Nach Angriff Irans Atomprogramm um Monate zurückgeworfen

dpa

12.4.2021 - 19:04

Irans Präsident Hassan Ruhani.
Irans Präsident Hassan Ruhani.
dpa

Ein neuer Angriff auf eine wichtige Anlage im Iran soll das Atomprogramm des Landes weit zurückgeworfen haben. Im Verdacht steht Israel – seit Jahrzehnten Erzfeind Nummer eins der Islamischen Republik. Hardliner in Teheran reagieren mit scharfen Worten.

Der mutmassliche Angriff auf die Atomanlage Natans im Iran dürfte nach Informationen der «New York Times» die Urananreicherung dort um Monate zurückwerfen.

Das berichtete das Blatt am Montag unter Berufung auf zwei ranghohe US-Geheimdienstmitarbeiter, die die Attacke als israelische Geheimdienstoperation einstuften. Demnach soll der Angriff eine heftige Explosion ausgelöst und das gesamte Stromnetz einer Untergrundanlage zerstört haben, in der Zentrifugen für die Urananreicherung hergestellt werden. Es werde mindestens neun Monate dauern, die Schäden zu beheben, hiess es. Vonseiten Teherans wurden die Folgen der Attacke indes deutlich weniger dramatisch dargestellt.

Verhandlungsposition geschwächt?

Nach Einschätzung der «New York Times» hat der Angriff die Verhandlungsposition des Irans bei den Atomgesprächen in Wien erheblich geschwächt, die das internationale Atomabkommen aus dem Jahr 2015 retten sollen. Der Grund: Der Iran soll neue Zentrifugen zur Urananreicherung als Druckmittel eingesetzt haben.



Das iranische Aussenministerium gab hingegen an, bei dem Angriff sei nur die Produktionslinie der älteren Zentrifugen beschädigt worden. «Die Schäden beziehen sich auf die IR-1 Zentrifuge, aber wir stellen in der Zwischenzeit bereits die IR-9 Generation her», sagte Aussenamtssprecher Said Chatibsadeh am Montag. Der israelische Angriff werde die Arbeit in Natans nicht beeinträchtigen, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Isna.

Bei den Gesprächen geht es um die Zukunft des historischen Abkommens, das den Iran am Bau von Kernwaffen hindern, ihm zugleich aber die zivile Nutzung der Kernkraft ermöglichen soll. Israel lehnt den Deal seit jeher vehement ab, weil es das Abkommen für nicht weitreichend genug hält und sich durch das iranische Atom- und Raketenprogramm in seiner Existenz bedroht sieht.

Das Satellitenfoto von Planet Labs Inc. zeigt die iranische Nuklearanlage Natans am 07.04.2021. 
Das Satellitenfoto von Planet Labs Inc. zeigt die iranische Nuklearanlage Natans am 07.04.2021. 
--/Planet Labs Inc./AP/dpa

Irana überschreitet Obergrenzen

Die 2015 in Aussicht gestellte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran kam aufgrund des Kurswechsels unter dem späteren US-Präsidenten Donald Trump nie zustande. Dieser war 2018 einseitig aus dem Abkommen ausgestiegen. Als Reaktion auf neue Sanktionen begann der Iran später, vereinbarte Obergrenzen für die Produktion von Uran zu überschreiten.

Die fünf verbliebenen Partner des Deals – Russland, China, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien – haben in den vergangenen zwei Jahren versucht, das Abkommen am Leben zu erhalten. Um eine Wiedereinbindung der USA in das Abkommen zu ermöglichen, müsste der Iran sein Nuklearprogramm im Gegenzug für die Aufhebung der von Trump wieder eingeführten Sanktionen wohl wieder zurückfahren.

Politische Hardliner im Iran forderten Präsident Hassan Ruhani nach dem Zwischenfall in Natans auf, die für diese Woche geplanten diplomatischen Verhandlungen zur Rettung des Atomabkommens abzubrechen. Auch Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif schloss sich dieser Forderung in seiner Funktion als Atomchefunterhändler im iranischen Parlament an, das von den Hardlinern dominiert wird. Sarif bezeichnete den Angriff auf die Atomanlage Natans im Zentrum des Landes als israelischen Terrorakt.

Chatibsadeh sprach von einem «Verbrechen gegen die Menschheit», das zu einer atomaren Katastrophe hätte führen können. Er wertete den Angriff als vergeblichen Versuch Israels, die Wiener Atomverhandlungen zu sabotieren. Der Iran werde an seiner Linie festhalten und seine technischen Verpflichtungen erst wieder einhalten, wenn die USA das Abkommen vertragsgerecht umsetzten. Ohne Aufhebung der US-Sanktionen sei das Atomabkommen für Teheran de facto wertlos.

«Werde es dem Iran nie erlauben, Atomwaffen zu erlangen»

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ging am Montag nicht direkt auf den Zwischenfall in Natans und die Vorwürfe Teherans ein. Allerdings bezeichnete er den Iran als Unterstützer weltweiten Terrors und grösste Bedrohung in der Nahost-Region. «Ich werde es dem Iran nie erlauben, Atomwaffen zu erlangen, um sein Ziel des Völkermords und der Auslöschung Israels zu erreichen», sagte er.

Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, betonte mit Blick auf die Berichte über den Angriff: «Die USA waren in keiner Weise beteiligt». Sie wolle sich nicht an Spekulationen über Hintergründe oder Folgen beteiligen.

Im Zusammenhang mit dem Angriff wurde einem iranischen Medienbericht zufolge ein Verdächtiger identifiziert. Dieser solle als Drahtzieher das Stromnetz in der Anlage manipuliert haben, zitierte die Nachrichtenagentur Isna am Montag eine Quelle im Geheimdienst. Der Mann solle demnächst ausfindig gemacht und festgenommen werden.

Die EU zeigte sich besorgt über den mutmasslichen Angriff auf die Atomanlage Natans. Jeder Versuch, die derzeitigen Bemühungen um eine Wiederbelebung des Abkommens mit dem Iran zu stören, sei in vollem Umfang zurückzuweisen, sagte ein Sprecher des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell am Montag in Brüssel. Es müsse nun gründlich geklärt werden, was passiert sei und wer dahinter stecke.