Verschwundene Tennisspielerin Sie hat zu sagen gewagt, was in China unerhört bleibt

Von Sven Hauberg

18.11.2021

Der chinesische Tennisstar Peng Shuai ist verschwunden. (Archivbild)
Der chinesische Tennisstar Peng Shuai ist verschwunden. (Archivbild)
Bild: Keystone

Da kann auch der Reishase nicht helfen: In China gehen die Behörden gegen die #MeToo-Bewegung vor. Jüngstes Opfer ist die Tennisspielerin Peng Shuai.

Von Sven Hauberg

18.11.2021

Wenn die chinesische Zensur zuschlägt, schlägt die Stunde der Kreativen. Als vor einigen Jahren die #MeToo-Bewegung aus den USA auch ins Reich der Mitte schwappte, war das chinesische Internet auf einmal voll mit Berichten über übergriffige Chefs oder Arbeitskollegen. Irgendwann aber wurde es den Zensoren zu bunt, der Hashtag #MeToo wurde verboten – und nur wenig später der Reishase geboren. 

«Sie blockierten unseren #MeToo-Mikroblog, also änderten wir ihn in gleichlautende chinesische Zeichen, das ‹Mi› von Reis und das ‹Tu› von Hase. Reishase, ‹Mitu›», erklärte die Aktivistin Zheng Xi vor zwei Jahren in einem Interview. So richtig Fahrt aufgenommen hat die #MeToo-Bewegung in China dennoch nicht, ganz anders als in den USA oder in Europa. Und nun, da der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai weltweit Schlagzeilen macht, scheint es fast so, als sei #MeToo in China am Ende.



Peng, frühere Wimbledon- und French-Open-Doppelsiegerin, hatte sich Anfang November über das chinesische soziale Netzwerk Weibo an die Öffentlichkeit gewandt. In dem Beitrag, der nur eine halbe Stunde später wieder gelöscht worden war, warf Peng dem früheren Vizepremier Zhang Gaoli sexuelle Übergriffe vor. Zwar habe sie mit dem verheirateten Politiker auch einvernehmlichen Kontakt gehabt, es sei aber auch zu einem ungewollten Vorfall gekommen. Beweisen könne sie ihre Anschuldigungen nicht, so die Tennisspielerin weiter.

Gravierende Vorwürfe gegen einen Popstar

Peng war seit dem Absetzen des Posts verschwunden, die Diskussion über den Vorfall wurde im chinesischen Internet ebenso abgewürgt wie alle anderen Beiträge über #MeToo. Mittlerweile gibt es ein angebliches Lebenszeichen von Peng Shuai – der Staatssender CGTN veröffentlichte einen Brief der 35-Jährigen, in dem diese behauptet, alle Berichte über ihre Vorwürfe seien «nicht wahr». Die Spielerinnen-Organisation WTA zweifelt allerdings daran, dass der Brief wirklich von Peng verfasst wurde.

Noch im Sommer hatte es für einen Moment so ausgesehen, als würde #MeToo auch in China endlich ein Thema. So wurde zunächst öffentlich bekannt, dass der Tech-Konzern Alibaba einen Manager gefeuert hatte, nachdem eine Frau ihm vorgeworfen hatte, sie vergewaltigt zu haben, als sie betrunken war. Verurteilt wurde der Mann zwar nicht – er habe sich der Klägerin gegenüber «grob unsittlich» verhalten, ein Verbrechen liege aber nicht vor, so die Richter. Für Aufstehen sorgte der Fall in den sozialen Netzwerken dennoch, zumal das Gericht immerhin die Anschuldigungen bestätigte und den Mann ausserdem mehrere Tage unter Arrest stellte.

Durch die Presse ging dann noch ein anderer Fall, der weit über die Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen sorgte: Der chinesischstämmige kanadische Rapper Kris Wu wurde im August wegen des Verdachts der Vergewaltigung in China in Haft genommen. Es gehe um Vorwürfe, «junge Mädchen reingelegt zu haben, Sex mit ihm zu haben», wie Staatsmedien die Polizei zitierten.

Fader Beigeschmack

Im Falle von Kris Wu war allerdings stets fraglich, ob es den Behörden nicht auch um etwas anderes ging. So wurde der 31-Jährige ausgerechnet zu einer Zeit kaltgestellt, als die chinesischen Behörden begannen, gegen Pop- und Filmstars vorzugehen, die angeblich nicht die chinesische Kultur repräsentieren. Im Zuge neuer ideologischer Kampagnen unter Präsident und Parteichef Xi Jinping verstärkt die Kommunistische Partei ihren Griff über Film, Musik und Fernsehen immer mehr.

Und selbst der Fall des gefeuerten Alibaba-Managers hat einen Beigeschmack. Denn schon länger hat die Partei Tech-Giganten wie den überall in China präsenten Konzern des Milliardärs Jack Ma im Visier – Ma selbst verschwand gar Ende 2020 für mehrere Wochen. Ob es den Behörden in beiden Fällen also wirklich um die Übergriffe ging, die Kris Wu beziehungsweise dem Alibaba-Mitarbeiter vorgeworfen wurden, ist fraglich.



Dafür spricht auch ein Gerichtsurteil, das Mitte September in Peking verkündet wurde. Ein Gericht in der chinesischen Hauptstadt hatte ein Verfahren wegen sexueller Belästigung gegen Zhu Jun, einen der bekanntesten TV-Moderatoren des Landes, mit der Begründung abgewiesen, es gebe nicht genug Beweise gegen den 57-Jährigen. 

«Alle Elemente waren in China nicht vorhanden»

Die chinesische Schriftstellerin Zhou Xiaoxuan, die oftmals nur unter dem Namen Xianzi auftritt, hatte Zhu bereits 2018 vorgeworfen, sie vier Jahre zuvor gewaltsam betatscht und geküsst zu haben. Zhou war damals Zhus Praktikantin. Zhus Vorwürfe gegen den beliebten Moderator gelten als Initialzündung der chinesischen MeToo-Bewegung.

Nun sieht sich die 28-Jährige nicht nur einer Gegenklage von Zhu ausgesetzt, sondern auch einer Hetzkampagne der chinesischen Medien. So schrieb das Regierungsblatt «Global Times» nach der Einstellung des Verfahrens, die #MeToo-Bewegung werde China vom Ausland aufgezwungen, um «Chaos, Spaltung und sogar Umsturz in China anzuzetteln».



Dass es #MeToo in China nicht leicht hat, weiss auch Leta Hong Fincher. «Alle Elemente, die #MeToo in den USA und anderen Ländern zu einem viralen Ereignis machten, waren in China nicht vorhanden», sagte die Autorin des Buchs «Betraying Big Brother: The Feminist Awakening in China» in einem Interview mit dem US-Magazin «Variety». «In Hollywood wussten viele Menschen über Harvey Weinstein Bescheid, aber es hat lange gedauert, bis die Geschichte auch in Amerika bekannt wurde. Stellen Sie sich vor, wie viel schwieriger es in einem zunehmend autoritären Einparteienstaat ist.»

Ebenjener Einparteienstaat hat es nun offenbar auch geschafft, die Tennisspielerin Peng Shuai zum Schweigen zu bringen. Denn der Mann, dem sie sexuelle Übergriffe vorgeworfen hat, ist wohl einfach zu mächtig.