eignung. Unter dem Stichwort «De-Funding» müsste ausserdem die Bandbreite der Aufgaben eingeschränkt werden: Bewaffnete Beamte sollten nicht wegen Obdachlosen oder psychisch Kranken ausrücken müssen, sondern jene Arbeit sozialen Diensten überlassen.

Und sie hat guten Grund dazu.
Und sie hat guten Grund dazu.
Screenshot: YouTube

Was Oliver ab Minute 30 auf die Palme bringt: Schon nach Rassenunruhen in den 20er-, 30er-, 50er- und 60er-Jahren hätte man Schlüsse gezogen, die heute abermals präsentiert, aber doch nie umgesetzt würden. Oder wie es der Moderator ausdrückt: «Wir stecken in derselben Scheisse wie damals.»

Dann überlässt er das Wort jener wütenden, schwarzen Bürgerin, die eindrücklich jenen letzten Punkt setzt. Besser: dieses Ausrufezeichen!

Bilder des Tages

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