Drohende politische Krise Was der Tod von Präsident Raisi für den Iran bedeutet

dpa/dmu

20.5.2024 - 06:59

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi ist beim Absturz seines Helikopters im Iran ums Leben gekommen. 
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi ist beim Absturz seines Helikopters im Iran ums Leben gekommen. 
Archivbild: Bebeto Matthews/AP/dpa

Nach stundenlanger Suche wird das Wrack des Präsidentenhelikopters im iranischen Gebirge gefunden. Staatsmedien bestätigen den Tod der Insassen. Der Islamischen Republik droht eine politische Krise.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bei einem Helikopter-Absturz sind am Sonntag sowohl der iranische Präsident Ebrahim Raisi als auch Aussenminister Hussein Amir-Abdollahian tödlich verunglückt.
  • Das Unglück dürfte die Islamische Republik in eine politische Krise stürzen und Machtkämpfe auslösen.
  • Während Regierungsanhänger um die Staatsmänner trauerten, brachten zahlreiche Iranerinnen und Iraner in sozialen Medien ihre Schadenfreude über den Absturz zum Ausdruck.
  • Mehrere Staaten haben Teheran bereits ihr Beileid bekundet.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi und sein Aussenminister Hussein Amir-Abdollahian sind beim Absturz ihres Helikopters im Iran ums Leben gekommen. Keiner der neun Insassen habe überlebt, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Irna und das Staatsfernsehen am Montag. Zur Ursache des Unglücks gab es zunächst keine offiziellen Informationen.

Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei hat nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi fünf Tage Staatstrauer angeordnet. Dies ging aus einer Mitteilung vom Montag hervor.

Zudem hat der Oberste geistliche Führer des Landes den Ersten Vizepräsidenten Mohammad Mochber zum amtierenden Präsidenten ernannt. Ajatollah Ali Chamenei teilte dies in einer Beileidsbekundung zum Tod von Raisi mit.

Der 68 Jahre alte Mochber ernannte anschliessend den iranischen Atomunterhändler Ali Bagheri Kani als Statthalter im Aussenministerium, wie das staatliche Fernsehen Kabinettssprecher Ali Bahadori Dschahromi zitierte.

Unfallursache unklar

Raisi war am Sonntagnachmittag zusammen mit Aussenminister Amir-Abdollahian auf der Rückreise von einem Treffen mit dem Präsidenten des Aserbaidschan, Ilham Aliyev, als ihre Maschine bei dichtem Nebel vom Radar verschwand. Gemeinsam hatten sie im Nachbarland einen Staudamm eingeweiht. Mit insgesamt drei Helikoptern machte sich der Tross danach auf den Rückweg gen Iran, doch die Präsidentenmaschine kam nicht an ihrem Bestimmungsort an.

Daraufhin entbrannten Spekulationen, ob der Absturz auf schlechtes Wetter, einen technischen Defekt am Heli oder gar Sabotage zurückzuführen sei. Klarheit darüber gab es bis zum Montagmorgen nicht.

Irans Luftwaffe gilt als stark veraltet, ihre Modernisierung kommt angesichts scharfer internationaler Sanktionen kaum voran, Ersatzteile sind schwer zu beschaffen. Viele Flugzeuge und Helikopter stammen noch aus der Zeit vor der Islamischen Revolution von 1979, als das Land enge Beziehungen zu den USA unterhielt. Immer wieder kommt es zu folgenschweren Unfällen und Abstürzen.

Iran droht politische Krise

Stundenlang suchten Rettungskräfte bei strömenden Regen, Nebel und in schwierigem Terrain nach der Absturzstelle, ehe sie die Trümmer des Helikopters am frühen Morgen an einem Hang entdeckten. Iranische Medien zeigten Bilder eines völlig ausgebrannten Wracks.

Irans erster Vizepräsident, Mohammed Mochber, leitete am späten Sonntagabend eine Notsitzung des Kabinetts. Das Protokoll sieht vor, dass der erste Vizepräsident nach dem Tod des Präsidenten die Amtsgeschäfte als Regierungschef weiterführt. Laut der Verfassung müssen dann innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen stattfinden.

Das Unglück dürfte die Islamische Republik in eine politische Krise stürzen. Mangels Alternativen dürfte sich die Suche nach einem langfristigen Nachfolger für Raisi schwierig gestalten. Und insbesondere Amir-Abdollahian war als Aussenminister seit Beginn des Gaza-Kriegs verstärkt in die Öffentlichkeit gerückt und hatte zahlreiche Reisen zu Verbündeten unternommen.

Regierung wegen repressiver Politik in der Kritik

Während Regierungsanhänger um die Staatsmänner trauerten, brachten zahlreiche Iranerinnen und Iraner in sozialen Medien ihre Schadenfreude über den Absturz zum Ausdruck. Raisis Regierung steht seit Jahren wegen ihrer erzkonservativen Wertevorstellungen, der Unterdrückung von Bürgerrechten und der schweren Wirtschaftskrise im Iran in der Kritik.

Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei versicherte bereits am Sonntag, dass die Regierungsgeschäfte in keinem Fall beeinträchtigt würden. «Es wird keine Unterbrechung der Aktivitäten des Landes geben», zitierte ihn die Staatsagentur Irna.

Raisi war im August 2021 als neuer Präsident vereidigt worden. Der erzkonservative Kleriker wurde damit offiziell Nachfolger von Hassan Ruhani, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte. Als Spitzenkandidat der politischen Hardliner sowie Wunschkandidat und Protegé des Religionsführers Chamenei hatte Raisi die Präsidentenwahl mit knapp 62 Prozent der Stimmen gewonnen.

Der Iran stand zuletzt verstärkt in den Schlagzeilen, auch, weil ein regionaler Krieg mit dem Erzfeind Israel zu drohen schien. Während Raisis Amtszeit die Islamische Republik ihre wirtschaftliche und militärische Kooperation mit China und Russland vertiefte, die Beziehung zum Westen kühlte unter anderem wegen des Streits über das iranische Atomprogramm ab. Ausserdem warf der Westen der Führung in Teheran schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vor. Trotzdem gab es erst vor wenigen Tagen wieder Berichte über neue, indirekte Gespräche mit den USA im Golfstaat Oman.

Religiöser Hardliner: Raisi als Mann des Systems

Raisi wurde 1960 in Maschhad geboren und war über drei Jahrzehnte in der zentralen Justizbehörde des Landes tätig. 2019 wurde er zum Justizchef ernannt. In seiner früheren Funktion als Staatsanwalt soll er im Jahr 1988 für zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen politischer Dissidenten verantwortlich gewesen sein, weshalb seine Gegner ihm den Beinamen «Schlächter von Teheran» verpassten.

Experten hatten Raisi zwischenzeitlich auch als möglichen Nachfolger für Chamenei gehandelt, der im April 85 Jahre alt wurde. Auch wenn sich die Kritik der jungen Generation inzwischen immer mehr gegen das gesamte System der Islamischen Republik richtet, stand Raisi innenpolitisch besonders unter Druck. Zuletzt trieb die Regierung ihren umstrittenen Kurs bei der Verfolgung des Kopftuchzwangs voran und brachte damit Teile der Bevölkerung noch mehr gegen sich auf.

Raisis Tod dürfte Machtkampf auslösen

Sollte das Präsidentenamt neu besetzt werden müssen, dürfte in Teheran ein heftiger Machtkampf ausbrechen, schrieb der Iran-Experte Arash Azizi in einer Analyse für die US-Zeitschrift «The Atlantic».

Raisis Passivität habe Herausforderer unter den Hardlinern ermutigt. Sie würden seine schwache Präsidentschaft als Chance sehen, schrieb Azizi. «Der Tod von Raisi würde das Machtgleichgewicht zwischen den Fraktionen innerhalb der Islamischen Republik verändern.»

Beileidsbekundungen aus mehreren Staaten

Mehrere Staaten haben Teheran bereits ihr Beileid bekundet. Der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif rief einen Tag der Trauer für sein Land aus. Auf der Plattform X schrieb Sharif am Montag, Raisi und der ebenfalls bei dem Absturz ums Leben gekommene iranische Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian seien enge Freunde Pakistans gewesen. Auch der pakistanische Staatspräsident Asif Ali Zardari äusserte sich in einer Erklärung bestürzt über den Tod Raisis.

Der indische Premierminister Narendra Modi erklärte bei X, er habe die Nachricht vom Tod Raisis mit tiefer Trauer aufgenommen. Indien stehe «in dieser Zeit des Schmerzes» an der Seite des Irans.

Auch Aussenminister Ignazio Cassis hat sich den Beileidsbekundungen angeschlossen. Er drückte den Angehörigen aller Opfer sowie der iranischen Bevölkerung auf dem Kurznachrichtendienst X sein Beileid aus.

EU-Ratschef Charles Michel hat im Namen der EU sein Beileid bekundet. «Die EU drückt ihr aufrichtiges Beileid zum Tod von Präsident Raisi und Aussenminister Abdollahian sowie anderer Mitglieder ihrer Delegation und der Besatzung bei einem Hubschrauberunfall aus», schrieb Michel am Montag auf seinem offiziellen Account auf X. «Unsere Gedanken sind bei den Familien.»

Der irakische Ministerpräsident Mohammed Schia al-Sudani, dessen Regierungskoalition Teheran nahesteht, äusserte in einer Erklärung «grosse Trauer» über den Tod Raisis und von dessen Begleitern. Er sprach dem Obersten geistlichen Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, und «dem brüderlichen iranischen Volk» sein Mitgefühl aus.

Ähnlich äusserte sich ein Führer der Huthi-Miliz im Jemen, die in ihrem seit Jahren andauernden Kampf gegen die international anerkannte jemenitische Regierung vom Iran unterstützt wird.