Johnson im TVGrossbritannien macht sich für einen No-Deal bereit
dpa/phi
16.10.2020
Rund viereinhalb Jahre dauert die Scheidung Grossbritanniens von der EU bereits – und immer wieder ging es hin und her. Nun scheint der britische Premier aufs Ganze gehen zu wollen. Doch es bleibt eine Hintertür.
Im Brexit-Streit erwartet der britische Premierminister Boris Johnson nach eigenen Worten nun einen harten Bruch ohne Vertrag mit der Europäischen Union am 1. Januar.
Die EU habe offenkundig kein Interesse an einem von Grossbritannien gewünschten Freihandelsabkommen wie mit Kanada, sagte Johnson am Freitag in London. Dementsprechend erwarte man nun eine Beziehung wie mit Australien, also ohne Vertrag.
Gleichwohl liess sich Johnson eine Hintertür offen, doch noch weiter mit der EU über einen Handelspakt zu verhandeln. Dafür müsse die EU jedoch ihre Haltung ändern, sagte der Premier in einem einer TV-Ansprache.
Beide Seiten verlangen Zugeständnisse
Johnson hatte eigentlich eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober verlangt, was misslang. Danach erwog der 56-Jährige den Abbruch der Verhandlungen. Eine glasklare Entscheidung verkündete er nun aber nicht, kündigte aber die Vorbereitung auf einen Bruch ohne Deal an.
Die EU hatte Johnson hingegen nochmals intensivierte Verhandlungen für die nächsten zwei bis drei Wochen angeboten, mit dem Ziel, bis Ende Oktober oder Anfang November eine Einigung zu erzielen. Gleichzeitig verlangte der EU-Gipfel aber Zugeständnisse, was London mit Enttäuschung quittierte
Bei den Verhandlungen geht es um einen umfassenden Handelsvertrag ab 2021. Grossbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar verlassen, ist aber während einer Übergangszeit bis zum Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Vertrag drohen Zölle und hohe Handelshürden.
Die Wirtschaft auf beiden Seiten warnte vor erheblichen Verwerfungen. Einbussen seien bereits zu spüren. In den seit Monaten laufenden Verhandlungen gab es lange Zeit fast keine Bewegung.
Einbussen bereits zu spüren
Hauptstreitpunkte waren von Anfang an der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der Staatengemeinschaft nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.
Im Gegenzug soll Grossbritannien Waren ohne Zoll und Mengenbeschränkung in den EU-Binnenmarkt liefern können. Dritter wichtiger Punkt für die EU sind Regeln zur Schlichtung für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstösst. Das rückte zuletzt in den Vordergrund, weil ein britisches Gesetz Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln soll.
Dabei geht es um Sonderregeln für den britischen Landesteil Nordirland. Brüssel reagierte empört auf das sogenannte Binnenmarktgesetz. Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit tatsächlich durchzuziehen.