Abzug aus Afghanistan Bidens blutiges Vermächtnis

Von Sven Hauberg

13.8.2021

Afghanistan fällt wieder in die Hände der Taliban, und Amerika schaut zu. Der Abzug der US-Truppen nach 20 Jahren Krieg wirft Schatten auf die noch junge Präsidentschaft von Joe Biden.

Von Sven Hauberg

13.8.2021

Es war ein Politikwechsel, wie ihn die USA selten zuvor erlebt hatten. Als Joe Biden im Januar das Amt des US-Präsidenten übernahm, schien er entschlossen, alles anders zu machen als sein Vorgänger. Die USA traten wieder der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen bei, eine Maskenpflicht in Bundesgebäuden wurde angeordnet, die Unterstützung für den blutigen Krieg der Saudis im Jemen eingestellt.

Was Biden nicht rückgängig machte, war Donald Trumps Entscheidung, nach 20 Jahren Krieg die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Die letzten Soldaten sollten das Land lediglich etwas später verlassen als vom Vorgänger geplant. Nicht mehr der 1. Mai galt nun als jener Tag, an dem die Afghanen sich selbst überlassen werden sollten, sondern der 11. September – ein symbolisch aufgeladenes Datum, jähren sich an jenem Tag doch die Terroranschläge auf New York und Washington zum 20. Mal.



Mittlerweile gilt Ende August als Zielmarke. Schon in gut zwei Wochen also soll er beendet sein, der längste Krieg, den das Land jemals geführt hat. Und immer mehr wird klar: Es ist ein Krieg, den nicht nur die USA verloren haben, sondern auch das afghanische Volk. Denn die Taliban, die US-Präsident George W. Bush einst aus dem Land vertreiben wollte, kehren nun mit voller Wucht zurück.

Wann fällt Kabul?

Immer grössere Teile Afghanistans fallen den radikalen Islamisten in die Hände. Wo sie die Regierungstruppen vertrieben haben, setzen die Taliban ihre eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung durch und treiben Zehntausende in die Flucht. Nur noch drei afghanische Grossstädte – Masar-i-Scharif im Norden des Landes, Dschalalabad im Osten sowie die Hauptstadt Kabul – unterstehen noch der Regierung.

Dass Biden zuletzt ankündigte, 3000 Soldatinnen und Soldaten in das Land zu entsenden, um die US-Botschaft sowie den Flughafen in Kabul zu sichern, zeigt nur, wie verzweifelt die Lage ist. Bis auch die Hauptstadt fällt, ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.



Als die USA in Afghanistan einmarschierte, war Biden Senator – und Unterstützer des «Kriegs gegen den Terror»: «Was auch immer nötig ist, wir sollten es tun», sagte er im Jahr 2002. «Die Geschichte wird uns hart bestrafen, wenn wir die Hoffnung auf ein befreites Afghanistan aufgeben, weil wir es versäumt haben, Kurs zu halten.»

Worte, die heute wie Hohn klingen angesichts der Schreckensnachrichten, die täglich aus Afghanistan gemeldet werden. Anfang der Woche hatte Biden versucht, den Abzug der US-Truppen mit Hinweis auf die Eigenverantwortung der Afghanen zu rechtfertigen. Die Menschen in dem Land müssten nun «selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen», sagte Biden.

Das afghanische Militär sei den Taliban überlegen. «Aber sie müssen auch kämpfen wollen.» Seine Entscheidung, das Land zu verlassen, bedaure er nicht. Indes: Joe Biden könnte in die Geschichte eingehen als jener Präsident, der die Afghanen im Stich gelassen hat.

Ein Krieg aus Rache

Dabei sind die Fehler, die die USA im Afghanistan gemacht haben, weitaus älter als Bidens Präsidentschaft. Das begann mit der Zielsetzung des Krieges: Nicht die Demokratisierung des Landes war es, die Bush und seine Unterstützer seinerzeit an den Hindukusch trieb, sondern Rache.

Rache an den Unterstützern Osama bin Ladens, des Drahtziehers hinter den Anschlägen vom 11. September. Gleichzeitig unterstützen die USA bis 2018 Afghanistans Nachbarland Pakistan militärisch, also jenen Staat, der als Hauptverbündeter der Taliban gilt und der verwundete «Gotteskrieger» in seinen Spitälern behandelte. Eine fatale Doppelstrategie.

Joe Biden scheint sich seiner Sache sicher: Der Krieg in Afghanistan soll beendet werden.
Joe Biden scheint sich seiner Sache sicher: Der Krieg in Afghanistan soll beendet werden.
Bild: Keystone

Im vergangenen Jahr noch hatte Imran Khan, der Premierminister von Pakistan, den getöteten Terrorchef bin Laden als «Märtyrer» bezeichnet. Ein Status, den der einstige Terroristenführer auch in Afghanistan bald wieder innehaben könnte.

«Präsident Biden hat wohl herausgefunden, dass der schnellste Weg, einen Krieg zu beenden, ist, ihn zu verlieren», ätzte unlängst Mitch McConnell, der Minderheitsführer der Republikaner im US-Senat. Was McConnell nicht sagte: welche realistischen Alternativen es zu einem Abzug gibt. Kurzfristig, so der Politiker, müssten die afghanischen Sicherheitskräfte weiter von den USA unterstützt werden. Aber langfristig? Weitere Jahre, gar Jahrzehnte im Land?

«Wir fürchten, dass das Schlimmste noch bevorsteht»

Fast scheint es, als wolle Biden um jeden Preis ein Problem loswerden, für das andere vor ihm schon keine Lösung wussten. Nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. 

Siegessicher: In der Stadt Ghazni posiert ein Talibankämpfer für die Kamera.
Siegessicher: In der Stadt Ghazni posiert ein Talibankämpfer für die Kamera.
Bild: Keystone

«Bidens Abzug, ebenso wie seine Weigerung, der afghanischen Regierung stärkere Unterstützung zu leisten, läuft Gefahr, zum Desaster zu werden», kommentierte die «Washington Post» am Donnerstag. «Auch wenn seine Entscheidung sicherlich amerikanisches Geld und amerikanische Leben gerettet hat – dass afghanische Leben zerstört werden oder verloren gehen, wird Teil von Bidens Vermächtnis sein.»

Unterdessen warnen die Vereinten Nationen «vor einer humanitären Katastrophe», wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag in Genf sagte. Durch das Vorrücken der Taliban seien vor allem Frauen und Kinder auf der Flucht, die Versorgungslage sei dramatisch, allein zwei Millionen Kinder seien auf Hilfe angewiesen. Die Prognose des UNHCR ist düster: «Wir fürchten, dass das Schlimmste noch bevorsteht.»