Impfkampagne Israelis sammeln erste Erfahrungen mit Corona-Impfpass

dpa/toko

27.2.2021 - 18:00

Ein Mann präsentiert am Eingang eines Theaters in Jerusalem seinen «grünen Pass».
Ein Mann präsentiert am Eingang eines Theaters in Jerusalem seinen «grünen Pass».
Keystone/Maya Alleruzzo/AP/dpa

Das Dokument könnte schon bald deutliche Lockerungen ermöglichen. In Israel gibt es nach vergleichsweise zügiger Impfkampagne wieder Live-Konzerte. Auch Urlaubsreisen erscheinen wieder realistisch. Doch die Gefahr von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung wächst.

Buntes Licht erhellt die Bühne. Die 300 Zuschauer begrüssen den Musiker mit erwartungsvollem Applaus. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie spielt Aviv Geffen wieder vor Fans, die ihm leibhaftig gegenübersitzen. Für das Publikum gelten zwar Maskenpflicht und Abstandsregeln. Aber ansonsten ist alles fast wie früher, vor der langen Zwangspause, als der in Israel bekannte Künstler an sein E-Piano tritt.

«Heute Abend geschieht hier ein Wunder», sagt Geffen ins Mikrofon. Für die Musikliebhaber im Raum dürfte das Konzert tatsächlich ein ganz besonderes Erlebnis sein. Die Veranstaltung in Tel Aviv wirft aber gleichzeitig einige Fragen auf, mit denen sich Regierungen und Gesellschaften in aller Welt derzeit auseinandersetzen müssen.

Eingelassen wurden nämlich nur Personen, die einen «grünen Pass» vorzeigen konnten. Einen solchen erhält in Israel nur, wer gegen das Coronavirus geimpft worden ist oder eine Covid-19-Erkrankung überstanden hat.



Das unter diesen Bedingungen abgehaltene Konzert vermittelte am Montag einen Eindruck davon, was künftig an vielen Orten zum Standard werden könnte. Impfungen, inklusive entsprechender Nachweise, gelten als unentbehrliche Voraussetzung für eine allmähliche Rückkehr zur Normalität. Die Entwicklungen in Israel, wo ein sehr grosser Teil der Bevölkerung bereits eine Immunisierung erhalten hat, werden daher international genau verfolgt.

Währung der Stunde

Für Israelis, die sich nach Monaten des Verzichts wieder nach Live-Shows und geselligem Beisammensein sehnen, ist der «grüne Pass» die Währung der Stunde. Wer einen hat, darf sogar recht konkret wieder von Urlaubsreisen ins Ausland träumen. Mit Griechenland und Zypern hat Israel eine gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Impfnachweise vereinbart. Weitere solche, vor allem auf den Tourismus abzielende Abkommen sollen bald folgen.

Wer zu einer Impfung nicht bereit oder nicht in der Lage sei, werde das Nachsehen haben, betonte kürzlich der israelische Gesundheitsminister Juli Edelstein. Ähnlich sieht es auch der Popmusiker Geffen. «Im Moment ist dies wirklich der einzige Weg nach vorn», sagt er im Interview der Nachrichtenagentur AP. «Wir müssen die Impfstoffe nehmen. Wir müssen», mahnt er. «Ohne sie können die Leute ihr Leben in der neuen Welt nicht leben.»

Druck auf ungeimpfte Bürger

Für Hunderte Millionen Menschen in aller Welt sind Impfstoffe gegen das Coronavirus aber gar nicht verfügbar – oder viel zu teuer. Andere lehnen sie aus religiösen oder sonstigen Gründen ab. In Israel, das 9,3 Millionen Einwohner hat, haben etwa die Hälfte der Erwachsenen inzwischen die erforderlichen zwei Dosen bekommen. Auch dort stossen die Behörden aber zum Teil auf Skepsis und Widerstand. Zuletzt geriet das bisher weltweit schnellste Impfprogramm daher ins Stocken.



Mit neuem Druck versucht die Regierung, die noch ungeimpften Bürger zu animieren. Am Mittwoch verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das dem Gesundheitsministerium erlaubt, Informationen zum Impfstatus von Personen an mehrere andere Ministerien sowie an lokale Verwaltungen weiterzugeben. Parallel laufen Informationskampagnen. «Mit dem «grünen Pass» stehen Ihnen die Türen offen», hiess es in einer Mitteilung vom 21. Februar. «Sie können ins Restaurant gehen, im Fitnessstudio trainieren, eine Show besuchen.»

Die Impfung gegen das Coronavirus ist in Israel für die meisten Menschen tatsächlich eine Frage des Wollens. Die Regierung hat ausreichend Impfstoff für alle Staatsbürger ab 16 Jahren beschafft. Internationale Kritik gab es derweil daran, dass nur sehr geringe Mengen an die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen weitergegeben wurden.

Auch auf globaler Ebene ist die Versorgung sehr ungleich. Selbst in den meisten Industrieländern sind die Vorräte noch unzureichend. In vielen ärmeren Ländern ist bislang überhaupt kein Impfstoff angekommen.

Experten sind alarmiert. «Das zentrale Menschenrechtsprinzip ist Gerechtigkeit und Nichtdiskriminierung», betont Lawrence Gostin von der Georgetown University in Washington, der auch Direktor eines Zentrums für Gesundheitsrecht bei der Weltgesundheitsorganisation WHO ist.

Moralische Krise

«Wir stehen mit Blick auf globale Gerechtigkeit vor einer enormen moralischen Krise. Denn in wohlhabenden Ländern wie Israel oder den USA oder den EU-Ländern werden wir vermutlich bis Ende des Jahres die Herdenimmunität erreichen», sagt Gostin. «In vielen einkommensschwachen Ländern dagegen werden die meisten Menschen noch viele Jahre auf eine Impfung warten müssen. Wollen wir wirklich den Menschen den Vorrang geben, die bereits so viele Privilegien haben?»



Im vergangenen April hatte die WHO die internationale Covax-Initiative gestartet – mit dem ursprünglichen Ziel, dass ärmere Länder etwa zeitgleich mit den reicheren Ländern mit Impfstoff versorgt werden sollten. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Von den bisher weltweit 210 Millionen verteilten Dosen seien 80 Prozent an nur zehn Staaten geliefert worden, sagte diese Woche der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Ghana war am Mittwoch das erste Land, das über die Covax-Initiative etwa 600 000 Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca und der Oxford University erhielt.

In vielen Staaten Europas, in denen die Impfkampagnen zum Teil schon seit Wochen laufen, wird derweil ebenfalls über «grüne Pässe» diskutiert. Eine einheitliche Linie ist dabei bisher nicht zu erkennen. «Die Gefahr ist gross, dass nicht gut zusammengearbeitet wird», sagt Andrew Bud, dessen Unternehmen iProov das britische Gesundheitssystem mit digitaler Impfpass-Technik unterstützt. Die grösste Herausforderung liege nicht in der technischen Umsetzung, sondern in den «ethischen, sozialen, politischen und rechtlichen» Fragen, betont Bud. Es müsse zwischen «Grundrechten der Bürger» einerseits und dem «Nutzen für die Gesellschaft» andererseits abgewogen werden.

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